Aufgaben schrittweise übertragen!

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Aufgaben schrittweise übertragen!

In Deutschland leben rund 30.000 Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren mit Typ-1-Diabetes. Jährlich kommen etwa 2.300 Neuerkrankungen bei Heranwachsenden bis zum 14. Lebensjahr dazu. Laut Prognosen wird sich die Zahl Neuerkrankter bei Kindern unter 5 Jahren bis zum Jahr 2020 verdoppeln. Dazu kommt bei vielen eine Glutenunverträglichkeit mit dem Krankheitsbild der Zöliakie – bei bis zu 10 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes (Gesamtbevölkerung: 0,5 bis 1 Prozent).

Nach der Diagnose Typ-1-Diabetes in der Familie: Wie schafft man es als Erwachsener, die nun erforderlichen Dinge ins Leben zu integrieren – ohne zu überziehen, ohne zu sorgolos zu sein, ohne alle zu überfordern? Sara Meiners hat seit drei Wochen jede Nacht mehrfach den Blutzucker ihrer dreijährigen Tochter Leonie gemessen. Seit die 34-Jährige weiß, dass ihre Kleine Typ-1-Diabetes hat, bemüht sie sich, alles unter Kontrolle zu behalten. Das geht ziemlich unter die Haut: Sie hat abgenommen, Augenringe zeigen den Schlafmangel – und ihre Nerven liegen blank.

Mehr Sicherheit durch Gespräche mit Behandlern und anderen Eltern

Wie gelingt es, nötige Kontrollen bei Blutzuckermessungen und Nahrungsaufnahme zu integrieren und dabei Spontanität, Unbeschwertheit und Lebensfreude zu bewahren? Natürlich bedeutet die Diagnose Typ-1-Diabetes ständige Beobachtung: Blutzuckerwerte checken, was und wie viel wird gegessen, wie viele Kohlenhydrateinheiten müssen dafür berechnet werden? Sind Traubenzucker, Ersatzkatheter, Blutzuckermessgerät für unterwegs eingepackt? Für eine 3-Jährige müssen die Erwachsenen all das im Blick und Kontakt zum Arzt haben.

Sara Meiners kann heute wieder durchschlafen. Mutter und Kind waren bereits zur Diagnose im Krankenhaus – jetzt kamen sie wieder zur Neueinstellung in die Klinik. Dort konnte alles offen besprochen werden. Leonies Mutter hat nun mehr Sicherheit – dank der Gespräche mit Ärzten, Psychologen, Diabetes- und Ernährungsberatern sowie durch das Erleben anderer betroffener Eltern. Sie hat erkannt, welchen Verantwortungsdruck sie sich aufgeladen hat, wie schlecht sie Zuständigkeiten abgeben kann.

Ängste erkennen, souverän agieren

Die Mutter lernt sich und ihre Ängste besser kennen, und es gelingt ihr zunehmend, damit souveräner umzugehen. Inzwischen bindet sie auch ihren Mann mehr ein. Das Paar kommuniziert insgesamt mehr und besser. “Dafür ist Leonies Diabetes-Diagnose gut gewesen”, erzählt sie inzwischen sogar schmunzelnd. Sie hat verinnerlicht, dass nächtliche Blutzuckerkontrollen meistens sogar unnötig sind.

Sicher gibt es Ausnahmen, falls ein konkreter Anlass für ein erhöhtes Risiko einer Unterzuckerung gegeben ist: zum Beispiel besonders intensives abendliches Toben, Sport, ein Infekt oder Kindergeburtstag. Einerseits also routiniert-gleichförmige Abläufe, die zur Entspannung beitragen – anderseits eine erhöhte Aufmerksamkeit auf die kleinen Abweichungen im Alltag. Ein Balanceakt, der nicht immer gleich gut gelingen kann. Meist lassen sich Spannungen sogar am Blutzuckerwert des Kindes ablesen.

Gerade wenn Paare einen unterschiedlichen Umgang mit der Diabetestherapie pflegen, können Konflikte zwischen den Partnern auftauchen: Da wirft der Vater der Mutter schnell mal “Zwanghaftigkeit” vor und die Mutter kontert mit “Verantwortungslosigkeit”; diese Schuldzuweisungen helfen niemandem. Im besten Fall dienen sie dazu, Dampf abzulassen.

Danach braucht es Gespräche ohne Vorwurfshaltung, gutes Zuhören, Spüren, wo Ängste des Gegenübers stecken – und das Festlegen klarer Vereinbarungen. Manchmal steckt mehr dahinter, und therapeutische Sitzungen öffnen den Blick auf Grundprobleme beim Vertrauen in der Beziehung etc.

Wenn Eltern schwierig werden …

Auch in der Pubertät hat Diabetes seine Tücken: Das weiß auch der 14-jährige Frederic. Er ist genervt, verteidigt vehement die Liste mit seinen Blutzuckerwerten vor den neugierigen Blicken seiner Mutter. Er will zunehmend eigenverantwortlich mit seiner Krankheit umgehen. Für seine Mutter Janina Kunze ist das schwer auszuhalten. Wann hat Frederic was gegessen? Wie sind seine Werte? Denkt er ans Insulin?

Kompromisse zu finden und dem Kind zu vertrauen, ist auch dann wichtig, wenn (meist) Mütter hauptverantwortlich sind für das Diabetesmanagement des Kindes. Solange die Kinder klein sind, also bis ins Grundschulalter hinein, sind es eindeutig die Erwachsenen, die sich komplett um die Diabetestherapie ihres Kindes kümmern müssen. Je älter die Kinder allerdings werden, desto mehr streben Mädchen und Jungen nach Selbstständigkeit, auch im Hinblick auf ihren Diabetes.

Diese Entwicklung ist positiv, berechtigt und notwendig – und dennoch eine Herausforderung. Wie viel Kontrolle durch Erwachsene ist weiter sinnvoll? Nicht nur über die Jugendlichen, auch über ihre Werte an sich? Wenn die Mutter statt freundlicher Begrüßung morgens als Erstes nach dem Blutzuckerwert fragt, fühlt sich der Heranwachsende nicht nur gegängelt, sondern vielleicht sogar auf seinen Diabetes reduziert. Zu üblichen Pubertätsspannungen gesellt sich dann noch der Zusatzaspekt Diabetes, was die Situation nicht leichter macht.

Realistische Ziele vereinbaren

Je mehr sich beide ins Thema verrennen, desto schwieriger wird es. Im Miteinander sowieso, aber auch bei Frederics Blutzuckerwerten. Sie fahren im wahrsten Sinne des Wortes Achterbahn. Ein Familiengespräch in der Klinik, in der Frederic schon seit sechs Jahren immer wieder betreut und eingestellt wird, hilft weiter. Janina Kunze nimmt sich ganz bewusst zurück, auch wenn es ihr schwerfällt. Vater Lukas ermutigt sie, dem 14-Jährigen zu vertrauen. Klar geregelt ist, wann über Diabetes und notwendige Therapieschritte gesprochen wird.

Einmal pro Woche trifft sich die Familie zum Pflichttermin: Realistische Zielsetzungen sollten gemeinsam vereinbart und ihr Erreichen etwas gefeiert werden. Frederic berichtet über Messergebnisse, Erfahrungen mit dem, was er gegessen und getrunken hat, und beginnt, über seine Gefühle bezüglich des Diabetes zu sprechen. Seine Mutter ist beeindruckt – auch von den nun deutlich stabileren Blutzuckerwerten.

Eltern bleiben in der Verantwortung

Es ist sinnvoll, dass sich Jugendliche selbstständig um ihren Diabetes kümmern. Die Verantwortung der Therapie sollte aber ganz klar bei den Eltern liegen – und deswegen müssen sie weiter eingebunden sein. Auch wenn Jugendliche ihren Diabetes selbstständig managen, sollte man nicht gleich die gesamte Verantwortung übertragen. Letztlich kann es vor allem während der Pubertät zur Überforderung kommen (ohne dass dies auch zugegeben wird).

Während Ärzte in der Vergangenheit dazu rieten, Kindern frühzeitig die Verantwortung für ihren Diabetes zu übergeben, gilt jetzt eher die Empfehlung, als Eltern möglichst lange mit eingebunden zu sein. In diesem Prozess des ständigen Ausbalancierens von Aufsicht und Gelassenheit ist Kommunikation ganz wichtig: Was braucht das Kind? Wo wünscht es sich Unterstützung? Was kann man ihm schon zutrauen? Wie gelingen Herausforderungen wie eine Klassenfahrt, eine Party oder erster Kontakt mit Alkohol? Gut ist, sich vom vermeintlichen Ideal perfekter Blutzuckerwerte zu verabschieden.

Aufgaben schrittweise übertragen als individuellen Prozess

Wichtig ist es, Aufgaben an Kinder und Jugendliche schrittweise zu übertragen als individuellen Prozess – und in guter Begleitung durch das Diabetesteam. Es gibt keine Normen und Richtwerte für die Übergabe von Verantwortung und Einführung von Selbstständigkeit. Gerade bei Kindern mit Diabetes ist es für alle Beteiligten schwierig: Es konkurrieren altersgemäße Erziehung zur Selbstständigkeit mit der Notwendigkeit, die Diabetestherapie zu kontrollieren.

dabei nicht als Dauerüberwacher zu gelten, sondern Platz für Abweichungen zu lassen, ist eine große Aufgabe für Familien mit Kindern, die Diabetes haben. Wenn alle Beteiligten im Gespräch bleiben, ist das eine gute Voraussetzung für die Balance zwischen Loslassen und Verantwortlichkeit.

Schwerpunkt Aufwachsen mit Diabetes

von Laura Galuschka
Diplom-Psychologin

Kontakt:
Allgemeine Kinderheilkunde, Diabetologie, Endokrinologie und Klinische Forschung
Auf der Bult – Kinder- und Jugendkrankenhaus
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover
Tel.: 05 11/81 15-24 01, Fax: 05 11/81 15-33 34
E-Mail: galuschka@hka.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (9) Seite 14-18

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • darktear antwortete vor 1 Woche

      Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 3 Wochen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • moira antwortete vor 2 Wochen

      Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 3 Wochen, 1 Tag

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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