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Mehr als 12 Monate sind seit dem ersten Lockdown in Deutschland vergangen. Seither beherrschen Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren unseren Alltag. Auch Anfang 2021 bewegt sich das öffentliche Leben weiter kaum – leider gilt dies auch für viele Deutsche. Dabei ist Bewegung in Zeiten der Corona-Pandemie wichtiger denn je – insbesondere für Menschen mit Diabetes.
Schwimmbäder und Fitness-Studios sind geschlossen, monatelang gibt es keinen Rehabilitations-, Vereins- oder Schulsport. Die Sorge, sich beim Verlassen der eigenen vier Wände anzustecken – für viele Menschen kommt ein Lockdown einem Bewegungs-Knock-down gleich.
Erfreulicherweise hat Corona aber auch viele angestoßen, sich wieder auf einfache Dinge zu besinnen: lieber aufs Fahrrad zu steigen, als sich in Bus oder Straßenbahn zu zwängen; den Spaziergang im Wald zu entdecken, statt bei der nächsten Partymeile auf der Strecke zu bleiben; Stress abzubauen und mehr Zeit für sich zu finden, statt im gewohnten Funktionieren zu versinken.
Spricht man mit Sportmedizinern, so bleibt allerdings ein Eindruck: Vormals aktive Menschen nutzen die sich oft bietende zusätzliche Zeit intensiver – werden aktiver. Dagegen werden vormals wenig Aktive eher weniger aktiv – und das, obwohl es auch in Zeiten der Corona-Pandemie an vielfältigen Bewegungsmöglichkeiten nicht mangelt.
Um die Bedeutung körperlicher Aktivität in Corona-Zeiten weiß auch Heribert Jonkers (Name geändert). Jonkers hat seit seinem 5. Lebensjahr Typ-1-Diabetes. Neben einer koronaren Herzkrankheit liegt bei ihm ein Bluthochdruck vor. Zudem bringt Jonkers schon seit Jahren ein paar Kilo zu viel auf die Waage. Dank einer sensorunterstützten Insulinpumpentherapie hat er seinen Stoffwechsel zufriedenstellend im Griff.
Mit Beginn des harten Lockdowns Mitte Dezember 2020 musste der 57-jährige Einzelhandelskaufmann in Kurzarbeit gehen. Der tägliche Fußweg zur Arbeit und die Bewegung am Arbeitsplatz fielen von jetzt auf gleich weg.
„Mir war schnell klar, dass ich bei meinem erhöhten Infektionsrisiko etwas unternehmen muss, um mein Immunsystem zu stärken“, reflektiert Jonkers nüchtern. Jonkers machte das einzig Richtige – er nutzte die freie Zeit für Entspannung, eine bewusstere Ernährung und vor allem tägliche ausgiebige Spaziergänge an der frischen Luft. Seit Mitte Februar ist die Kurzarbeit beendet. Zumindest die Gesundheitsbilanz der 7 Wochen fällt für Jonkers positiv aus: 3 kg Gewichtsabnahme und ein gestärktes Immunsystem.
Die Corona-Schutzimpfung ebnet aktuell den Weg aus der Pandemie. Die Bundesregierung geht davon aus, dass rund 60 bis 70 % der Bevölkerung immun sein müssen, um die angestrebte Herden-Immunität zu erreichen. Bis dahin werden sicherlich noch einige Monate vergehen.
Es ist wissenschaftlich gut belegt, dass körperliche Aktivität unser Immunsystem stärkt. Ein intaktes Immunsystem soll verhindern, dass Viren oder andere Erreger in die Zellen des Organismus gelangen und sich dort entfalten. Hierfür sind in erster Linie die natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) als Teil des angeborenen Immunsystems verantwortlich. Unterstützt werden sie vom erworbenen Immunsystem – bestehend aus den T- und Antikörper-produzierenden B-Lymphozyten. Entscheidend ist, dass körpereigene und körperfremde Strukturen sicher als solche identifiziert werden.
Passiert dies nicht, kann eine fehlgesteuerte Immunantwort resultieren: Immunzellen und Antikörper richten sich dann nicht nur gegen den ursächlichen Erreger, sondern auch gegen körpereigene Zellen – im Fall von SARS-CoV-2-Infektionen vor allem gegen das Lungengewebe. Der Kontrollverlust über das eigene Immunsystem trägt nach heutigem Kenntnisstand entscheidend zu schweren COVID-19-Verläufen bei.
Eine angemessene Immunantwort setzt also eine optimale Eigenregulation des Immunsystems voraus. Neuere Erkenntnisse zeigen, dass körperliche Fitness die Eigenregulation verbessert.
Die Frage, wie intensiv die körperliche Aktivität sein soll oder darf, ist nicht pauschal zu beantworten. Ausdauerbelastungen mit moderater Intensität (z. B. Radfahren mit einem Tempo von 15 – 20 km/h, Laufen mit einem Tempo von 5 – 8 km/h) wirken wahrscheinlich besonders günstig auf das Immunsystem. Belastungen werden je nach individueller Fitness unterschiedlich erlebt, daher können auch kurze und weniger intensive Bewegungseinheiten bei Untrainierten die Immunantwort optimieren.
Fest steht aber auch: Hohe Intensitäten schwächen das Immunsystem, weil sie das Immunsystem unter Stress setzen. Sportwissenschaftler sprechen vom „Open-Window-Effekt“: Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol werden freigesetzt, und die Anzahl der für die Immunantwort wichtigen Lymphozyten und Killerzellen fällt nach intensiver Belastung ab.
Das Immunsystem ist zudem mit Reparaturen kleinster Verletzungen in den Muskelstrukturen intensiv beschäftigt. So haben Krankheitserreger leichtes Spiel, das geschwächte und geplagte Immunsystem in dieser empfindlichen Phase zu überlisten. In der Folge kommt es zu Infekten, vornehmlich der Atemwege.
Die Dauer des Trainingsstresses ist individuell sehr unterschiedlich, kann aber bis zu 72 Stunden und mehr betragen. Einmal mehr gilt: Manchmal ist weniger mehr. Die obige Abbildung zeigt den Einfluss körperlicher Aktivität auf unser Immunsystem.
Ein hohes Lebensalter, ein unzureichend kontrollierter Diabetes, Übergewicht und begleitende Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind oft aufgeführte Gründe für ein erhöhtes Risiko einer SARS-CoV-2-Infektion und eines schweren Krankheitsverlaufs. Das Alter kann man nicht ändern, bestehende Erkrankungen lassen sich nicht wegzaubern, aber mit körperlicher Aktivität lässt sich das persönliche Risikoprofil günstig beeinflussen.
Regelmäßige Bewegung kann zu einer besseren Insulinempfindlichkeit und niedrigeren Glukosewerten beitragen, unsere Herz-Kreislauf-Fitness verbessern und die Gewichtskontrolle unterstützen. Zudem kann regelmäßige Bewegung Stress reduzieren, angstlösend und antidepressiv wirken (siehe folgenden Kasten).
Bewegung fördert:
Bewegung kann senken:
Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Die allgemeinen Hygieneregeln (gute Händehygiene, Husten- und Nies-Etikette, Abstandhalten und ggf. Raumlüften) sowie zeitliche und regionale Kontakt- und Ausgangssperren müssen selbstverständlich auch beim Sport beachtet werden. Darüber hinaus gelten in Zeiten der Pandemie ein paar weitere Spielregeln (siehe folgenden Kasten).
Heribert Jonkers hat die plötzlich gewonnene Freizeit während des Winter-Lockdowns positiv genutzt: durch mehr Bewegung sein Immunsystem gestärkt und seine Herz-Kreislauf-Fitness verbessert. Dass Jonkers damit nicht ganz falsch liegen kann, mag man auch daran sehen, dass mit dem Leiter der Virologie in der Berliner Charité, Prof. Dr. Christian Drosten, der wohl derzeit prominenteste Virologe Deutschlands regelmäßig seine Joggingschuhe schnürt – sicherlich nicht aus Langeweile.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (4) Seite 20-23
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