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Für ein Kind mit Diabetes in Kita oder Schule die notwendige Unterstützung zu finden, ist nicht einfach. In Berlin gibt es ein Unternehmen, das sich auf genau diese Art der Dienstleistung im Pflegebereich spezialisiert hat. Dort arbeitet die Diabetesberaterin Juliane Gericke. Im Interview erklärt sie, wie das Konzept funktioniert und was ihr bei ihrer Arbeit besonders wichtig ist.
Juliane Gericke ist Arzthelferin und Diabetesberaterin und hat selbst seit vielen Jahren Typ-1-Diabetes. Sie arbeitet bei ABMED Kids, einem Berliner Dienstleistungsunternehmen, und ist außerdem Bundesjugendreferentin des Deutschen Diabetiker Bundes (DDB). Über ihre Betreuung von Kindern mit Diabetes in Kita und Schule sagt sie: “Wichtig ist mir, dass wir die Kinder und Jugendlichen in unserer begleitenden Funktion nicht bevormunden.” |
Die Mitarbeiterinnen von ABMED Kids betreuen chronisch kranke Kinder, von denen die meisten Diabetes haben. Sie begleiten diese jungen Menschen in Schule und Kita, auf Ausflügen und Klassenfahrten und schulen bei Bedarf auch Erzieher:innen und Lehrer:innen. Geschäftsführerin Angela Böhm ist Krankenschwester und hat selbst einen Sohn mit Typ-1-Diabetes.
35 Kinder mit Diabetes und drei Kinder mit anderen chronischen Erkrankungen zwischen 3 und 10 Jahren werden derzeit von vier Mitarbeiterinnen von ABMED Kids betreut. Ein wichtiger Teil ihrer Arbeit ist es, die Kinder in Kita und Schule zu den jeweiligen Essenszeiten aufzusuchen und u. a. die Kohlenhydrat- und Insulinmenge zu berechnen bzw. den Kindern zu helfen, beim Diabetesmanagement Stück für Stück selbständiger zu werden.
Im Interview erklärt Juliane Gericke, was die Angebote von ABMED Kids ausmacht und wie das Dienstleistungsunternehmen im Bereich Pflege arbeitet.
diabetes-online: Frau Gericke, was ist das Anliegen von ABMED Kids?
Juliane Gericke: Unser Anliegen ist es, Kinder mit Diabetes zu betreuen. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass die Versorgung in Kita und Schule für Kinder mit Diabetes oft sehr schlecht ist. Es gibt zwar immer wieder Erzieher:innen oder Lehrer:innen, die sich beim Thema Diabetes einbringen. Oft ist dies im Kita- und Schulalltag aber nicht möglich. Nicht selten müssen Mütter deshalb sogar ihren Job aufgeben, um ihr Kind in der Einrichtung versorgen und in seinem Diabetesmanagement unterstützen zu können. Hinzu kommt, dass es viele Einrichtungen gibt – gerade im ländlichen Bereich – die Kinder mit Diabetes erst gar nicht aufnehmen.
Wenn Sie in die Kita oder in die Schule zu einem Kind mit Diabetes kommen: Was machen Sie dann konkret?
Juliane Gericke: Als erstes schaue ich mir bei dem Kind – sofern es ein CGM hat – die Werte auf dem kontinuierlichen Glukose-Messsystem an. Oder wenn gerade kein Sensor angeschlossen ist, was ja auch mal vorkommt, messe ich alternativ den Blutzucker. Und dann überlege ich mir: Wie war der Wert davor, was isst das Kind jetzt? Beim Frühstück ist es oft so, dass die Eltern zuvor aufgeschrieben haben, wie viele BE das Kind schon gegessen hat oder ihm mitgegeben wurden. Beim Mittagessen muss immer abgewogen werden, wie viel Gramm von welcher Speise auf den Teller kommt. Ich rechne dann anhand von Tabellen bzw. aufgrund meines Wissens aus – ich habe ja selbst schon lange Typ-1-Diabetes – wie viele BE das Kind letztlich essen wird.
Anhand eines Insulin- und Kohlenhydratplans, der für jedes Kind mit Diabetes vorliegt, berechne ich die jeweiligen Insulineinheiten und gebe die Kohlenhydratmenge dann direkt in den Bolusrechner der Insulinpumpe ein. In die Berechnung beziehe ich auch mit ein, welche Aktivitäten noch anstehen. Geht ein Kind z.B. noch zum Schwimmen, ziehe ich entsprechend die notwendigen Insulineinheiten ab, damit ihm beim Sport keine Unterzuckerung droht.
Derzeit gibt es auch zwei Kita-Kinder, bei denen ich besser immer mit der Insulingabe abwarte, ob sie auch wirklich aufessen. Manchmal haben sie keinen Hunger mehr, bevor der Teller leer ist, dann muss ich die Insulindosis neu berechnen.
In der Regel schaue ich bei jedem Kind mit Diabetes zweimal am Tag vorbei, manchmal auch dreimal, weil ich bei einigen auch zum Nachmittagsvesper komme. Da kontrolliere ich dann: Was haben sie in der Zwischenzeit gemacht? Gab es eine Unterzuckerung oder nicht, und was essen sie heute noch?
Generell lässt sich sagen: Der Unterschied zwischen unserem Angebot und einer normalen Hauskrankenpflege ist, dass wir uns auf die Essenszeiten in den Kitas und Schulen einstellen. Denn es ist ja so: Die eine Kita macht schon um 11 Uhr Mittag, die andere um 12, und eine Schule vielleicht erst um 13 Uhr. Wir sind zu den jeweiligen Terminen da, und wir nehmen uns dann auch die Zeit, die wir brauchen.
Sie und Ihre Kolleginnen sind dann überall im Stadtgebiet unterwegs. Oder geht der Bereich auch etwas über die Stadtgrenzen Berlins hinaus?
Juliane Gericke: Nein, über Berlin hinaus sind wir nicht aktiv. Bei der Planung unserer Touren versuche ich aber immer, sie so anzulegen, dass eine Tour jeweils einen Bezirk umfasst und dabei nicht quer durch Berlin gefahren werden muss.
Wenn Sie dann noch mit einbeziehen, wie die Essenszeiten in Kita oder Schule sind, ist das ja eine ziemliche Tüftelei…
Juliane Gericke: Ja, manchmal sind Kinder auch nicht da, krank oder beim Arzt. Und jetzt, zu Corona-Zeiten, ist es noch ein bisschen tüfteliger, weil z.B. die Schulkinder ja momentan pro Klasse bestimmte Essenszeiten haben, damit sich nicht zu viele Personen im Speisesaal aufhalten.
Es ist ja nach dem, was ich weiß, doch relativ häufig so, dass Erzieher:innen oder Lehrer:innen sich um das Kind mit Diabetes kümmern, vielleicht auch vorher eine Schulung mitmachen. Aber das ist ja dann bei den Kindern, zu denen Sie kommen, nicht der Fall, oder?
Juliane Gericke: Die Kinderklinik, in der das Kind behandelt wird, schult alle Erzieher:innen und Lehrer:innen. Diese Schulungsmöglichkeit wird immer angeboten. Natürlich informieren auch die betroffenen Eltern selbst die Kita oder Schule über die Diabeteserkrankung ihres Kindes.
Sofern sich Erzieher:innen bzw. Lehrer:innen um den Diabetes eines Kindes kümmern, machen sie das freiwillig – sie müssen es nicht tun. Manche trauen es sich auch einfach nicht zu. Es gibt hier an einigen Schulen auch sog. Schulhelfer:innen, die aber keine reguläre medizinische Ausbildung haben. Auch sie werden dann zum Thema Diabetes geschult.
Aber es gibt eben Kitas und Schulen, die von vornherein sagen: Es wäre uns lieber, wenn ihr von ABMED Kids kommt. Dann ist auch automatisch alles abgedeckt. Hier ist es uns besonders wichtig, dass die Kinder lernen, selbständig mit ihrer Erkrankung umzugehen und Dinge alleine zu tun. So kann man z. B. mit ihnen gut üben, die jeweilige Kohlenydratmenge selbst einzuschätzen.
Wie werden Sie von den Teams in den Kitas und Schulen aufgenommen? Sind Sie da willkommen?
Juliane Gericke: Sie sind da alle ganz offen. So habe ich etwa noch nie erlebt, dass irgendjemand gesagt hätte: „Jetzt kommt die schon wieder!“ Nein, die Teams freuen sich auf uns und arbeiten auch gut mit uns zusammen. Oft bekomme ich in den Kitas schon die entsprechenden Informationen, wie viel die Kinder heute jeweils auf dem Teller haben. Und in den Schulen stellen mir die Küchenkräfte immer schon eine Waage bereit und wiegen gleich alles ab.
Wie ist das mit der Kostenübernahme? Auf der Homepage stehen neben den Krankenkassen noch andere mögliche Kostenträger.
Juliane Gericke: Es gelten hier die Regeln für die Verordnung häuslicher Krankenpflege. Die Erstverordnung gilt immer 4 Wochen, die Folgeverordnung kann dann schon über ein Jahr gehen. Danach muss eine neue Verordnung beantragt werden.
Bei uns ist es ja so: Wir bieten Pflegedienstleistungen an, sind aber kein Pflegedienst, sondern ein Dienstleistungsunternehmen im Bereich der Pflege. Das bedeutet: Wir haben Einzelverträge mit den Kassen.
Also müssen Sie mit jeder Kasse einzeln aushandeln, wie Ihre Arbeit vergütet wird.
Juliane Gericke: Genau. Wir haben natürlich einen erhöhten Kostensatz. Aber es lässt sich, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind (z. B. das H für „hilflos“ im Schwerbehindertenausweis), fehlendes Geld auch über die Pflegekasse beantragen. Auch beim Versorgungsamt kann man sich Hilfe holen, oder die Familien zahlen die Differenz selbst – es gibt hier verschiedene Wege. Zu den unterschiedlichen Möglichkeiten beraten wir die Familien auch. Wir haben dazu inzwischen schon viele Erfahrungen gesammelt und konnten in allen Fällen einen Weg finden. Bis jetzt mussten wir glücklicherweise noch keine Betreuung für ein Kind ablehnen.
Sie sind in Berlin aktiv, und es ist ein tolles Angebot für die Berliner Kinder mit Diabetes – aber gibt es Ihres Wissens noch einen anderen Anbieter im Bundesgebiet, der ähnlich arbeitet?
Juliane Gericke: Ich habe schon selbst recherchiert und herausgefunden, dass es überall in Deutschland Intensivpflegedienste gibt. Aber einen Anbieter, der – so wie wir – die Kinder in Kita und Schule und/oder bei Ausfahrten und Ausflügen unterstützt, ist meines Wissens nach bundesweit einmalig. In diesem Bereich wird einfach auch sehr viel auf ehrenamtlicher Basis geleistet.
Gibt es trotzdem einen Tipp, den Sie Eltern aus anderen Bundesländern geben können? Wie können sie jemanden finden, der ihr Kind in Kita oder Schule betreut?
Juliane Gericke: Es gibt in mehreren Bundesländern Projekte mit Schulgesundheitsfachkräften, an die sich interessierte Eltern wenden können. Auch werden verschiedene Projekte angeboten, in deren Rahmen Erzieher:innen und Lehrer:innen in Sachen Diabetes geschult werden.
Ansonsten kann man sich z. B. auch an das Integrationsamt wenden, um eine Integrationsfachkraft zu bekommen. Leider ist aber nicht bundeseinheitlich geregelt, welches Amt hierfür zuständig ist. Ich habe beispielsweise ein Projekt betreut, bei dem es darum ging, die Klassenfahrtbetreuung zu etablieren. Hier in Berlin wissen wir: Wir gehen in solchen Fällen zum Jugendamt. In Bayern war meine Kollegin für eine solche Beantragung beim Schulamt, beim Integrationsamt und musste außerdem bei der zuständigen Krankenkasse anfragen. Das Einzige, was einheitlich gilt, ist die Verordnung häuslicher Krankenpflege.
Letzte Frage: Was ist Ihnen bei Ihrer Arbeit mit Kindern mit Diabetes oder anderen chronischen Krankheiten am wichtigsten?
Juliane Gericke: Wichtig ist mir, dass wir die Kinder und Jugendlichen in unserer begleitenden Funktion nicht bevormunden. Meine Kolleginnen und ich gehen nicht einfach in Kita oder Schule und machen alles für das Kind, im Gegenteil: Wir wollen es in seinem Alltag unterstützen und dafür sorgen, dass es in seiner Gruppe oder Klasse gut integriert ist und nicht ausgeschlossen wird. Es soll ganz einfach Kind sein dürfen und ganz normal erwachsen werden können. Wir unterstützen jedes Kind dabei so, wie es für dieses individuell erforderlich ist.
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