Ganz ohne Stress: So nutzen Eltern CGM-Daten

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Ganz ohne Stress: So nutzen Eltern CGM-Daten

Ein CGMS und eine Diabetessoftware zu nutzen, kann das Diabetesmanagement verbessern. Die Software alleine nützt aber nichts. Dr. Simone von Sengbusch gibt deshalb einfach umzusetzende Tipps, wie Sie von der Auswertung der Daten profitieren und ohne zu viel Kontrolle zusammen mit Ihrem Kind die Möglichkeiten ausschöpfen können.

Der Wegfall der allermeisten Blutzuckermessungen durch die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) und die Alarmmeldungen vor allem vor Unterzuckerungen sind ein großer Fortschritt. Gleichzeitig fiel das handgeschriebene Blutzuckertagebuch weg und wurde durch ein elektronisches Protokoll ersetzt. Die Software allein nützt aber nichts, nur aktiv kann man sich durch Ansehen der Werte einen Überblick über die Stoffwechsellage verschaffen. Dabei gebe ich den Eltern gern diese Tipps:


❶ Installieren Sie eine Diabetessoftware auf Ihrem PC oder Laptop zu Hause

Obwohl wir fast alle ein Smartphone haben, ist die Installation einer Software bzw. das Einrichten eines Accounts in einer cloudbasierten Software am PC eine durchaus zeitfordernde Aufgabe. Nehmen Sie sich dafür ein bis zwei Stunden Zeit, am besten an einem Vor- oder Nachmittag in der Woche, so dass sie die Hersteller-Hotline anrufen können, wenn es ein Problem gibt.

Sofern das nötig ist, stellen Sie den Zielbereich für die Auswertung in der Software auf 70 bis 180 mg/dl (3,9 bis 10 mmol); meist ist dieser international festgelegte Zielbereich für CGM-Werte aber schon vorinstalliert. Wenn gewünscht und möglich, verbinden Sie die App, die Ihr Kind vielleicht auf dem Smartphone zum Auslesen des CGM nutzt, mit diesem Account.


❷ Statistik verstehen und nutzen

Heutzutage wird im Schulfach Mathematik „Statistik“ oft erst in der Oberstufe unterrichtet. Vielleicht haben Sie niemals etwas über Statistik in der Schule gelernt? Im ganz normalen Alltag brauchen wir die Grundrechenarten, Bruchrechnung, Prozentrechnung, Dreisatz und tatsächlich auch Statistik! Mit Diabetes wird dieses Teilgebiet jetzt richtig interessant:

Der Mittelwert

Stellen Sie sich vor, dass man 5 Glukosewerte hat: 400 + 100 + 50 + 150 + 200. Diese Werte werden addiert zur Summe 900. Geteilt durch 5 Werte ergibt sich der Mittelwert, nämlich 180. Dasselbe macht eine Software mit Tausenden von CGM-Werten. Auf der ersten Seite der Software steht der Mittelwert der Ausleseperiode (meist 14 Tage). Ist der Wert unter 170 mg/dl (9,4 mmol/l), dann ist das schon recht gut, liegt der Wert um 150 mg/dl (8,3 mmol/l) oder darunter, ist das noch viel besser.

Nun ist die Software so entwickelt worden, dass sie für jede Stunde des Tages einen Mittelwert entwickelt. Diese Punkte verbindet die Software zu einer Linie. Diese „Mittelwert-Linie“ sollte so oft und lange wie möglich im Zielbereich liegen. Drum herum ist eine Art Welle dargestellt, viele Softwarelösungen wählen dafür die Farbe Blau. Diese Welle stellt alle Werte dar, die über oder unter diesem Mittelwert liegen, ohne die ganz extremen Ausreißer.

Zeit-im-Zielbereich/Time in Range

Dies ist ein relativ neuer Wert, der anzeigt, zu wie viel Prozent der Zeit die Werte im Zielbereich (70 bis 180 mg/dl/3,9 bis 10 mmol/l) lagen. Ideal wären 70 Prozent oder mehr. Aber es ist ähnlich wie bei einer Diät mit dem Ziel, in den Bereich des Normalgewichts zu kommen: immer weiter an das Ziel heranarbeiten und dann das Ziel halten! Unterzuckerungen sollten selten und kurz sein, daher ist es das Ziel, weniger als 4 Prozent der Zeit im Bereich einer Unterzuckerung zu sein, wobei auch noch zwischen Werten unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) und unter 54 mg/dl (3 mmol/l) unterschieden wird.

Die meisten Softwarelösungen listen die Zeit über, im, und unter dem Zielbereich auf oder stellen die Werte als Säule dar, wobei die Werte im Zielbereich meist grün markiert sind. So ist auf den ersten Blick zu erkennen: Es wird besser, es stagniert, oder … es war keine so gute Woche.

Glukose-Management-Indikator (GMI)

Der Glukose-Management-Indikator (GMI) berechnet aus den CGM-Glukosewerten mit einer verbesserten Formel einen Näherungswert an den HbA1c-Wert. Die Formel für die Berechnung wurde deutlich verbessert, aber dennoch kann es zu Abweichungen zum blutig gemessenen HbA1c kommen. Der Wert ist aber eine gute Orientierung und „ähnlich“ dem HbA1c. Das Ziel ist ein Wert unter 7,0 Prozent, auch wenn das nicht immer einfach ist. Je automatisierter die Insulintherapie ist und in der Zukunft sein wird, umso mehr wird es auch denen gelingen können, die mit der Diabetestherapie hadern.


❸ Lesen Sie CGM-Daten wöchentlich in die Software ein, und finden Sie den Super-Tag – und nur diesen Tag! Das Motto: nur Loben, keine Kritik!

Lesen Sie die CGM- und ggf. Insulinpumpendaten einmal pro Woche an immer demselben Tag zu einer gut passenden Zeit gemeinsam mit Ihrem Kind in eine passende Software aus. Setzen Sie Ihr Kind neben sich – und suchen Sie den Super-Tag – und NUR den! Der Super-Tag ist der beste Tag der Woche, der Tag, an dem die meisten Daten da sind oder die meisten Boli gegeben wurden oder die wenigsten Schwankungen vorlagen oder die Zeit im Zielbereich am längsten war.

Auch bei sehr schlechter Stoffwechsellage gibt es immer noch einen Tag, der besser war als die anderen. Finden Sie diesen Tag. Freuen Sie sich gemeinsam an diesem Tag, diskutieren sie kurz gemeinsam, warum er so gut war, und – schließen Sie nun das Programm. Suchen Sie NICHT nach Fehlern, Versagern, fehlenden Boli oder Katheterwechseln … Sie sehen das zwar, aber allzu leicht wird aus dem Entdecken von Therapiefehlern ein Vorwurf und daraus dann klare Kritik am Kind selbst (und nicht nur am Verhalten des Kindes, um das es hier ja geht).


❹ Einen kleinen Abschnitt optimieren

Suchen Sie nun zusätzlich nach einem Bereich, wo ein wenig Verbesserung gut wäre. „Schau mal, abends, wenn Du schon im Bett bist und vermutlich noch ein wenig im Internet surfst, da bist Du oft hoch … Was könntest Du tun, damit da die Werte nicht so ansteigen? Und was könnte ich dazu beitragen?“

Nicht selten sind es Süßigkeiten, Snacks oder ganze Mahlzeiten, die nach 20 Uhr noch gegessen werden. Das ist schlicht ungünstig bei Diabetes und Insulintherapie und auch wenig vorteilhaft für die Gewichtsentwicklung, aber vielleicht in dieser Altersklasse auch nicht so ganz zu verhindern. Sich einzugestehen, dass diese Zeit eine Snackfalle ist, ist schon ein großer Schritt. Sollten Sie dann in der Folgewoche einen Bolus spät abends finden, ist das ein kurzes, knackiges Lob wert.

Typische „dark spots“ (wo man nicht hinsehen möchte) sind Zeitpunkte des Katheterwechsels. Alle 2 Tage ist meist ein Wechsel nötig, selbst wenn ein Katheter mal drei Tage halten sollte. Irgendwann ist der Insulinfluss blockiert, die Katheterstelle ein wenig entzündet oder der Katheter abgeknickt und die Glukosewerte schnellen in die Höhe, egal wie oft man korrigiert. Nun wird zu diesem Zeitpunkt nicht der Katheter gewechselt, da Ihr Kind z. B. in der Schule ist. Daher ist ein geplanter Katheterwechsel zu einem festen Zeitpunkt sinnvoll.

Fragen Sie Ihr Kind, wie Sie dabei unterstützen können, dass wirklich alle zwei Tage in konstanter Folge ein Wechsel erfolgt. Viele Teenager sagen mir im Gespräch: „Sie (die Eltern) sollen nicht so nerven.“ Nachgefragt, wie die Eltern denn optimal unterstützen könnten, kommt recht oft diese oder eine ähnliche Antwort: „Nur einmal Bescheid sagen und dann einen Erinnerungszettel schreiben, aber nur mit einem Wort – und einem Smiley.“ Sprechen Sie also genau ab, wie und wann Sie erinnern sollen (und auch müssen) und wie die zweite Erinnerung aussehen soll.


❺ Auf einen „grünen“ Zweig kommen

Sind schon ein HbA1c mit einer 7 vor dem Komma oder 60 Prozent Zeit im Zielbereich kaum zu erreichen? Sind Sie frustriert und Ihr Kind genervt? Gehen Sie folgende Punkte durch und schauen Sie, was Sie ändern können:

Alarme im CGM-Gerät

Ist ein Hoch-Alarm eingestellt und wenn ja, an welcher Schwelle? Sinnvoll ist nur ein Hoch-Alarm, der auch eine Aktion auslösen muss. Die Grenze unter 200 mg/dl (11,1 mmol/l) zu setzen, ist zwar nicht falsch, löst aber viel zu viele Alarme aus. Sinnvoll ist vielmehr, die Grenze in den Schule auf AUS und nach der Schule auf einen Wert zu setzen, wo wirklich etwas passieren muss.

Bolus vor dem Essen

Auch modernste Insuline wirken leider noch nicht so schnell, dass man sie mit gutem Gewissen nach dem Essen spritzen darf, diese Wahrheit hat die CGM-Technologie ans Licht gebracht. Morgens und abends, wenn Ihr Kind mit Ihnen am Tisch sitzt, sollten Sie es mit wenigen Worten ermuntern, einen Bolus bzw. die Peninjektion für die Mahlzeit vor dem Essen abzugeben. Das bewirkt oft ein kleines Wunder, der Anstieg ist nicht mehr so hoch, die Werte rascher normalisiert. (Und nach diesen kleinen Erfolgen suchen Sie dann beim nächsten Auslesen.)

Passt die Insulinmenge noch? Vielleicht sind Sie schon ein Profi und wissen, wie man Mahlzeiteninsulin/Basalinsulin bzw. Basaslrate und Korrektur „ausbalanciert“, oder Ihr Kind hat eine Insulinpumpe, die selbst die Basalrate anpasst, aber die Mahlzeiteninsulinmenge noch nicht. Ihr Diabetesteam wird es Ihnen sicher gern erklären: Der Insulinbedarf bei Kindern steigt in einer gewissen Weise und betrifft Korrektur (die wird straffer, je älter das Kind wird), die KE-Faktoren und Basalrate (diese steigen gleichermaßen an, je älter das Kind wird).


❻ Keine Überkontrolle

Viele CGM-Systeme erlauben es den Eltern, die Daten ihrer Kinder mitzulesen. Nachts ist es sicher eine große Erleichterung für Eltern, wenn sie wissen, dass ein CGM- oder Pumpenalarm direkt auf ihr Smartphone geleitet wird. Je älter Ihr Kind wird, umso eher kann es diese Funktion aber auch als Kontrolle erleben, wenn Eltern – in bester Absicht – bei sehr hohen Werten ein, zwei oder drei ermahnende SMS senden.

Wir können im Alltag mit unseren Smart-Watches unsere Bewegungsdaten mit anderen teilen und uns freiwillig anspornen lassen, aber ermahnende elektronische Ansagen des Arbeitgebers, des Hausarztes oder der Krankenkasse, sich mehr zu bewegen, um heute noch 10.000 Schritte zu erreichen und so weiter, das ist (noch) Science-Fiction, und kaum einer wird das wollen. Kinder wollen auch nicht elektronisch kontrolliert und angetrieben werden, weshalb Sie die Kontrolle per CGM-Mitlesefunktion sehr differenziert einsetzen sollten.

Besser ist es, nach Erfolgen zu suchen und zu loben: „Das hast Du in der Situation super gelöst, ich bin wirklich stolz auf Dich!“


Autor:

Dr. Simone von Sengbusch
Diabetologin DDG
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin UKSH Lübeck

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2020; 12 (4) Seite 16-18

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