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Die Diagnose Diabetes kommt nie zu einer passenden Zeit. Dennoch müssen sich Familien von nun an mit dem „ungebetenen Gast“ arrangieren und einen Weg finden, gut ihm auszukommen. Wie das gelingen kann, schildert Karin Lange am Beispiel der Familie H. Mit vielen Tipps für den Familienalltag und die Arbeitsteilung zwischen den Eltern.
Die meisten Familien trifft die Diagnose des Diabetes eines Kindes wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Der Alltag mit Kindern, Schule, Beruf und den vielen anderen Verpflichtungen und persönlichen Bedürfnissen war schon stressig genug. Viele Familien hatten sich gerade so in ihrem Leben eingerichtet, dass alles recht gut funktionierte, es durfte nur nichts dazwischenkommen.
Die Geschichte von Familie H. ist dafür typisch. Die Kinder Jana (6 Jahre) und Benedikt (8) waren aus dem Gröbsten heraus. Die Grundschule war in der Nähe, beide Kindern hatten einen Hortplatz, sodass Frau H. wieder eine 70-Prozent-Stelle als IT-Fachfrau antreten konnte. Herr H. arbeitete in der gleichen Branche Vollzeit, die Voraussetzungen für ihren Traum vom eigenen Haus waren gut. Als die Bodenplatte für ihr neues Zuhause gerade gegossen war, fiel auf, dass Jana immer blasser und müder wurde.
Vielleicht liegt es am Stress und der wenigen Zeit, die wir für die Kinder haben, dachten die Eltern. Erst als die Erzieherin im Hort Frau H. auf die häufigen Toilettenbesuche von Jana ansprach, fiel den Eltern auf, dass ihre Tochter in den letzten Wochen Gewicht verloren und sehr viel getrunken hatte. Der Gedanke an Diabetes lag nahe, aber die Eltern wollten ihn nicht zulassen. Gerade jetzt, wo so viel zu tun und zu organisieren war, passte eine solche Krankheit nicht in das Leben der Familie.
Noch auf dem Weg mit Jana zur Kinderärztin redete sich Frau H. ein, dass es nur der Stress sein könne, der Jana belastet und schwächt – aber eigentlich wusste sie es längst besser. Dr. Google und auch eine Website der Kinderärzte waren eindeutig. Die Kinderärztin sprach kurz mit Jana und ihrer Mutter, es wurde ein Bluttest gemacht, und dann bestätigte sich der Verdacht: Jana hatte Typ-1-Diabetes. Jana wurde direkt zusammen mit Frau H. in einer auf Diabetes spezialisierten Kinderklinik aufgenommen. Am Abend saßen die Eltern zusammen und überlegten, wie ihr Leben weitergehen kann.
Jana war mit ihren 6 Jahren noch viel zu jung, um sich allein um ihre Behandlung zu kümmern, sie brauchte selbstverständlich die intensive Unterstützung ihrer Eltern. Die Diabetesberaterin auf der Station hat beiden Eltern dringend geraten, gemeinsam an der ersten Schulung teilzunehmen. Zum Glück haben die Arbeitgeber der Eltern verständnisvoll reagiert und das Diabetesteam hat ihnen geholfen, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. Diese sind in der Broschüre der Deutschen Diabetes-Stiftung für Eltern von Kindern mit Diabetes zusammengestellt
(diabetesstiftung.de/publikationen-und-broschueren).
Frau und Herr H. haben den Diabetes ihrer Tochter so von Anfang an als Familienprojekt erlebt. Sie konnten sich gegenseitig stützen, trauten sich, das Diabetesteam in der Schulung viel mehr zu fragen, und waren nach 12 Tagen in der Klinik fast schon ein etwas eingespieltes Team. Besonders wichtig war dabei auch, dass sie den Diabetes gegenüber ihren Kindern mit einer Stimme erklären und die notwendigen Regeln vertreten konnten.
Denn – wie alle Kinder – wird auch Jana ausprobieren, ob die Regeln, die ihr Mama vorgibt, auch bei Papa gelten. Die Tragweite ihres Diabetes kann sie noch nicht verstehen, deshalb wird sie ausprobieren, ob Grenzen immer gelten und die tägliche Insulinbehandlung wirklich durchgeführt werden muss. Jedes Kind, das spürt, dass seine Eltern hier nicht einer Meinung sind, wird versuchen, die „bessere“ Haltung für sich zu nutzen. Das ist keine Boshaftigkeit, sondern eine Intelligenzleistung in diesem Alter.
Während der ersten Schulung wurde den Eltern klar, dass es mit regelmäßigen Insulingaben und der Berechnung der Mahlzeiten nicht getan ist. Es geht vielmehr darum, zu verstehen, wie der Körper des eigenen Kindes im Alltag reagiert, z. B. beim Toben, beim Schwimmen, bei Stress oder während der vielen Aktivitäten mit Gleichaltrigen. Schon in der Kinderklinik haben beide Eltern gelernt, dass sie „alles richtiggemacht haben“ und der Zucker von Jana trotzdem manchmal gemacht hat, was er wollte. Die Diabetesberaterin hat die Eltern darin bestärkt, gelassen zu sein, sich keine Vorwürfe zu machen und ganz in Ruhe zu handeln. Gerade für IT-Menschen wie Janas Eltern, die sehr logisch denken, ist es schwer zu ertragen, dass beim Diabetes nicht alles logischen Regeln folgt.
Heute, ein Jahr nach der Diabetesmanifestation, sagen beide Eltern, dass es die beste Maßnahme war, gemeinsam an der ersten Schulung teilzunehmen:
Selbstverständlich gab es für Familie H. im ersten Jahr auch schwierige Situationen. Der Hausbau lief weiter, die Kosten auch, und entsprechend stellte sich die Frage, wie die Versorgung von Jana mit der Berufstätigkeit beider Eltern vereinbart werden kann. Zunächst hatte Frau H. sich – wie viele Mütter von Kindern mit Diabetes – überlegt, ihre Berufstätigkeit aufzugeben oder zu reduzieren. Das wäre möglich, wenn Herr H. mehr arbeitet und möglichst Überstunden macht.
Aber das war für die Familie keine gute Lösung. Stattdessen haben sich beide Eltern bemüht, ihre Arbeitszeiten – mit Homeoffice – so zu legen, dass immer ein Elternteil erreichbar ist, wenn es Anrufe der Schule von Jana gibt oder sie wegen des Diabetes eher aus der Schule abgeholt werden muss. Zur Unterstützung hat die Familie auch ein Kindermädchen gefunden, eine ältere Schülerin mit Typ-1-Diabetes, die einspringt, wenn beide Eltern dringende Termine haben und sich nicht um Jana kümmern können, wenn sie aus der Schule kommt.
Die Situation jeder Familie ist einzigartig, wenn ein Kind an Diabetes erkrankt. Die Geschichte der Familie H. sollte Ihnen zeigen, welche Chancen damit verbunden sind, wenn sich beide Eltern gleichermaßen um den Diabetes kümmern und sich gegenseitig stützen können. Manchmal kann es auch sinnvoll sein, dass sich ein Elternteil – meist die Mutter – vorrangig um das Kind mit Diabetes kümmert, während sich der Vater auf den Beruf und die finanzielle Absicherung der Familie konzentriert.
Die Erfahrung zeigt, dass damit aber auch Risiken für die Familie verbunden sein können:
Eltern, die (noch) nicht so eng in die Behandlung ihres Kindes mit Diabetes eingebunden sind, sollten sich überlegen, wie sie das notwendige Wissen erwerben und am Ball bleiben können:
Autorin:
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Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2021; 12 (4) Seite 14-16
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