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Sie haben medizinische und/oder psychosoziale Fragen bezüglich Kindern und Jugendlichen mit Diabetes? Die Experten des Diabetes-Eltern-Journals geben Ihnen in der Rubrik Nachgefragt Antwort!
Mitten im Lockdown 2020 ging es unserem dreijährigen Sohn Johann plötzlich sehr schlecht, er musste sich übergeben und war innerhalb von zwei Tagen kaum wiederzuerkennen. Der Kinderarzt diagnostizierte zunächst eine Magen-Darm-Infektion. Zuhause ging es Johann immer schlechter, sodass wir am nächsten Tag frühmorgens mit dem kaum noch ansprechbaren Kind in die Kinderklinik gefahren sind.
Relativ schnell war klar, dass Johann eine schwere Ketoazidose hatte und schon im Koma war. Das Gesicht der Kinderärztin werde ich nie vergessen, als sie mir sagte, dass es unserem Sohn „sehr, sehr schlecht“ ginge. Wegen der Corona-Maßnahmen durften mein Mann und die Geschwister uns nicht in der Klinik beistehen. Ich war viele Tage mit dem schwerkranken Kind und all meinen Ängsten allein in einem Zimmer der Klinik isoliert.
Noch heute verfolgen mich immer wieder Albträume und Angstattacken, wenn ich an die ersten Wochen mit Diabetes denke. Wie kann ich zur Ruhe kommen?
Sehr geehrte Frau N., ihre Schilderung berührt jeden zutiefst, der sich nur etwas mit Typ-1-Diabetes auskennt. Wir alle, wie auch die Kinderärzte und Kinderkliniken, waren in der ersten Phase der COVID-19-Pandemie sehr verunsichert und in großer Sorge um die Gesundheit aller. Entsprechend streng waren auch die Kontaktregeln in den Kliniken, die viele kranke Menschen extrem belastet haben. Leider gab es – wie bei Johann – auch eine Reihe von Kindern, bei denen ein neu aufgetretener Diabetes sehr spät erkannt wurde.
Sie selbst beschreiben die Situation als Albtraum, Fachleute würden ihre Hilflosigkeit und Verzweiflung als extremes Stresserlebnis, d. h. als eine Traumatisierung, bezeichnen. Solche seelischen „Verletzungen“ können Menschen körperlich und psychisch auf lange Zeit beeinträchtigen. Selbst wenn Betroffene versuchen, die Erinnerungen zu verdrängen, treten sie in Form von Albträumen oder sogenannten Flashbacks, d. h. plötzlichen Erinnerungen, wieder ins Bewusstsein. Erschöpfung, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, Konzentrationsprobleme, aber auch körperliche Stresssymptome können die Folge sein.
Manchmal reichen ein zeitlicher Abstand zum Ereignis, klärende Gespräche mit den beteiligten Kinderärzten über diese schwere Zeit und die Erfahrung, dass es dem Kind dank einer modernen Insulintherapie wieder gut geht, aus, um das Trauma zu überwinden.
Aber letztlich verarbeitet jeder Mensch solche einschneidenden Erfahrungen etwas anders. Kommen weitere Belastungen hinzu, z. B. wenn die Diabetesbehandlung nicht gut gelingt oder ein Kind sich ständig gegen die Therapie wehrt, dann kann auch eine sogenannte posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) auftreten. Diese wird leider relativ häufig bei Müttern von sehr jungen Kindern mit Diabetes gesehen. Die von Ihnen beschrieben Symptome wie Albträume und Wiedererleben der Diagnose, aber auch Schlafstörungen, Verlust an Lebensfreude und Energie oder Schwierigkeiten in der Partnerschaft und im Umgang mit anderen Menschen können Hinweise auf eine PTBS sein.
Die Erfahrung zeigt hier leider, dass „Zeit nicht alle Wunden heilt“. Auch wenn das Erlebte nicht mehr rückgängig zu machen ist, kann eine professionelle Psychotherapie helfen, die Erinnerungen so zu verarbeiten, dass die Lebensfreude wieder zurückkehrt.
An vielen Kinderkliniken gehört eine Psychologin oder ein Psychologe zum Diabetesteam. Die Kollegen können helfen, die Erinnerungen besser einzuordnen und Unsicherheit abzubauen. Sie unterstützen Eltern auch darin, wenn erforderlich einen Platz für eine gezielte Traumatherapie zu finden. Dabei geht es zunächst mit speziellen Methoden und Entspannungsübungen darum, besser mit immer wieder aufflammenden belastenden Erinnerungen umzugehen. Es folgt dann eine Phase, in der es darum geht, die Ereignisse neu einzuordnen und hilfreicher zu verarbeiten.
Letztlich geht es darum, die Diagnose des Diabetes zu akzeptieren und so in die eigene Zukunftsplanung aufzunehmen, dass er nicht mehr das ganze Leben beherrscht. Dabei heißt „Diabetes akzeptieren“ keinesfalls, ihn immer gut zu heißen. Er darf gerne ab und zu mal wieder „nerven“, aber er darf nicht ständig die Lebensqualität von Eltern und Kindern beeinträchtigen.
Was können Sie noch tun? Wenn Johanns Vater wegen der Pandemie noch an keiner Schulung teilnehmen konnte, sollten er und ggf. auch die Geschwister von Johann diese unbedingt nachholen. Das stärkt den Zusammenhalt der Familie. Auch ein Austausch mit anderen Eltern von jüngeren Kinder kann gute praktische Tipps vermitteln und Mut machen. Adressen finden Sie z. B. auf den Websites blood-sugar-lounge.de oder diabetes-kids.de oder bei Ihrer regionalen Selbsthilfegruppe.
Schließlich gibt es einige Rehabilitationskliniken, in denen Kinder mit Diabetes und ihre Eltern meist über 4 Wochen durch ein erfahrenes Diabetesteam betreut und für den Alltag körperlich und seelisch gestärkt werden. Informationen dazu finden Sie unter: Deutsche Rentenversicherung – Reha für Kinder und Jugendliche – Antrag auf eine Kinder-Reha: Fragen und Antworten (deutsche-rentenversicherung.de). Sprechen Sie dazu bitte Ihren Kinderarzt oder Ihre Kinderärztin an. Und achten Sie darauf, dass gezielt eine Klinik gewählt wird, die spezialisiert auf die Behandlung von Kindern mit Typ-1-Diabetes ist.
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2021; 12 (3) Seite 22-23
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