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Den Typ-1-Diabetes zu verhindern, ist der Traum der Forschenden. Viele arbeiten weltweit daran. Fragen, die sich dabei stellen, sind unter anderem: Wie kann ein Typ-1-Diabetes früh erkannt werden? Welche Wirkstoffe und Therapien können wirksam sein, um die Insulin-produzierenden Beta-Zellen zu erhalten? Hier ein Überblick über die aktuellen Studien.
In der Regel wird die Diagnose des insulinpflichtigen Typ-1-Diabetes anhand der klassischen Symptome häufiges Wasserlassen, starkes Durstgefühl, Gewichtsverlust und Blutzuckerwerte über 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l gestellt. Das Frühstadium eines Typ-1-Diabetes bleibt meist viele Jahre unerkannt. Nach heutigem Wissensstand beginnt diese Autoimmunerkrankung jedoch weit vor dem Auftreten der typischen Symptome. Die Diagnose kann aber bereits früh gestellt werden bei Nachweis von mehr als 2 Autoantikörpern im Blut, die typisch für einen Typ-1-Diabetes sind (siehe folgende Abbildung). Die verschiedenen Stadien bieten dabei Ansatzpunkte für unterschiedliche Studien zur Früherkennung und Prävention.
Noch immer entgleist bei 20 bis 30 Prozent der Kinder in Deutschland bei Manifestation eines Typ-1-Diabetes der Stoffwechsel bis hin zu einer Übersäuerung des Körpers (Ketoazidose) – das kann lebensbedrohlich sein. Um das zu verhindern, gibt es seit 2015 das Früherkennungsprogramm Fr1da in Bayern sowie seit 2021 Fr1da in Sachsen und Fr1da im Norden. Das Fr1da-Screening ist kostenlos und richtet sich an alle Kinder zwischen 1¾ und 10 Jahren.
In der Regel wird im Rahmen von kinderärztlichen Routineuntersuchungen Blut auf das Vorhandensein von diabetesspezifischen Antikörpern untersucht. Werden welche gefunden, erfolgt die Vorstellung in einem spezialisierten Schulungszentrum. Hier werden die Kinder und ihre Eltern durch ein erfahrenes diabetologisches Team über Symptome, Krankheitsverlauf und Behandlung des Diabetes aufgeklärt. So können akute Entgleisungen verhindert werden. In einer weiterführenden Münchner Studie (Fr1da-Insulin-Studie) wird untersucht, ob die Erkrankung bei Kindern im Stadium 1 durch die Behandlung mit oralem Insulin verzögert oder aufgehalten werden kann. Die Ergebnisse sind 2023 zu erwarten.
Die Rate der Ketoazidosen zu senken, war auch das Ziel der Stuttgarter Präventionskampagne. Hier wurde im Raum Stuttgart über drei Jahre mit Flyern und Plakaten intensiv über Diabetes-typische Symptome aufgeklärt. Damit ist es gelungen, das Auftreten der diabetischen Ketoazidose von 28 Prozent auf 16 Prozent zu senken.
Seit 2017 besteht im Rahmen der Freder1k-Studie in Bayern, Niedersachsen und Sachsen und seit 2021 in Thüringen für alle Neugeborenen die Möglichkeit, in Geburtskliniken oder in kinderärztlichen Praxen das genetische Risiko für einen Typ-1-Diabetes bestimmen zu lassen. Wird ein erhöhtes genetisches Risiko von 10 Prozent nachgewiesen, wird die Bedeutung des Ergebnisses mit den Eltern besprochen und die Teilnahme an einer Präventionsstudie (aktuell SINT1A) angeboten. Eine Teilnahme am Freder1k-Screening ist deutschlandweit möglich, wenn Mutter, Vater oder Geschwisterkind des Neugeborenen an einem Typ-1-Diabetes erkrankt sind.
In die POInT-Studie wurden zwischen 2017 und 2021 1050 Kinder im Alter von vier bis sieben Monaten eingeschlossen, die über drei Jahre mit der Nahrung entweder täglich Insulin oder ein Placebopräparat zu sich nehmen. Das orale Insulin dient dabei als Trainingsstoff für das Immunsystem – ähnlich einer Desensibilisierung bei Allergien. Erste Ergebnisse dieser Studie werden 2025 erwartet.
Bei der SINT1A-Studie wird ebenfalls ein Placebo mit dem Probiotikum Bifidobacterium infantis verglichen. Die Kinder erhalten es im ersten Lebensjahr (Einschlussalter 7 Tage bis 6 Wochen) als Ergänzung zur täglichen Ernährung, um eine gesunde Entwicklung der kindlichen Darmflora sicherzustellen. Ziel beider Studien ist es, herauszufinden, ob die Behandlung mit oralem Insulin oder Probiotika das Auftreten des Typ-1-Diabetes bei Kindern mit hohem genetischem Risiko verhindern oder verzögern kann.
Nach Diagnose eines Typ-1-Diabetes geht die körpereigene Insulinproduktion bei Kindern und Jugendlichen schneller zurück als bei Erwachsenen. Bei Mäusen, aber auch schon bei Menschen, haben erste Forschungsergebnisse gezeigt, dass durch Gabe von spezifischen Immuntherapien das Immunsystem verändert werden kann, um die körpereigene Restproduktion des Insulins vorübergehend noch aufrechtzuerhalten. Vielversprechende Ergebnisse wurden vor allem bei Kindern und Jugendlichen erzielt. Eine möglichst langanhaltende eigene Insulinproduktion geht mit weniger Unterzuckerungen und Langzeitkomplikationen einher. In Deutschland sind derzeit drei immunmodulatorische Studien für Kinder, Jugendliche und Erwachsene verfügbar.
In der Protect-Studie wird Kindern und Jugendlichen zwischen 8 und 17 Jahren über einen Zeitraum von 12 Tagen eine Infusion mit Antikörpern oder Placebo verabreicht. Dies wird nach 6 Monaten wiederholt. Die Diabetesmanifestation darf bei Beginn des ersten Infusionszyklus nicht länger als 6 Wochen zurückliegen. Ziel der Studie ist es, zu zeigen, dass Teplizumab im Kindes- und Jugendalter sicher, gut verträglich und wirksam ist, um den Verlust der Insulin-produzierenden Beta-Zellen zu verlangsamen. An der Studie nehmen insgesamt 300 Kinder aus den USA, Kanada und Europa teil. In Deutschland wird die Studie an sieben Zentren durchgeführt: Augsburg, Bielefeld, Dresden, Freiburg, Hannover, Heidelberg und München.
Die MELD-ATG-Studie ist die erste Studie des europäischen Forschungsnetzwerks INNODIA (INNOvativer Ansatz für das Verständnis des Typ-1-DIAbetes) gemeinsam mit dem Pharmaunternehmen Sanofi. Teilnehmen können 114 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 5 und 25 Jahren, aktuell werden Testpersonen der Altersgruppe 12 bis 25 Jahre eingeschlossen. In der Studie erhalten die Teilnehmenden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen eine Infusion mit ATG oder Placebo. Die Diabetesmanifestation darf bei Beginn des ersten Infusionszyklus nicht länger als 3 bis 9 Wochen zurückliegen.
Die Studie untersucht, ob ATG einen positiven Effekt auf den Erhalt der körpereigenen Insulinproduktion hat, wie dies bereits in einer ersten Studie innerhalb der ersten 100 Tage nach Manifestation eines Typ-1-Diabetes bei 12- bis 45-jährigen Menschen beobachtet wurde. In Deutschland ist eine Teilnahme im Diabeteszentrum für Kinder und Jugendliche Auf der Bult in Hannover möglich.
Die Ver-A-T1D-Studie ist die zweite Interventionsstudie von INNODIA. In dieser Studie nehmen die Teilnehmenden über ein Jahr einmal täglich eine Tablette des Medikaments Verapamil oder ein Placebopräparat ein. Verapamil wird seit mehr als 30 Jahren als blutdrucksenkendes Mittel eingesetzt. In einer Studie wurde nun herausgefunden, dass Verapamil nicht nur den Blutdruck senkt, sondern auch einen positiven Effekt auf die körpereigene Insulinproduktion hat und zu einem besseren Überleben der Beta-Zellen führt.
Dieser positive Effekt soll nun in der Ver-A-T1D-Studie untersucht werden. Teilnehmen können 120 Erwachsene von 18 bis unter 45 Jahren. Die Diabetesmanifestation darf nicht länger als 6 Wochen zurückliegen. In Deutschland ist eine Teilnahme im Diabeteszentrum für Kinder und Jugendliche Auf der Bult in Hannover möglich.
Screening-Untersuchungen wie Fr1da und groß angelegte Aufklärungskampagnen führen zu einer Reduktion der Ketoazidoserate. Erste klinische Studien, die das Voranschreiten des Beta-Zell-Zerfalls untersuchen, sind seit dem vergangenen Jahr für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Deutschland verfügbar. Um sich dem großen Ziel zu nähern, den Autoimmunprozess, der die Beta-Zellen zerstört, zu verhindern, sind die Forschungsteams auf die Bereitschaft der Allgemeinbevölkerung angewiesen, an klinischen Studien teilzunehmen.
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (1) Seite 14-16
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