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Drei aktuelle Gerichtsentscheidungen können für Eltern eines Kindes mit Diabetes erhebliche Erleichterung bringen. Denn sie stellen klar: Der Staat muss für ein Kind mit Diabetes die Kosten einer Begleitperson übernehmen, falls dies für Kindergarten/Schule bzw. Schulausflüge erforderlich ist. Das Einkommen der Eltern darf dabei keine Rolle spielen.
Der Diabetes sorgt bei Kindern in Kindergarten und Schule oft für Probleme, vor allem, wenn das Kind nicht selbst den Blutzucker messen bzw. spritzen kann. Meist sind Lehrer engagiert und übernehmen freiwillig notwendige Überwachungs- und Hilfsaufgaben – das Kind kann normal am Unterricht teilnehmen. Manchmal klappt das aber nicht: Dann ist ein Verbleib in der Schule (oder die Teilnahme an Schullandheim, Klassenfahrten) nur möglich, wenn sichergestellt ist, dass nichts passiert.
Denkbar wäre, dass ein Elternteil die Aufgaben übernimmt; dies ist gerade bei Alleinerziehenden oft nicht möglich und auch nur begrenzt zumutbar. Häufig wird eine Begleitperson benötigt, die den Blutzucker misst, die Insulingabe und Mahlzeitenaufnahme sicherstellt etc. Für eine solche Person entstehen natürlich erhebliche Kosten, die sich viele Eltern nicht leisten können.
Seit Jahren steht in §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch (SGB) XII, dass Kinder mit Behinderung (Diabetes!) vom Staat die Unterstützung (Eingliederungshilfe) bekommen müssen, die für einen Schulbesuch erforderlich ist. Für medizinische Leistungen (Blutzuckermessen, Insulinspritzen) kann bei der Krankenkasse eine entsprechende Hilfeleistung beantragt werden. Auch können Eltern einen Antrag auf Integrationshilfe (Integrationsamt) stellen. Wird der Antrag bewilligt, kann z. B. eine Begleitperson oder ein Pflegedienst dauerhaft oder regelmäßig nach dem Kind schauen.
Die Integrationshilfe soll es Betroffenen ermöglichen, einen Regelkindergarten bzw. eine Regelschule zu besuchen. Alternativ können Eltern gemäß § 57 SGB XII ein persönliches soziales Budget beantragen – eine monatliche Geldleistung, mit der eine Begleitperson beauftragt und bezahlt werden kann. Viele Eltern wissen nicht, dass es die Ansprüche gibt. Und oft werden Anträge auf eine Begleitperson von den Ämtern bzw. der Krankenkasse unberechtigt abgelehnt – oder es kommt zu einer Bewilligung, aber das Einkommen der Eltern wird angerechnet.
Drei aktuelle Gerichtsentscheidungen stellen klar, dass Kinder mit Diabetes im Bedarfsfall Anspruch auf notwendige Assistenzleistungen bzw. eine Begleitperson haben, wenn dies für die Teilnahme am Schulunterricht erforderlich ist (gilt auch für Klassenfahrten, Schullandheim).
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 18.01.2017, L 15 SO 355/16 B ER) hat die Behörde verpflichtet,
“die Kosten eines Einzelfallhelfers für die Antragstellerin mit den Aufgabengebieten Blutzuckermessungen vor und nach dem Sportunterricht, Hilfe bei Unterzuckerungs- oder Überzuckerungssymptomen sowie Interpretation von Blutzuckerwerten, Erkennen und sofortige adäquate Behandlung von Unter- und Überzuckerungen und Anpassung der Kohlehydratmenge bei Diabetes mellitus Typ I für jeweils 15 Minuten vor Beginn des Sportunterrichts bis einschließlich 15 Minuten nach dem Ende des Sportunterrichts ohne Kostenbeitrag der Antragstellerin oder ihrer Eltern zu übernehmen”.
Das Gericht macht klar, dass das Einkommen der Eltern gemäß § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII nicht herangezogen werden darf.
Auch das Sozialgericht Fulda (Beschluss vom 25.01.2017, S 7 SO 78/16 ER) hat im Eilverfahren entschieden, dass der Vogelsbergkreis die Kosten für die persönliche Schulbegleitung eines Erstklässlers mit Diabetes übernehmen soll. Erfreulich: Laut Sozialgericht ist die Integrationshilfe von der bloßen Krankenkassenleistung zu unterscheiden. Die Begleitperson sei nicht zuerst
“darauf ausgerichtet, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern. Vielmehr sollen die begehrten Leistungen darauf hinwirken, gerade den Besuch der Schule objektiv zu ermöglichen, was ohne die Assistenz nicht bzw. nur mit erheblichen und für den Antragsteller nicht hinnehmbaren Einschränkungen möglich wäre.” […]
Es sei auch
“nicht einzusehen, […] dass entweder die Lehrkräfte ungeachtet des bestehenden Haftungsrisikos und unter Beeinträchtigung des laufenden Schulbetriebes oder aber die Mutter des Antragstellers neben ihrer Vollzeittätigkeit unter Inanspruchnahme ihres Überstundenkontingents weiterhin die Beaufsichtigung im Rahmen der geschilderten ‚Notlösung‘ übernehmen”.
Der Landkreis reichte dagegen Rechtsmittel ein, die Beschwerde wurde aber vom Hessischen Landessozialgericht (Beschluss vom 15.03.2017, L 4 SO 23/17 B ER) mit klaren Worten zurückgewiesen. Das Landessozialgericht hat ausdrücklich klargestellt, dass für solche Fälle ein Eilverfahren zulässig ist, denn dem Kind ist
“das Abwarten einer Hauptsacheentscheidung nicht zuzumuten, da ohne die streitgegenständlichen Leistungen sein Schulbesuch gefährdet ist”.
Die Entscheidungen sind rechtskräftig.
Mehr dazu unter: www.diabetes-und-recht.de
von Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart oder
Friedrichstraße 49, 72336 Balingen
E-Mail: Sekretariat@rek.de
Internet: www.diabetes-und-recht.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (6) Seite 50-51
5 Minuten
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