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Im letzten Beitrag der Blood Sugar Lounge vom 4. Juli 2022 wurde über die Genauigkeit und die dazugehörigen Anforderungen von CGM-Systemen berichtet. Dort wurde auch darauf hingewiesen, dass es Messwertunterschiede zwischen einem blutig gemessenen Wert und dem Sensorwert geben kann.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Blutglukosemessung (SMBG) und dem CGM besteht darin, dass die Messungen in unterschiedlichen Körperflüssigkeiten erfolgen: SMBG im Blut, CGM im Unterhautfettgewebe, also in der zwischenzellulären Flüssigkeit (wenn man sich einmal eine nicht blutende Schürfwunde zuzieht, tritt diese Flüssigkeit aus der Haut aus). Warum kann das nun Auswirkungen auf den angezeigten Glukosewert haben? Unter welchen Umständen stimmen die Glukosewerte überein und unter welchen Umständen nicht?
Die Situation kann man sich in Abb. 1 vergegenwärtigen [1,2]. Die Glukose tritt vom Blut ins Gewebe über und umgekehrt. Ist der Glukosespiegel stabil, d.h. treten nur geringfügige Schwankungen und keine wesentliche Änderung der Glukosekonzentration auf, dann ist der Wert im Blut und im Gewebe gleich. Erhöht sich z.B. nach dem Essen die Blutglukose, dann fließt sie vom Blut als „Glukosestrom“ in die Gewebsflüssigkeit. Das zeigt der rote Pfeil in Abb. 1. Dieser Glukosestrom tritt so lange auf, wie es Unterschiede in der Glukosekonzentration im Blut und im Unterhautfettgewebe gibt.
Wenn der Glukosewert im Blut ansteigt oder abfällt, so fließt ein Glukosestrom in das Gebiet, in welchem die Glukosekonzentration niedriger ist (StromBlut >Gewebe: Glukose fließt vom Blut in die zwischenzelluläre Gewebeflüssigkeit; Strom SGewebe > Blut: Glukose fließt aus der zwischenzellulären Gewebeflüssigkeit in das Blut; Strom SGewebe > Zelle: Glukose fließt aus der zwischenzellulären Gewebeflüssigkeit in die Körperzellen). Das geschieht so lange, bis in beiden Körperflüssigkeiten der gleiche Glukosewert herrscht (stabiler Glukosespiegel).
Also: Der Glukosesensor vom CGM misst einen anderen Glukosewert (nämlich die Gewebsglukose) als der Mensch, der sich die Glukose im Blut gemessen hat. Die Werte sind unterschiedlich, doch beide Werte sind richtig. Sie wurden nur in unterschiedlichen Flüssigkeiten bestimmt. So lange der Glukosestrom anhält, wird der Wert im Gewebe geringer sein als im Blut, weil der ganze Vorgang einige Minuten dauert. Beeinflusst wird der Wert im Gewebe noch dadurch, dass ein Teil des Glukosestromes in die Muskel- oder Fettzellen weiterwandert.
Wenn keine weitere Glukose aus dem Darm in das Blut geliefert wird, so verringert sich der Glukosestrom, bis er ganz versiegt, denn seine Intensität wird bestimmt von dem Unterschied des Glukosewertes im Blut und im Gewebe. Demnach ist bei gleichen Werten in beiden Flüssigkeiten die Situation stabil. Der angezeigte Wert auf dem Blutglukosemessstreifen und dem CGM-System ist in diesem Fall folglich auch gleich. Sinkt nun irgendwann der Glukosewert im Blut, so fließt der Glukosestrom diesmal in Richtung des Blutes, also vom Gewebe in das Blut. Auch in dieser Situation sind die Glukosewerte in beiden Flüssigkeiten so lange unterschiedlich, bis der Glukosestrom aufhört.
Abb. 2 zeigt die Verhältnisse anhand zweier gleichzeitig gemessener Glukosekurven im Blut (rote Kurve) und im Gewebe (blaue Kurve). Sie sind entsprechend zueinander verschoben. Diese Verschiebung zeigt sich als „time-lag“. Das ist die Zeit, die es dauert, bis mit dem CGM-System der gleiche Wert gemessen wird wie vorher mit SMBG. Dieser Zeitunterschied hängt davon ab, wie schnell der Glukosespiegel ansteigt.
Allerdings ist der „time-lag“ nicht immer gleich. Dieser hängt davon ab, wie schnell sich die Glukose im Körper ändert, und damit von der Art der Nahrung, die gegessen wird.
Werden z.B. Weintrauben gegessen, so steigt die Glukose schnell an, bei Pasta dagegen langsam. Wird der „time-lag“ bei Patienten bestimmt, die eine Standardmahlzeit gegessen haben (55% Kohlenhydrate, 30% Fett, 15% Eiweiß), dann liegt der zeitliche Unterschied beim Anstieg der Glukose bei ca. 13 Minuten und bei fallenden Glukosewerten bei ca. 17 Minuten [3]. Im Gegensatz dazu hängt dieser bei einer alltäglichen Mahlzeit von deren Zusammensetzung ab (Anteil Fett usw.). Und natürlich hängt das vom individuellen Stoffwechsel eines Menschen mit Diabetes selbst ab.
Ein Beispiel ist in Abb. 3 zu sehen [4]. In der horizontalen Achse (x-Achse) sind die Geschwindigkeiten aufgetragen, mit der sich die Glukose ändert. Diese Änderungen wurden durch Mahlzeiten bei Menschen mit Diabetes gezielt vorgenommen. Auf der senkrechten Achse sieht man die mittlere Abweichung, die MARD (beschrieben im Beitrag der BSL vom 4. Juli 2022). Sie charakterisiert hier die Abweichung von der Gewebe- zur Blutglukosekonzentration. Untersucht wurden zwei verschiedene Glukosesensoren.
Die Abweichungen werden umso größer, je schneller sich der Glukosespiegel im Blut ändert (bei Menschen ohne Diabetes liegen die Änderungsgeschwindigkeiten bei ca. 0,6 mg/dl/min, bei Menschen mit Diabetes im Normalfall bis 2 mg/dl/min, bei Mahlzeiten wie Weintrauben oder Instantsuppen liegen sie auch höher).
Für beide verschiedenen Glukosesensoren zeigt sich, dass mit wachsender Glukoseänderungsgeschwindigkeit die Abweichungen der Messwerte zwischen Blut und Gewebe zunehmen [4].
Es ist also zu beachten, dass bei der Messung der Glukose im Blut (SMBG) und im Gewebe (CGM) Unterschiede im Glukosemesswert auftreten, die sich aus der Messung in unterschiedlichen Körperflüssigkeiten ergeben und deshalb normal sind. Es gibt noch keine einheitliche Meinung, ob die CGM-Werte auf Blutglukosewerte umgerechnet werden sollen, ist doch das Blut eigentlich nur das Transportmittel u.a. für Glukose, was genutzt wird, weil man diese Körperflüssigkeit relativ leicht gewinnen konnte.
Bei einigen CGM-Systemen findet eine solche Umrechnung statt. In den letzten Jahren hat sich aber zunehmend durchgesetzt, die Glukosewerte des Glukosesensors für die Beurteilung des Glukosespiegels zu nutzen. Dazu trug bei, dass verschiedene CGM-Systeme werkskalibriert sind und auch nicht unbedingt kalibriert werden müssen (z.B. Dexcom G6, Guardian 4). Bei den Systemen von Abbott (FreeStyle Libre 1-3) kann der werkskalibrierte Sensor auch gar nicht kalibriert werden. Dadurch nehmen die Anwender nur selten Blutglukosemessungen zum Vergleich vor, trotzdem managen sie aber auf Grundlage der Messwerte im Gewebe ihre Therapie meist gut.
Bei Betrachtung der Kurven in Abb. 2 wird man feststellen, dass es auch gewisse Abweichungen in der Höhe der maximalen Auslenkung der Kurven gibt. Abweichungen treten auch nach schweren Hypoglykämien oder beim Sport auf. Auf diese Details wird im nächsten Beitrag der BSL eingegangen.
CGM – Continous Glucose Monitoring (kontinuierliche Glukosemessung)
SMBG – Self Measurement of Blood Glucose (Selbstmessung der Blutglukose)
BG – Blutglukose
GG – Gewebeglukose
MARD – Mean Absolute Relative Difference (mittlere absolute relative Abweichung)
[1] Rebrin K, Steil GM. Can Interstitial Glucose Assessment Replace Blood Glucose Measurements? Diabetes Technology and Therapeutics 2000; 2 (3): 461-472.
[2] Thomas A, Kolassa R, von Sengbusch S, Danne T. CGM interpretieren: Grundlagen, Technologie, Charakteristik und Konsequenzen des kontinuierlichen Glukosemonitorings. 2. Überarbeitete Auflage. Kirchheim-Verlag 2019; ISBN 978-3-87409-690-4.
[3] Kovatchev BP, Shields D, Breton M. Graphical and numerical evaluation of continuous glucose sensing time lag. Diabetes Technol Ther. 2009;11(3):139-43.
[4] Pleus, S, Schmid, C, Link, M, et al. Performance evaluation of a continuous glucose monitoring system under conditions similar to daily life. J Diabetes Sci Technol. 2013;7:833-841.
Die Serie zum Thema “Genauigkeit der CGM-Systeme” findet ihr direkt unter dem Profil von Dr. Andreas Thomas! Informiert euch und lasst gerne Kommentare da, falls noch Fragen offen sind!
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