- Eltern und Kind
Nachgefragt | Psychologie: Albtraum Diabetes-Manifestation?
3 Minuten
Sie haben medizinische und/oder psychosoziale Fragen bezüglich Kindern und Jugendlichen mit Diabetes? Die Experten des Diabetes-Eltern-Journals geben Ihnen in der Rubrik Nachgefragt Antwort!
Die Frage
Mitten im Lockdown 2020 ging es unserem dreijährigen Sohn Johann plötzlich sehr schlecht, er musste sich übergeben und war innerhalb von zwei Tagen kaum wiederzuerkennen. Der Kinderarzt diagnostizierte zunächst eine Magen-Darm-Infektion. Zuhause ging es Johann immer schlechter, sodass wir am nächsten Tag frühmorgens mit dem kaum noch ansprechbaren Kind in die Kinderklinik gefahren sind.
Relativ schnell war klar, dass Johann eine schwere Ketoazidose hatte und schon im Koma war. Das Gesicht der Kinderärztin werde ich nie vergessen, als sie mir sagte, dass es unserem Sohn „sehr, sehr schlecht“ ginge. Wegen der Corona-Maßnahmen durften mein Mann und die Geschwister uns nicht in der Klinik beistehen. Ich war viele Tage mit dem schwerkranken Kind und all meinen Ängsten allein in einem Zimmer der Klinik isoliert.
Noch heute verfolgen mich immer wieder Albträume und Angstattacken, wenn ich an die ersten Wochen mit Diabetes denke. Wie kann ich zur Ruhe kommen?
Nathalie N.
Die Antwort von Prof. Dr. Karin Lange
Sehr geehrte Frau N., ihre Schilderung berührt jeden zutiefst, der sich nur etwas mit Typ-1-Diabetes auskennt. Wir alle, wie auch die Kinderärzte und Kinderkliniken, waren in der ersten Phase der COVID-19-Pandemie sehr verunsichert und in großer Sorge um die Gesundheit aller. Entsprechend streng waren auch die Kontaktregeln in den Kliniken, die viele kranke Menschen extrem belastet haben. Leider gab es – wie bei Johann – auch eine Reihe von Kindern, bei denen ein neu aufgetretener Diabetes sehr spät erkannt wurde.
Sie selbst beschreiben die Situation als Albtraum, Fachleute würden ihre Hilflosigkeit und Verzweiflung als extremes Stresserlebnis, d. h. als eine Traumatisierung, bezeichnen. Solche seelischen „Verletzungen“ können Menschen körperlich und psychisch auf lange Zeit beeinträchtigen. Selbst wenn Betroffene versuchen, die Erinnerungen zu verdrängen, treten sie in Form von Albträumen oder sogenannten Flashbacks, d. h. plötzlichen Erinnerungen, wieder ins Bewusstsein. Erschöpfung, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, Konzentrationsprobleme, aber auch körperliche Stresssymptome können die Folge sein.
Jeder Mensch verarbeitet einschneidende Erlebnisse anders
Manchmal reichen ein zeitlicher Abstand zum Ereignis, klärende Gespräche mit den beteiligten Kinderärzten über diese schwere Zeit und die Erfahrung, dass es dem Kind dank einer modernen Insulintherapie wieder gut geht, aus, um das Trauma zu überwinden.
Aber letztlich verarbeitet jeder Mensch solche einschneidenden Erfahrungen etwas anders. Kommen weitere Belastungen hinzu, z. B. wenn die Diabetesbehandlung nicht gut gelingt oder ein Kind sich ständig gegen die Therapie wehrt, dann kann auch eine sogenannte posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) auftreten. Diese wird leider relativ häufig bei Müttern von sehr jungen Kindern mit Diabetes gesehen. Die von Ihnen beschrieben Symptome wie Albträume und Wiedererleben der Diagnose, aber auch Schlafstörungen, Verlust an Lebensfreude und Energie oder Schwierigkeiten in der Partnerschaft und im Umgang mit anderen Menschen können Hinweise auf eine PTBS sein.
Leider heilt die Zeit nicht alle Wunden
Die Erfahrung zeigt hier leider, dass „Zeit nicht alle Wunden heilt“. Auch wenn das Erlebte nicht mehr rückgängig zu machen ist, kann eine professionelle Psychotherapie helfen, die Erinnerungen so zu verarbeiten, dass die Lebensfreude wieder zurückkehrt.
An vielen Kinderkliniken gehört eine Psychologin oder ein Psychologe zum Diabetesteam. Die Kollegen können helfen, die Erinnerungen besser einzuordnen und Unsicherheit abzubauen. Sie unterstützen Eltern auch darin, wenn erforderlich einen Platz für eine gezielte Traumatherapie zu finden. Dabei geht es zunächst mit speziellen Methoden und Entspannungsübungen darum, besser mit immer wieder aufflammenden belastenden Erinnerungen umzugehen. Es folgt dann eine Phase, in der es darum geht, die Ereignisse neu einzuordnen und hilfreicher zu verarbeiten.
Letztlich geht es darum, die Diagnose des Diabetes zu akzeptieren und so in die eigene Zukunftsplanung aufzunehmen, dass er nicht mehr das ganze Leben beherrscht. Dabei heißt „Diabetes akzeptieren“ keinesfalls, ihn immer gut zu heißen. Er darf gerne ab und zu mal wieder „nerven“, aber er darf nicht ständig die Lebensqualität von Eltern und Kindern beeinträchtigen.
Was können Sie noch tun? Wenn Johanns Vater wegen der Pandemie noch an keiner Schulung teilnehmen konnte, sollten er und ggf. auch die Geschwister von Johann diese unbedingt nachholen. Das stärkt den Zusammenhalt der Familie. Auch ein Austausch mit anderen Eltern von jüngeren Kinder kann gute praktische Tipps vermitteln und Mut machen. Adressen finden Sie z. B. auf den Websites blood-sugar-lounge.de oder diabetes-kids.de oder bei Ihrer regionalen Selbsthilfegruppe.
Schließlich gibt es einige Rehabilitationskliniken, in denen Kinder mit Diabetes und ihre Eltern meist über 4 Wochen durch ein erfahrenes Diabetesteam betreut und für den Alltag körperlich und seelisch gestärkt werden. Informationen dazu finden Sie unter: Deutsche Rentenversicherung – Reha für Kinder und Jugendliche – Antrag auf eine Kinder-Reha: Fragen und Antworten (deutsche-rentenversicherung.de). Sprechen Sie dazu bitte Ihren Kinderarzt oder Ihre Kinderärztin an. Und achten Sie darauf, dass gezielt eine Klinik gewählt wird, die spezialisiert auf die Behandlung von Kindern mit Typ-1-Diabetes ist.
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2021; 12 (3) Seite 22-23
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cesta postete ein Update vor 1 Woche, 2 Tagen
Hallo zusammen, ich habe eine Frage an euch. Ich habe seit 4 Jahren Typ 1 LADA und bisher nur mit Basalinsulin ausgekommen. Seit 3 Wochen muss ich nun auch zu jeder Mahlzeit Humalog spritzen. Für die Berechnung wiege ich immer alles ab. Könnt ihr eine App empfehlen, die bei der Berechnung der Kohlenhydrate unterstützt? Oder habt ihr andere Tipps wie man sich daran gewöhnt? Ich wiege bisher alles ab und kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das zukünftig merken kann bzw. wie ich die Kohlenhydrate schätzen kann. Vielen lieben Dank für eure Hilfe! Liebe Grüße, Christa
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kw antwortete vor 1 Woche
Hallo cesta, ich habe gute Erfahrungen mit der WETID App gemacht. Hier erhältst du für fast alle Lebensmittel BE – Werte. Man kann auch das Portionsgewicht eingeben und erhält dann die entsprechenden BE’s.
Die App mit Werbung war bisher kostenlos. App ohne Werbung und im Abo ist besser.LG von kw = Kurt mit Diabetes Typ 3c
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moira antwortete vor 6 Tagen, 23 Stunden
Hallo Christa! Ich verwende die FDDB app. LG Sarah (Lada)
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cesta antwortete vor 6 Tagen, 10 Stunden
@kw: Vielen lieben Dank für den Tipp!
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cesta antwortete vor 6 Tagen, 10 Stunden
@moira: Vielen lieben Dank für den Tipp!
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sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 2 Wochen, 5 Tagen
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
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mayhe antwortete vor 2 Wochen, 5 Tagen
Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
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sveastine antwortete vor 2 Wochen, 4 Tagen
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
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mayhe antwortete vor 2 Wochen, 4 Tagen
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike
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sveastine antwortete vor 1 Woche, 2 Tagen
@mayhe: Hallo Heike, oh da hast du aber auch viel geschafft. Ja ich habe die Kinder mit Diabetes bekommen und meine Kinder sind 26,25,23 und bald 19 🥰….und wie du hoffe bald wieder fit zu sein. Beruflich wechsle ich jetzt vom Kinderhospiz wieder in die Krippe da es dort vorausschaubarer ist als im Schichtdienst. In der Hoffnung der Diabetes lässt sich dort wieder besser einstellen. Eigentlich sollte ich auch die Ernährung wieder umstellen, das weiß ich aber es fällt mir so schwer. Wie ist das da bei dir. Was machen deine Werte ? Viele Grüße Astrid
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mayhe antwortete vor 1 Woche, 2 Tagen
@sveastine: Hallo liebe Astrid, sag mal kann es sein, daß du in den Wechseljahren bist? Ich habe meine schon hinter mir, aber das war zuckertechnisch eine der schwierigsten Zeiten, weil ständig alles durcheinander war. Damals war ich allein 2 x in der Diabetes Klinik Bad Mergentheim zum Anpassen innerhalb von 3-4 Jahren. Die Hormonwirkungen waren der Wahnsinn. Jetzt ist es wieder deutlich ruhiger. Was hast du eigentlich für eine Versorgung? Pen? Pumpe? Insulin? Sensor?
Ich habe die Tandem tslim mit Sensor und Novorapid. Und das ist für mich der game changer gewesen. Seitdem werden die zuckertechnischen Anstrengungen auch mit guten Werten belohnt. Liebe Grüße Heike -
sveastine antwortete vor 1 Woche, 2 Tagen
@mayhe: Hi, ja ich bin in den Wechsel Jahren schon eine ganze Weile und nehme Hormone. Das ist denke ich ist der Hauptgrund der Schwankungen, aber das geht schon seit ca 3 Jahren so, was doof ist. Ich hab das gleiche System wie du tslim und Dexcom, trotzdem schwierig.aber für Bad Mergentheim lt. Diabetologe zu gut um die Genehmigung dafür zu bekommen 🤷🏻♀️
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mayhe antwortete vor 1 Woche, 1 Tag
@sveastine: Das ist ja witzig, das du dieselbe Versorgung hast. Also bist du da optimal versorgt. Jetzt verstehe ich deinen Frust. Nach den Behandlungen in Bad Mergentheim war es wenigstens eine Weile besser. Warst du schon mal in Reha wegen dem Zucker? Ist zwar nicht Bad Mergentheim, aber manche Rehakliniken machen das wohl echt gut. Du musst “nur” darauf achten, dass sie ein spezielles Angebot für Typ1er haben. Ich war 2019 in der Mediclin Klinik Stauffenberg, Durlach. Das war okay. Am wichtigsten fand ich den Austausch mit den Mitpatienten. Aber natürlich ist der Aufwand für dich bei 4 Kindern für 3 Wochen, sehr hoch. Und eine Garantie dafür das dann länger besser läuft gibt es nicht. Ich fand es aber immer wichtig, den zuckertechnischen Input und die Solidarität zu erfahren. Liebe Grüße Heike
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mayhe antwortete vor 1 Woche, 1 Tag
@mayhe: Nicht Durlach, sondern Durbach.
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stephanie-haack postete ein Update vor 2 Wochen, 6 Tagen
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
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lena-schmidt antwortete vor 2 Wochen, 6 Tagen
Ich bin dabei 🙂
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