Ann-Fabienne Walz: Höhenflug mit Diabetes

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Ann-Fabienne Walz: Höhenflug mit Diabetes

Wie Ann-Fabienne Walz, 9 Jahre alt, Leistungsturnerin, und ihre Familie seit zwei Jahren mit Typ-1-Diabetes zurechtkommen, ist Thema in der Rubrik Lebensecht im Diabetes-Eltern-Journal 3/2013.

Das folgende Interview mit Irena Walz, der Mutter von Ann-Fabienne, ist schon vor einigen Monaten entstanden, zu einem Zeitpunkt, zu dem Ann-Fabienne ihre Pumpe, eine Accu Chek Combo, erst ganz neu hatte. Außerdem hat sie inzwischen den Verein gewechselt und trainiert jetzt nicht mehr beim TSV Jetzendorf, sondern beim TSV Unterföhring. Alle Aussagen in diesem Interview über ihr Training beziehen sich aber auf ihre damalige Trainingsgruppe beim TSV Jetzendorf.

Irena Walz erzählt im Interview sehr eindrücklich, welchen Weg sie und ihr Mann Thomas Walz gemeinsam mit ihrer Tochter gehen – wie sie darum kämpfen, dass Ann-Fabienne weiterhin ihren geliebten Sport ausüben kann, und wie sie versuchen, zur Normalität zurückzufinden.


Diabetes-Eltern-Journal: Frau Walz, wie wurde denn im Herbst 2011 festgestellt, dass Ann-Fabienne Diabetes hat?

Irena Walz: Ann-Fabienne hat damals viel trainiert, auch während der Sommerferien. Sie hat angefangen, sich vorzubereiten auf die Oberbayerische Mannschaftsmeisterschaft. Dafür hat sie auf vieles verzichtet. Ihr Team ist dann auch Oberbayerischer Meister geworden. Während dieser Meisterschaften habe ich ein bisschen ausgeholfen – ich bin ja selbst ehemalige Leistungsturnerin. Aber nur ab und zu, weil ich am Anfang nicht so gerne mit meiner Tochter in der Halle stand – ich war der Meinung, das tut ihr nicht gut.

Die Trainerin hat mir während des Wettkampfs immer wieder gewunken: „Du, die Ann-Fabienne muss wieder zur Toilette.“ Und ich sah auch, dass sie ganz unruhig an einigen Geräten stand. Ich dachte: Mensch, sie muss schon wieder zur Toilette, sie ist irgendwie erkältet.

Also, sie haben die Meisterschaften gewonnen, und mein Mann und ich haben uns gewundert, welche Leistung sie trotz der vermuteten Erkältung bringen konnte. Sie ist ja eine sehr ehrgeizige, starke Persönlichkeit, und wir müssen sie manchmal sogar ein bisschen runterholen und auf sie aufpassen.

Warum ist Ann-Fabienne so schlapp?
So zwei Tage danach, an einem ganz normalen Schultag, ist mir aufgefallen: Sie kommt jeden Morgen sehr schwer aus dem Bett. Sonst hat sie uns oft überrascht, wenn sie schon fertig angezogen und mit ihrer Tasche dastand. Jetzt aber war sie ganz knatschig, war nicht aus dem Bett zu kriegen und kam nur unter Weinen die Treppe hoch.

Als ich sie vom Hort abgeholt habe, ist sie nicht wie üblich rumgerannt. Ann-Fabienne rennt nämlich ständig, bewegt sich, turnt rum – egal, ob in der Früh oder am Nachmittag. Jetzt war sie immer ruhig, hing am Tisch, hat nur kurz gespielt. Und dann hat sie einmal in dieser Woche in der Nacht ins Bett genässt. Das gibt’s ja gar nicht, haben wir gedacht, das Kind muss ja total angeschlagen sein.

Mein Mann und ich hatten schon ein ganz schlechtes Gewissen: War das nicht ein bisschen zu viel gewesen mit dem Training? Wir mussten mal ein bisschen runterfahren. Einen Tag war sie sogar mal zu Hause, weil wir das Gefühl hatten, dass sie ein bisschen krank ist.

Mal geht es Ann-Fabienne gut, mal schlecht – was tun?
Aber nach einem Tag war alles wieder in Ordnung. Und wir haben beschlossen: Es ist Oktoberfest, da machen wir uns einen schönen Familientag. Schon auf der Fahrt musste sie zwei oder drei Mal auf die Toilette. Sie wollte überhaupt nichts mitmachen. Auf dem Karussell musste sie sich richtig festhalten – ich habe innerlich Angst bekommen. Um Gottes Willen!

Ich habe jede Sekunde gezählt, bis das Karussell aufgehört hat, und war total froh, als sie wieder unten war. Ann-Fabienne war weinerlich und wollte gern nach Hause. Das war sehr auffällig, und während der Fahrt nach Hause hat sie in den Sitz genässt, weil sie es nicht mehr aushalten konnte. Fieber hatte sie nicht, hat auch normal gegessen.

Aber es war klar: Am Montag gehe ich mit ihr zum Arzt. Am Sonnntagnachmittag war sie aber wieder wie ausgewechselt, hat im Garten geturnt, nix hat weh getan. Und Montag in der Schule war auch alles in Ordnung, Dienstag ebenso. Aber am Mittwoch war sie wieder total schlapp. Und hatte noch mal ins Bett genässt.


Nächste Seite: Nach kurzer Unsicherheit kommt die Gewissheit: Diagnose Typ-1-Diabetes.

Diabetes-Eltern-Journal: Und wie ging es dann weiter?

Irena Walz: Ich habe am Mittwoch – mein Mann war verreist – ein bisschen gezögert. Sie sollte am Samstag bei den Bayerischen Mannschaftsmeisterschaften mitmachen, dafür hatte sich ihre Gruppe ja qualifiziert. Wir hatten so ein bisschen, muss ich schon sagen, so ein bisschen Druck, denn sie war der Punktbringer.

Die Trainerin hat gesagt, lass sie lieber ein paar Tage zu Hause. Sie hat’s drauf, Hauptsache, sie erholt sich. Ann-Fabienne wollte natürlich gerne den Wettkampf mitmachen. Aber am Mittwoch haben wir gesagt: Nee, da stimmt was nicht. Ich habe mir schon Sorgen gemacht, dass das Kind psychisch belastet ist oder so.

„Mit dem Zucker stimmt was nicht!“
Ich bin dann mit ihr zu unserem Hausarzt und habe gefragt, was wir machen sollen. Er hat gesagt, sie soll Urin abgeben, wenn da alles in Ordnung ist, braucht sie einfach ein bisschen Ruhe. Wir saßen dann im Wartezimmer, und da hat man schon gemerkt: Eine Helferin rennt nach links, die andere nach rechts, innerhalb von wenigen Minuten waren zwei Arzthelferinnen bei uns, haben uns auf die Seite genommen:

„Mit dem Zucker stimmt was nicht. Er ist sehr hoch, hat sie gerade was gegessen, hat sie gerade eine halbe Tüte Traubenzucker in sich?“ „Ja klar“, habe ich gesagt, denn ich weiß, dass sie im Auto immer Bonbons hat. Wir sollten dann nach Hause fahren, drei Stunden nüchtern bleiben und gegen Abend noch mal zu einem Test kommen. Im Auto habe ich sie gefragt: „Zeig mir mal, welche Bonbons du gegessen hast!“ – Es waren zuckerfreie Bonbons!

Die übertreiben doch!
Ach du lieber Himmel! Ich habe meinen Mann angerufen: „Der Arzt hat einen Verdacht auf die Zuckerkrankheit. Aber ich denke, die übertreiben. Das kann doch einfach nicht sein!“ Ann-Fabienne hat gespielt, ich habe im Internet recherchiert und gedacht: „Nee, das kann nicht sein. Das kann einfach nicht sein, das ist Blödsinn.“

Nach drei Stunden sind wir wieder zum Arzt gefahren. Der Test wurde wiederholt, und jetzt wurden im Urin Ketone gefunden. Ich habe gesagt, dass sie jetzt vor Meisterschaften steht und so weiter. Wir sollten dann gleich in die Kinderklinik fahren und das abklären lassen. Der Arzt kennt uns sehr gut, und ich frage ihn noch: „Aber Sie übertreiben jetzt nicht?“ Und er sagt: „Das meine ich ganz, ganz ernst.“

Das kann doch nur vorübergehend sein …
In der Kinderklinik haben wir gut zwei Stunden gewartet. Ann-Fabienne hat Rad geschlagen, Handstand gemacht und im Flur rumgeturnt. Als die Ärztin sie dann untersucht hat, war sie total überrascht, wie niedrig ihr Puls war. „Betreibt ihre Tochter intensiver Sport?“, hat sie gefragt. „Ja, sie ist Leistungssportlerin, sie ist total fit“, habe ich geantwortet. Das war bei mir auch so ein Schutzsystem, ein innerer Schutzmechanismus: Da muss ein Irrtum vorliegen, sie hat nichts. Gleich sagen sie, das ist vorübergehend.

„Zu 95 Prozent ist es Diabetes“
Aber die Ärztin hat nichts gesagt, ist rausgegangen und kam mit einem Chefarzt wieder. Der hat uns relativ schnell, nüchtern und klar erklärt, was Sache ist: Dass sie die Diagnose Diabetes nicht definitiv bestätigten können und noch einige Untersuchungen und Tests machen müssen. Dass es aber zu über 95 Prozent sicher ist.

Es war Mittnacht, und jetzt endlich – Ann-Fabienne hatte sieben Stunden nichts gegessen und war schon sehr hungrig – durfte sie in ihr Klinikzimmer und sich richtig satt essen. Dann wurde der Blutzucker gemessen. Ich durfte mit im Zimmer übernachten. Sie haben gesagt, sie werden jede Stunde den Zucker messen. Wenn er runtergeht, sieht es gut aus, wenn nicht, sollen wir davon ausgehen, dass wir etwas länger im Krankenhaus bleiben müssen.

So war das Ganze. Wir waren zwei Wochen im Krankenhaus. Auf der Station war noch ein Kind in ihrem Alter – in einem schrecklichen Zustand, es war gar nicht mehr ansprechbar. Sie haben uns erklärt, dass das Kind auch Diabetes hat und schon in einem Dämmerzustand ankam. Die im Krankenhaus haben noch erzählt, dass manche Eltern sehr spät kommen, weil sie denken, das Kind hat die Grippe oder so etwas.


Nächste Seite: Diabetes – was bedeutet das nun für Fabienne und die Familie?

Diabetes-Eltern-Journal: Sie haben ja auch erzählt, dass sich Ann-Fabienne zwischendurch immer mal wieder gut gefühlt hat …

Irena Walz: Ja, sie hatte sich erholt, sie hat sogar noch trainiert in der Woche. Am Dienstag hat sie trainiert, am Mittwoch waren wir beim Arzt! Die Trainerin hat gesagt, dass alles in Ordnung ist. Wir haben uns halt daran geklammert, dass es ein Irrtum ist.

Diabetes – was bedeutet das für uns?
Ja, und dann ging das Ganze turboschnell los. Wir haben zuerst nicht gewusst, was das alles bedeutet. Wir hatten uns noch nie mit dem Thema Diabetes bei Kindern beschäftigt, wussten gar nicht, dass es so etwas bei Kindern gibt. Soweit uns bekannt ist, gibt es keine genetische Vorbelastung. Wir wussten auch gar nicht, was das jetzt bedeutet für uns alle.

Dann haben wir erfahren, das Kind bleibt jetzt zwei Wochen da und wir auch. Am Wettkampf teilzunehmen, ist nicht möglich – das war zunächst für Ann-Fabienne ein riesiges Drama und sehr, sehr schwer für sie. Ich bin die kompletten zwei Wochen mit im Krankenhaus geblieben. Bis auf zwei Tage, in denen ich mich mit meinem Mann abgewechselt habe, habe ich dort auch geschlafen. Mein Mann ist jeden Tag ins Krankenhaus gekommen.

Nach drei Tagen konnte ich nicht mehr!
ach drei oder vier Tagen ging es mir sehr, sehr schlecht. Bin mit verheulten Augen durch die Gegend gelaufen und habe versucht, meiner Tochter zu erklären, dass ich sehr stark erkältet bin. Aber Kinder erkennen das, wenn etwas nicht stimmt. Ich konnte nichts mehr aufnehmen, konnte meinem Kind nicht mehr helfen. Ich musste mich sortieren und selbst damit klarkommen. Und da war ich für eine Nacht zu Hause, ich habe einen Tag Abstand gebraucht, damit ich meinem Kind wieder helfen und es unterstützen kann.

Es hat nur einen Tag gedauert, aber dieser Tag war wichtig. Es war wirklich sehr, sehr schwer. Im Krankenhaus wurden wir toll unterstützt: Man bekommt Schulungen, wird auch psychologisch betreut. Aber ich habe erst gar nicht verstanden, warum alle so besorgt sind. Heute verstehe ich, dass das absolut notwendig war. Es war auch notwendig, dass die mit uns relativ nüchtern umgegangen sind.

Das kann doch nur vorübergehend sein …
In der Kinderklinik haben wir gut zwei Stunden gewartet. Ann-Fabienne hat Rad geschlagen, Handstand gemacht und im Flur rumgeturnt. Als die Ärztin sie dann untersucht hat, war sie total überrascht, wie niedrig ihr Puls war. „Betreibt ihre Tochter intensiver Sport?“, hat sie gefragt. „Ja, sie ist Leistungssportlerin, sie ist total fit“, habe ich geantwortet. Das war bei mir auch so ein Schutzsystem, ein innerer Schutzmechanismus: Da muss ein Irrtum vorliegen, sie hat nichts. Gleich sagen sie, das ist vorübergehend.

Erst einmal nur die wichtigsten Informationen, bitte
Für mich war es sehr schwer, Informationen aufzunehmen. Nach zwei Tagen habe ich die Psychologin unterbrochen und gesagt: „Seien Sie mir jetzt nicht böse, sie strengen sich jetzt so an, und ich weiß, Sie wollen uns helfen, aber ich muss für mich jetzt erst mal die wichtigsten Informationen wissen, damit ich weiß, woran ich bin. Dann bin ich in der Lage, meinen Kopf noch mal zu sortieren und einen Weg zu finden, das alles aufzunehmen und mitzumachen.

Ich möchte wissen: Wie lange lebt meine Tochter? Kann sie alles machen, kann sie Sport machen? Kann sie Kinder bekommen? Kann sie einen Partner haben und ein normales Leben führen?“ Ich musste in dem Moment einfach wissen, was die Diagnose für uns bedeutet, was noch auf uns zukommen kann, welche Folgeschäden es gibt, was das für unseren Alltag heißt.

Ich habe der Psychologin erklärt, dass ich weiß, dass ich ungeduldig bin, diese Dinge aber ganz einfach offen und ehrlich und ganz hart wissen will. Sie hat zu mir gesagt: „Jetzt setzen Sie sich mal hin, ich zeige Ihnen was.“

Dann hat sie ihr T-Shirt hochgehoben und mir ihre Insulinpumpe gezeigt und hat zu mir gesagt: „Passen Sie mal auf: Ich habe mit 16 Jahren Diabetes bekommen. Meine Mutter ist genauso zusammengekracht wie Sie hier. Ich bin geritten und habe Volleyball als Leistungssport betrieben. Das war damals dann alles verboten – heute ist das nicht mehr so. Wir hatten ein Blutzuckermessgerät so groß wie ein halber Koffer. Aber heute habe ich 30 Jahre Diabetes hinter mir, und ich habe einen Mann und zwei gesunde Kinder. Sie sehen es geht mir gut.“

Das Kind kann Sport machen!
Diese Worte haben mir in dem Moment geholfen. Ich habe mich sofort ein bisschen geschämt, dass ich mich so ausheule bei einer Frau, die selbst betroffen ist, aber es hat mir geholfen. Danach konnte ich alle Infos aufnehmen und habe dann auch fleißig mitgemacht. Und es wurde mir bestätigt: Das Kind kann Sport machen, soll Sport machen. Und sie kann auch Leistungssport machen, aber wir müssen sehen, inwieweit Ann-Fabienne sich das alles zutraut und ob es ihr damit gutgeht.


Nächste Seite: Wie Fabienne das alles aufgenommen hat und wie ihr der Sport dabei geholfen hat.

Diabetes-Eltern-Journal: Und wie hat Ihre Tochter das alles aufgenommen?

Irena Walz: Ich muss sagen, sie war ganz toll. Wir haben sie bewundert, und sie war auch in dieser Situation die größte Motivation für uns. Sie hat das so toll gemacht, sie hat sogar mit den Kinder auf der Station, die selbst betroffen waren, einen gewissen Ehrgeiz entwickelt: Die haben miteinander gewetteifert, wer als erstes selbst spritzt und sich deshalb als erstes einen richtigen Pen aussuchen darf.

Sie haben eine gute Konkurrenz entwickelt, auch zusammengehalten und miteinander Spaß gehabt, miteinander gejammert und gelacht. Ich denke, Erwachsene haben oft größere Schwierigkeiten mit einer solchen Situation als Kinder. Ich war sehr erstaunt, wie Kinder in der Lage sind, das in kurzer Zeit aufzunehmen.

Es wird nicht mehr alles so wie früher
Natürlich hat sie gesagt, dass sie es blöd findet mit dem Diabetes. Man hat schon bemerkt, sie beschäftigt sich damit, und wir haben versucht, ihr bereits im Krankenhaus zu vermitteln, dass sie alles machen kann, aber Insulin braucht, um gesund zu bleiben. Wir haben ihr aber auch vermitteln können, dass es jetzt nicht so ist, dass alles wieder so wird wie früher, wenn sie jetzt im Krankenhaus alles gut macht. Der Diabetes bleibt für immer, aber man kann gut damit leben und alles machen, was man möchte.


Diabetes-Eltern-Journal: Denken Sie, dass es Ihrer Tochter geholfen hat, dass sie sportlich so aktiv ist und auch im Sport diszipliniert an die Dinge herangehen muss?

Irena Walz: Tausendprozentig. Es ist nicht so ganz einfach, wenn ein so kleines Kind Leistungssport betreibt – auch im Umgang mit anderen. Viele verstehen das nicht und denken, da stehen ehrgeizige Eltern dahinter, die möchten irgendwelche Medaillen sehen. Es war immer schwer, zu vermitteln, dass das nicht stimmt, dass Ann-Fabienne das freiwillig macht. Aber unser Kind hat immer die Wahl gehabt, ob sie zum Turnen gehen möchte oder nicht.

Sie hat durch diesen Sport eine unglaubliche Disziplin entwickelt, ein enormes Selbstbewusstsein, absolutes Körperbewusstsein und Fitness. Und egal, ob sie jetzt erste oder auch siebte oder zehnte wurde, wir haben immer versucht, ihr zu vermitteln, dass die Platzierung ziemlich egal ist und wir sehr stolz sind, dass sie überhaupt so was mitmacht, dass sie einfach zeigt, was sie kann und dabei Freude hat.

Wir haben ihr immer gesagt: „Mach es, solange es dir Spaß macht, und wenn’s dir irgendwann keinen Spaß mehr macht, sag Bescheid, das ist doch überhaupt nicht schlimm. Es gibt noch vieles anderes, Sport ist gut, aber du musst es so nicht machen.“.

Der Sport hat Ann-Fabienne sehr geholfen
Aber es ist so: Wenn sie die Wahl hat, entscheidet sie sich immer für das Training. Auch in der Klinik wurde geguckt, ob Ann-Fabienne wirklich dahinter steht.

In beiden Krankenhäusern wurde erkannt, das Kind möchte das wirklich. Und jetzt bestätigen auch die Familie und die Freunde und Bekannten: Es war richtig, den Sport zu unterstützen und dahinterzustehen, weil es uns und vor allem ihr sehr geholfen hat bei der Bewältigung der Diagnose und der psychischen Belastung. Sie kann beim Sport völlig abschalten, sie ist da frei und nicht ständig mit Diabetes konfrontiert.

Thomas Walz, der Vater von Ann-Fabienne, wirft ein: Durch den Sport merkt sie, der Diabetes behindert mich nicht, ich bringe Leistung in meinen Sport, ich kann alles weitermachen wie bisher.

Irena Walz fährt fort: Sie hat erkannt und erlebt: Ich habe Diabetes bekommen, und es ist bestimmt am Anfang ein bisschen anstrengend gewesen. Dass meine Eltern sich dauernd einmischen, geht mir manchmal auf die Nerven. Nichtsdestotrotz kann ich weiterhin alles machen und habe auch Erfolge, zum Beispiel bei den Oberbayerischen Meisterschaften im Einzelturnen – trotz Diabetes und trotz mehrerer Monate Trainingsausfall.

Ich denke, es hat wahnsinnig geholfen, dass sie es schon gewohnt war, einen disziplinierten Tagesablauf zu haben: Sie war es gewohnt, am Samstag um 8.30 Uhr in der Halle zu stehen. Auch bevor der Diabetes da war, musste sie vor dem Training frühstücken, ob sie Hunger hatte oder nicht. Sie war schon mit sechs Jahren gewohnt, klare Abläufe zu haben, sonst hätte sie das nicht machen können – und ein disziplinierter Ablauf ist ja auch beim Diabetes das A und O.

Was machen wir, wenn Ann-Fabienne den Sport aufgeben muss?
Auch wenn es anstrengend ist für uns: Es ist wichtig, dass wir sie unterstützen, dass sie weiter turnen kann. Wir haben erst spät realisiert, was Typ-1-Diabetes ist und haben einfach nicht damit gerechnet, dass ein so sportliches Kind Diabetes bekommt, weil man es ja eher von älteren Leuten kennt.

Wir hatten erst Panik: Was machen wir, wenn das Kind sich gar nicht mehr bewegen oder sporteln darf? Was machen wir mit ihr? Das konnten wir uns überhaupt nicht vorstellen. Sie liest gerne, ist gut in Mathe, sie macht es uns wirklich leicht und hat bis jetzt nur gute Noten. Sie kann also auch viele andere Sachen machen.

Aber: Der Sport, die Bewegung an sich ist für Ann-Fabienne ganz, ganz wichtig. Wäre der Sport weggefallen, hätten wir ein Problem gehabt, auch ein psychisches Loch.


Nächste Seite: Wie Fabienne nach der Diagnose wieder ins Training eingestiegen ist

Diabetes-Eltern-Journal: War es denn nach der Diagnose so problemlos, wieder einzusteigen? Wie haben die Trainer reagiert?

Irena Walz: Wir haben uns auch gefragt: Wie geht das jetzt weiter? Wie wird das funktionieren? Wir können doch die Verantwortung nicht auf die Trainer übertragen. Wir hatten große Bedenken. Gut war, dass wir schon während des Klinikaufenthalts mehrmals mit der Trainerin telefoniert haben. Ein oder zwei Mädchen aus ihrer Gruppe haben sie auch besucht.

Klare Entscheidung für das Turnen
Wir haben der Trainerin gesagt, dass wir alles dafür tun, dass Ann-Fabienne fit wird, und dass Ann-Fabienne unbedingt weitermachen möchte. Wir mussten uns natürlich auch um die Schule kümmern. Außerdem hat Ann-Fabienne ja noch Flöte gespielt und ist sogar zum Schwimmverein gegangen.

Es war sehr viel, wir haben dann die Entscheidung getroffen: Wir lassen die Flöte und das Schwimmen und entscheiden uns klar für das Turnen. Wenn Ann-Fabienne einmal ein Instrument spielen oder einen anderen Sport machen will, kann sie das machen – sie ist erst sieben und hat Zeit genug.

Bei allen Trainings mit dabei
Mehrere Monate waren wir dann bei allen Trainings dabei – also viermal die Woche. Ich habe ja schon früher ein bisschen ausgeholfen, und jetzt habe ich mich bereiterklärt, auch als Aushilfe/Co-Trainerin einzusteigen. Zweimal in der Woche mache ich das jetzt, obwohl es nicht ganz so toll für meine Tochter ist, wenn die Mama immer im Hintergrund ist.

Aber sie hat sich jetzt positiv damit abgefunden. Sie weiß jetzt, wenn ich dabei bin, bin ich nicht unbedingt die Mama. Ich schaue nicht zehnmal nach meiner Tochter, es ist der ganz normale Ablauf. Und da kann ich auch strenger werden, wenn es sein muss.

Keiner konnte uns sagen, was wir machen sollen
Mein Mann und ich, wir wechseln uns ab. Er ist aber in der Halle nicht dabei, sondern geht dann draußen spazieren und kommt zu den Messzeiten herein. Wir lernen gemeinsam mit unserer Tochter, wie der Körper reagiert, wenn er unter großer Belastung ist.

Denn keiner – und das war die große Erschwernis am Anfang – keiner konnte uns genau sagen, was wir tun sollen. Es gibt zwar sehr viele Schemata für Diabetes und Sport, aber keins, das genau für Ann-Fabienne passt. Einige Informationen haben wir dann von dem Sprinter Daniel Schnelting bekommen, mit dem wir auch jetzt noch regelmäßig in Kontakt sind.

Gesucht: individuelle Betreuung
Und wir haben auch eine andere ärztliche Betreuung gesucht. Das Kinderkrankenhaus, in dem wir zuerst waren, ist ein ganz tolles Krankenhaus, auch fachlich supergut. Aber es gibt eben nur eine Ärztin für alle Diabeteskinder, und es ist deshalb nicht möglich, uns ein bisschen intensiver zu begleiten.

Wir haben dann gesucht, gesucht, gesucht und haben schließlich entdeckt, dass die TU München auch in der Diabetesforschung aktiv ist. Ich habe Kontakt aufgenommen und wurde an Frau Dr. Katharina Warncke vom Klinikum Schwabing verwiesen. Sie ist Diabetologin an der Kinderklinik München Schwabing und Wissenschaftlerin der Forschergruppe Diabetes der TU München. Dort sollte eine individuellere Betreuung möglich sein.


Diabetes-Eltern-Journal: Hat sich bewahrheitet?

Irena Walz: Ja, in Schwabing sind drei Diabetologen da, d. h., wenn einer mal nicht da ist, gibt es noch andere Ansprechpartner. Frau Dr. Wanke ist Wissenschaftlerin und hat außerdem als Kind selbst intensiv Fußball gespielt – sie weiß, was Wettkämpfe bedeuten, sie kennt die Angst, irgendwo nicht dabei zu sein.

Sie ist Ärztin mit Leib und Seele und ist wirklich sehr individuell auf uns eingegangen. Sie hat mir auch die Angst genommen, zu fragen. Ich dachte immer, wir nerven ständig mit dem Sport. Aber sie hat gesagt: „Fragen Sie ruhig!“ Es hilft uns sehr, sehr, sehr, dass wir jemanden gefunden haben, der individuell auf uns eingeht.

Auch beim Training sind wir sehr froh, dass die Trainerin so verständnisvoll ist und das alles mitmacht: Wir müssen messen, essen, es gibt für Ann-Fabienne auch mal etwas mehr Pausen, und wir Eltern sind ständig vor Ort, weil wir einfach eine gute Einstellung suchen. Wir haben der Trainerin erklärt, dass Ann-Fabienne mit guten Werten alles machen kann. Gute Werte sind machbar – aber dafür brauchen wir Zeit.


Nächste Seite: Wie die anfängliche Einstellung geklappt hat und wie die Entscheidung für die Pumpetherapie fiel.

Diabetes-Eltern-Journal: Haben Sie jetzt eine gute Möglichkeit gefunden, eine gute Einstellung zu erreichen? Sind Sie zufrieden?

Irena Walz: Wir haben beim Wechsel der Krankenhäuser die Therapie verändert und haben angefangen, die Basalrate (Lantus) auf morgens und abends zu verteilen. Wir haben ein paar Wochen oder sogar Monate versucht, die richtige Insulinmenge zu finden: messen im Training, vor dem Training, nach dem Training und nachts – das gehört dazu, bis heute.

Deswegen war ich so glücklich, als ich das Diabetes-Eltern-Journal bekam und auch von der Familie Selle gelesen habe, deren Zwillingsmädchen mit Diabetes Leistungsschwimmerinnen sind. Schau, Thomas, habe ich zu meinem Mann gesagt, wir sind nicht ganz alleine in der Welt, da hat jemand die gleichen Probleme.

Ann-Fabienne soll behandelt werden wie alle anderen
Wir möchten natürlich auch nicht, dass unser Kind irgendwo aus der Reihe fällt. Ann-Fabienne soll auch nicht geschont werden, sondern so behandelt werden wie alle anderen auch. Aber da ich selbst Leistungsturnerin gewesen bin, weiß ich: Es kann auch mal strenger und stressiger werden.

Wir haben dann erkannt, dass in dem Moment, in dem das Adrenalin sehr, sehr hoch ist, das Ganze kippt, auch unsere Therapie. Ann-Fabienne kommt dann mit ganz hohen Werten aus dem Training raus, und wir kriegen das nicht mehr gebacken.

Die Trainerin hat sich Zeit genommen
Damit Ann-Fabienne früher oder später wieder alleine turnen kann, habe ich mich nach ein paar Monaten mit der Trainerin zusammengesetzt, und sie hat sich wirklich Zeit genommen. Es ist ja so: Als Eltern haben sie Verantwortung. Und wenn Sie Ihr Kind jemandem anvertrauen und wissen, dass derjenige mit ihrem Kind ein bisschen mehr zu tun hat, dann fragen Sie sich als Eltern immer: Funktioniert das? Ich habe der Trainerin alles aufgeschrieben, was wichtig ist, was gemacht werden muss bei Unterzucker, Überzucker …


Diabetes-Eltern-Journal: Das war sicher alles eine sehr große Belastung für Sie …

Irena Walz: Irgendwann waren wir Eltern an der Grenze und sind blass wie die Geister durch die Gegend gelaufen: Von den 182 Tagen seit der Diagnose haben wir nur 26 Tage durchgeschlafen. Als wir diese Statistik für uns gemacht haben, waren wir selbst erstaunt, wie wenig wir durchgeschlafen haben und was der Mensch alles schaffen kann.

Aber uns war auch klar: So kann es nicht weitergehen. Wir haben mit unserer Ärztin gesprochen, und die hat auch gesagt, dass es eine gute Entscheidung wäre, doch auf die Pumpentherapie umzustellen.

Entscheidung für die Pumpe
Deshalb haben wir gesagt: Nein, wir machen jetzt hier einen Cut, wir machen das jetzt mit der Pumpe. Sie hat jetzt seit Pfingsten (2012, Anm. d. Redaktion) eine Accu Chek Combo von Roche, und wir sind mit ganz starker Unterstützung von Frau Dr. Warncke und der Trainerin dabei, einen guten Weg zu finden.

Seit Montag hat die Schule angefangen, alles ist noch ein bisschen Durcheinander. Aber tagsüber sind die Werte jetzt deutlich, deutlich stabiler, das erstaunt uns extrem. Wir benutzen auch den Bolusrechner; auch die Fernbedienung haben wir Ann-Fabienne zugetraut. Das macht ihr Spaß und motiviert sie – es ist ein bisschen wie ein Handy und sie findet es großartig. Es gibt natürlich immer wieder Ausreißer, und wir sind noch dabei, den Weg zu suchen, aber es ist alles deutlich stabiler geworden.

Auch für das Training einen guten Weg suchen
Die große Aufgabe der nächsten Monate wird sein, im Training zurechtzukommen. Mit der Pumpe kann sie natürlich nicht turnen. Sie benutzt jetzt einen Teflon-Katheter. Zwei Tage, bevor die Pumpe kam, durfte sie Katheter zur Probe tragen, ist damit auch zum Training gegangen und hat damit Vorwärts- und Rückwärtsrolle versucht, um zu testen, ob ihr das weh tut, ob sie damit gut klar kommt. Auch die Hilfestellung von der Trainerin wurde ausprobiert, und es hat gut funktioniert.

Sie muss die Pumpe fürs Turnen abkoppeln. Man darf die Pumpe 1,5 bis maximal 2 Stunden abkoppeln, das Training dauert aber auch mal drei Stunden. An Trainingstagen wird den ganzen Tag geturnt, das sind zwei bis drei Blocks am Tag. Dafür müssen wir einen Weg finden. Wird sie Insulin brauchen oder nicht? An welchem Tag braucht sie wie viel? Wo braucht sie Korrektur, wo braucht sie Anpassung, wann etwas zu essen? Wir müssen wieder alles ausarbeiten.

Auf jeden Fall ist die Trainerin da richtig reingewachsen, und ich habe das Gefühl, dass Ann-Fabienne dazugehört und gut aufgenommen und unterstützt wird. Das ist uns sehr, sehr viel wert. Dafür hat sich alle Mühe gelohnt.

Die Nächte knacken für schöne Träume
Und wir müssen auch die Nächte knacken, damit jeder in dieser Familie mal wieder schön träumen kann. Für uns ist das in diesem Jahr die große Aufgabe, die wir gerne bewältigen möchten. Aber wenn es länger dauert, ist es halt so.


Nächste Seite: Wie die anfängliche Einstellung geklappt hat und wie die Entscheidung für die Pumpetherapie fiel.

Diabetes-Eltern-Journal: Was würden Sie anderen Eltern raten?

Irena Walz: Nicht alles hinzuschmeißen, sondern weiterzumachen, obwohl die Diagnose Diabetes eine riesige Veränderung mit sich bringt. Wichtig ist auch, nicht alles mit übertriebenem Ehrgeiz zu verfolgen, denn dann entsteht noch mehr Druck – das habe ich am Anfang erkannt, das funktioniert nicht. Je mehr ich mich unter Druck gesetzt habe, und je mehr ich gute Werte wollte, umso weniger hat es funktioniert.

Und das alles in ein paar Wochen wieder genauso läuft wie zuvor – davon sollte man ein bisschen wegkommen. Also: nicht aufgeben, weitermachen, das Kind unterstützen in den täglichen Aktivitäten, die es auch vorher gab und sich auch einfach mal gedulden.

Diabetes: ein Lernprozess für alle
Ich bin selbst ein relativ ungeduldiger Mensch. Für mich ist es deshalb ein genauso großer Lernprozess wie für meine Tochter, für mich mit meinen 43 Jahren vielleicht ein noch größerer. Geduld ist dabei das A und O. Machen, machen, machen – auch wenn das Kind sporteln oder jeden Tag auf dem Kopf stehen möchte.

Ein Schock war es auf alle Fälle. Aber inzwischen bin ich es manchmal müde, immer wieder die Frage zu beantworten: Mensch, wie macht ihr das alles? Meistens wird auch gefragt: Sag mal, kann sie noch Sport machen? Am Anfang habe ich immer versucht, alles genau zu erklären. Jetzt sage ich: Sie muss Sport machen. Sie muss keine Leistung bringen, aber sie soll und muss sich bewegen.

Manchmal ist es schwer, sich mal ein bisschen vom Diabetes zu distanzieren, vor allem in einer Einstellungsphase. Dann ist man ständig mit irgendwelchen Zahlen beschäftigt. Es ist schwer, und das Kind kriegt das natürlich mit. Aber irgendwann mal, hoffen wir, dass es ein bisschen weniger wird.

Diabetes-Eltern-Journal: Sie lernt ja auch selbst immer mehr dazu, misst sich vielleicht zum Teil schon selbst, sie wird ja auch selbständiger …

Irena Walz: Auf alle Fälle, aber wir haben einen langen Weg vor uns, und wir müssen mit der Situation einfach umgehen. Wenn jemand fragt, wie geht’s dir, dann antworte ich im Moment: „Du, pass mal auf, ich bin im Moment auf einer Weltreise, die dauert einfach, frag mich in zwei Jahren noch mal, im Moment reise ich.“

Das ist meine Standardantwort, und es ist im Moment vom Gefühl her wirklich so. Wir versuchen, die Richtung zu finden. Es ist schon eine Achterbahn. Wir versuchen, weiterzumachen.

Diabetes-Eltern-Journal: Frau, Walz, Herr Walz, vielen Dank für das informative Gespräch und alles Gute für die Zukunft!


Hier können Sie sich einen Video-Beitrag von dachau-tv.de über Fabienne ansehen:


Interview: Nicole Finkanuer-Ganz

Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstra0e 41, 55116 Mainz, Tel.: (06131) 9 60 70 0,
Fax: (06131) 9 60 70 90, E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

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