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Am 16. Juni 2016 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der den Leistungskatalog der Krankenkassen festlegt, den Entschluss gefasst, kontinuierliche Glukosemesssysteme (CGMS) mittels Geräten mit Echtzeitanzeige zu einer Leistung der gesetzlichen Kassen zu deklarieren. Dies gilt für alle Patienten mit Diabetes, die eine intensivierte Insulintherapie durchführen.
Mit Hilfe der Echtzeit-Glukosemessgeräte können die Nutzer nicht nur die Anzahl ihrer Blutzuckerselbstmessungen verringern, sondern auch die Stoffwechsellage langfristig verbessern und die Gefahr von Unterzuckerungen senken.
Kontinuierliche Glukosemesssysteme messen die Glukosewerte kontinuierlich im Unterhautfettgewebe und senden die Werte an ein Display, so dass der Nutzer sie ablesen kann. Angezeigt wird nicht nur der aktuelle Wert, sondern auch Trendpfeile (ansteigender oder abfallender Glukosewert). Der Nutzer kann dementsprechend mit Insulingabe oder Kohlenhydrataufnahme reagieren. Zusätzlich wird mittels akustischer Signale frühzeitig eine drohende Unterzuckerung angekündigt und bei Kombination des Sensors mit der Pumpe die Insulinzufuhr zeitweise unterbrochen.
Zur Verordnung und Anwendung dieser Geräte sind – ähnlich wie bei der Insulinpumpentherapie – bestimmte Voraussetzungen und Bestimmungen zu erfüllen und einzuhalten:
Die Punkte 1 bis 4 sollen sicherstellen, dass eine qualifizierte fachärztliche Betreuung mit zugelassenen Medizinprodukten sowie eine regelmäßige Überprüfung und Optimierung der Stoffwechsellage stattfinden. Punkt 5 soll sicherstellen, dass die Nutzer vor bzw. zu Beginn der Anwendung der kontinuierlichen Glukosemessung eine entsprechende Einführung und in der Folge eine intensive Schulung für die Anwendung des Gerätes erhalten.
Um eine intensive Schulung zur ermöglichen, haben die Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie (AGDT) sowie die Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie (AGPD) ein strukturiertes Schulungs- und Behandlungsprogramm für unterschiedliche Altersgruppen entwickelt. Zusätzlich zu den bereits bekannten Schulungsprogrammen für die Insulintherapie und Insulinpumpentherapie ist nun auch ein Schulungsprogramm für die Anwendung der kontinuierlichen Glukosemessung vorhanden. Das Programm, das im Jahr 2016 erschienen ist, heißt SPECTRUM. Diese Abkürzung steht für Schulungs- und Behandlungsprogramm für eigenständiges continuierliches Glukose-Monitoring. Es gibt drei Versionen:
Das Programm besteht aus mehreren Modulen mit einer Dauer von jeweils ca. 90 Minuten.
Das Modul 0 ist dazu gedacht, zunächst über das System im Allgemeinen sowie die Anforderungen und Möglichkeiten zur Optimierung der Diabetestherapie zu informieren. Damit soll die Entscheidung für oder gegen das System erleichtert werden. Mit den folgenden Modulen kann anschließend eine altersangepasste und strukturierte Schulung durchgeführt werden.
Damit sich interessierte Patienten bereits im Vorfeld informieren können, ist das Modul 0 im Internet abrufbar. Die Version für Erwachsene steht auf der Homepage der AGDT bereit (diabetes-technologie.de, unter "Glukosemonitoring"); die Version für Kinder und Jugendliche auf der Homepage der AGPD (diabetes-kinder.de, dort zu finden unter "Materialien").
Inhaltlich unterscheiden sich die Programme für Jugendliche und Eltern von jüngeren Kindern nicht wesentlich, so dass die Darstellung der Inhalte der folgenden Module auf beide Programme übertragbar ist.
Zunächst wird die kontinuierliche Glukosemessung allgemein beschrieben. Der Unterschied zwischen der Messung mit einem Sensor und der kapillären Blutzuckermessung wird erklärt. Auf Erwartungen, Möglichkeiten und den Tragekomfort des Systems sowie die Anforderungen des Systems an den Nutzer (z. B. Fortführung von kapillären Blutzuckermessungen) wird eingegangen. Grundlagen des Systems werden erklärt, die einzelnen Bestandteile vorgestellt und die Grundfunktionen beschrieben.
Nach Abschluss des Moduls 0, dass jeder auch bereits im Vorfeld durchlaufen kann, sollten die Interessenten für sich klären können, ob das System für sie geeignet ist oder nicht.
Die folgenden SPECTRUM-Module bauen aufeinander auf und werden zusammen mit dem Arzt oder der Diabetesberaterin durchgearbeitet. Gestartet wird vor der Anlage des Systems mit Modul 1 zur Grundlagenvermittlung. Der Unterschied zwischen Gewebeglukose und Blutglukose wird erläutert und die Bedeutung von Glukosetrends wird erklärt. Die Alarmeinstellungen werden erklärt und vorgenommen.
Der erste Sensor wird gemeinsam im Modul 2 angelegt, danach wird der Ablauf der ersten Tage mit kontinuierlicher Messung geplant bzw. besprochen. Auf welche Werte sollten die Nutzer achten? Wie geht man mit Hypoglykämie-Alarmen um? Modul 3 und Modul 4 gehen auf die Interpretation der Daten und deren Analyse ein. Modul 5 ist eine Aufbauschulung, die der Vertiefung und Optimierung dient. Hier werden auch Sondersituationen wie Urlaub, Sport, Zeitverschiebung angesprochen.
Nachdem alle Module zusammen mit der Diabetesberaterin oder dem Arzt durchlaufen sind, sollte der Patient im Umgang mit dem Gerät soweit vertraut sein, dass er sein Diabetesmanagement mit der kontinuierlichen Glukosemessung selbstständig durchführen und mit Hilfe der angezeigten und gespeicherten Daten eine Optimierung seiner Insulintherapie erreichen kann.
Dr. Simone Sengbusch (s. Bild in der linken Spalte) ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, die Leiterin der Mobilen Diabetesschulung Schleswig-Holstein und Kinderdiabeteslotsin. Sie hat an der Erstellung der SPECTRUM-Foliensätze für Jugendliche und für Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes mitgearbeitet und schult selbst mit dem Programm.
Diabetes-Eltern-Journal (DEJ): Was ist das Besondere an der Schulung mit SPECTRUM?
Dr. Simone von Sengbusch: SPECTRUM ist unabhängig von den Firmen entwickelt worden, es geht auf die grundsätzlichen Funktionen von CGM und Fragen im Alltag ein. Das Besondere sind die drei Programmvarianten für Erwachsene, Jugendliche und Eltern jüngerer Kinder. SPECTRUM ist sozusagen "ein Programm für alle Nutzer und alle Systeme". Wo mit SPECTRUM geschult wird, erfahren Interessenten übrigens bei ihrem betreuenden Diabetesteam.
DEJ: Welche Ziele verfolgten die "Macher" von SPECTRUM bei der Konzeption des Programms?
Dr. Simone von Sengbusch: Ein CGM-System ist ein phantastisches Hilfsmittel in der Insulintherapie, aber die Vielzahl an neuen Informationen (Pfeile, Kurven, Trends, Alarme) und die erstmals sichtbaren erheblichen Glukoseschwankungen können den Nutzer auch erstmal überfordern oder verunsichern. Ein CGM allein macht noch nicht zwingend glücklich und den Stoffwechsel stabil und gut, sondern zunächst gibt es ganz viel Neues zu lernen und zu entdecken.
Wie man mit Pumpe oder Pentherapie sinnvoll auf die Trendpfeile reagiert (ohne überzureagieren), welche Alarme Sinn machen und was man von seinen eigenen Kurven lernen kann, wird in SPEC-TRUM thematisiert. Das Ziel war, so ein Programm zeitnah zur Einführung von CGM als Kassenleistung zu entwickeln.
DEJ: Was erwarten Eltern von CGM?
Dr. Simone von Sengbusch: Fast ohne Ausnahme wünschen die Eltern sich einfach "Entlastung". Konkret wollen sie bei ihrem Kind weniger Blutzuckerwerte vor allem nachts messen und mehr Sicherheit vor Unterzuckerungen erlangen.
DEJ: Was erwarten Eltern und Jugendliche von der Schulung?
Dr. Simone von Sengbusch: Die Eltern kommen oft voller Vorfreude und ohne große Erwartungen, außer dass alles einfacher werden soll. Auch Jugendliche wünschen sich Entlastung in ihrer Diabetestherapie. Die Erwartungen von Jugendlichen und Eltern müssen oft vom Schulungsteam ein wenig korrigiert werden, denn erstmal macht CGM mehr Arbeit; erst nach einer gewissen "Kennenlernphase" kommt der Benefit zum Tragen. Bei Jugendlichen geht es in der Schulung vor allem darum, sie aktiv an die Auswertung ihrer Daten heranzuführen und auch in eine Auseinandersetzung, was die Eltern sehen dürfen und was nicht.
DEJ: Sind die Teilnehmer in der Regel mit der Schulung zufrieden?
Dr. Simone von Sengbusch: Die Rückmeldung der Teilnehmer bei uns ist erfreulicherweise immer positiv. Wir bieten die Schulung meist für ein bis zwei Teilnehmer (Kinder/Jugendliche mit Eltern) in einer Tagesschulung und einem längeren telemedizinischen Folgetermin an.
DEJ: Was kann SPECTRUM für CGM-Neulinge leisten?
Dr. Simone von Sengbusch: CGM kann ein wenig wie eine "Hängematte" genutzt werden (wichtigster Wunsch: erstmal gar nicht mehr Blutzucker messen müssen), wie ein "Airbag" (wichtigster Wunsch: Schutz vor Unterzuckerungen) oder wie ein "Navigationssystem" (wichtigster Wunsch: den eigenen Diabetes gut kontrollieren). Das SPECTRUM-Programm möchte Nutzer dazu motivieren, es wie ein Navigationsgerät zu sehen und zu nutzen.
SPECTRUM legt großen Wert darauf, dass Patienten lernen, die CGM-Computerauswertung zu lesen, zu verstehen und Änderungen abzuleiten, und das alles, ohne sich beschämt zu fühlen, weil so viele Schwankungen sichtbar werden. Das ist normal, und jetzt kann man anfangen, dagegen etwas zu tun. Patienten und wir als Behandler – wir alle lernen den Diabetes mit CGM neu kennen – und dabei hilft das SPECTRUM-Programm als Einstieg sehr.
Das Interview führte Nicole Finkenauer-Ganz.
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