Gibt es bald ein “schlaues” Insulin?

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Gibt es bald ein “schlaues” Insulin?

Ein Insulin, das keine Unterzuckerungen verursachen kann – daran wird gerade geforscht; eine Substanz wird sogar schon an Menschen getestet. Wie kann solch ein “schlaues” Insulin funktionieren? Und wie weit ist die Forschung?

Die sogenannten Smart Insuline könnten die Insulinbehandlung revolutionieren. Sie wirken nur, wenn der Zucker hoch ist, aber nicht, wenn die Blutglukose normal ist. Anfang des Jahres kam wieder Bewegung in dieses Forschungsgebiet. Einerseits durch den Beginn einer ersten klinischen Studie bei Menschen und andererseits durch eine aufsehenerregende Studie bei Mäusen.

Schon mehr als ein Jahrzehnt Forschung

Die Diskussion um das schlaue Insulin geht in das Jahr 2003 zurück, als Todd Zion, ein Chemiker des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA die Firma SmartCells gründete, um SmartInsulin herzustellen. Dieses Insulin wirkt erst, wenn der Blutzucker steigt, aber hört auf zu wirken, sobald er wieder sinkt.

Um einen solchen Effekt zu erreichen, sind verschiedene ausgeklügelte Mechanismen möglich. Manche Forscher verwenden eine Gel- oder Eiweißbarriere, die eine Insulinwirkung bei niedrigen Glukosespiegeln verhindern soll. Diese Zusätze haben natürlich die potentiellen Risiken von allergischen Nebenwirkungen. Andere Technologien verwenden Kapseln oder Behälter, in denen Insulin an Lektine gebunden wird, woraus das Insulin in Abhängigkeit vom Zuckerspiegel im umgebenden Gewebe freigesetzt wird. Besonders vielversprechend erscheint die Kopplung von Insulinen an Eiweiße, die mit dem umgebenden Zuckerspiegel dergestalt interagieren, dass die Insulinwirkung an- und wieder ausgeschaltet werden kann.

Erste Studien bei Menschen begonnen

Während zunächst viele Forscher dem Konzept skeptisch gegenüberstanden, begann die Juvenile Diabetes Research Foundation, SmartInsulin zu fördern. Nach einer Phase der Ruhe wurde im Jahr 2010 bekannt, dass das US-Pharma-Unternehmen Merck & Co. die Firma SmartCells akquiriert hat. Inzwischen weiß man, dass Mercks SmartInsulin als Substanz MK-2640 das Stadium der klinischen Studien erreicht hat.

Aus der weltweiten, öffentlichen Studiendatenbank clinicaltrial.gov kann man ersehen, dass von November 2014 bis zum Sommer 2015 zwei Studien mit insgesamt 58 Probanden geplant sind.

Zunächst wird der blutzuckersenkende Effekt verschiedener intravenöser Dosierungen von MK-2640 bei gesunden Personen mit gleichzeitiger Glukoseinfusion untersucht, anschließend die Wirkung von MK-2640 im Vergleich zu einer intravenösen Gabe von Normalinsulin bei Menschen mit Typ-1-Diabetes geprüft. Alle Studien werden im Profil Institute for Clinical Research in Südkalifornien durchgeführt.

Insulin mit An/Aus-Schalter

Anfang Februar veröffentlichte Danny Chou, Assistenzprofessor für Biochemie an der Universität von Utah in Salt Lake City, USA, seine Forschungsergebnisse mit einem anderen Smart Insulin. Ursprünglich war er im selben Labor wie Todd Zion tätig. Er berichtete im Februar 2015 in der grundlagenwissenschaftlichen Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) über Untersuchungen zur subkutanen Injektion eines neuartigen Smart Insulins. Dieses war bei Mäusen mit Diabetes 13 Stunden lang blutzuckernormalisierend effektiv.

Chou und Mitarbeiter beschreiben in dem Artikel die Entwicklung und Testung eines neuartigen Insulins mit der Bezeichnung Ins-PBA-F, welches sich bei Vorliegen erhöhter Blutzuckerwerte selbst aktiviert, bis der Zucker zu einem normalen Level zurückgekehrt ist. Dabei verwenden sie ein Verfahren, auf chemischem Weg zusätzliche Moleküle an das Insulinmolekül anzuhängen, wie es z. B. bei dem langwirksamen Insulinanalogon Insulin detemir (Levemir®) zum Erreichen einer längeren Insulinwirkung erfolgreich im klinischen Alltag angewendet wird.

Beim Ins-PBA-F wird unter anderem Phenylboronsäure an das Insulinmolekül angehängt. Bei normalen Zuckerspiegeln bindet sich dieses modifizierte Insulin an Körpereiweiße, so dass es nicht zu einer blutzuckersenkenden Insulinwirkung kommen kann. Die Eiweiß-Bindung sorgt dafür, dass die modifizierten Insuline nach dem Spritzen erst einmal im Gewebe verbleiben.

Wenn der Glukosespiegel im Blut und wenig später auch im Gewebe ansteigt, bindet die Glukose an die Phenylboronsäure und verdrängt damit einen Teil des Insulins von dem Eiweiß. Dann kann Insulin ins Blut gelangen und dort den hohen Blutzucker senken. Liegt die Glukose wieder im Normalbereich, hört die Insulinabgabe aus der Insulin-Eiweiß-Bindung wieder auf. Insofern kann es bei diesem “schlauen” Insulin nicht zu einer Unterzuckerung kommen.

In den Tierversuchen wurde mit unterschiedlich hohen Glukoseinfusionen, die ungefähr den Anstiegen nach einer Mahlzeit entsprachen, auf diese Weise wiederholt eine Insulinwirkung ausgelöst und wieder gestoppt. Dabei blieben die Glukosespiegel in einem Bereich, der bei gesunden Mäusen nach der Nahrungsaufnahme erreicht wird.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Forscher geben an, dass sie noch etwa zwei bis fünf Jahre brauchen werden, bis sie mit Ins-PBA-F ähnlich wie bei dem Molekül MK-2640 mit klinischen Studien beim Menschen beginnen können. In einem Interview sagte Prof. Chou, dass nach seiner Einschätzung das Molekül Ins-PBA-F allen bisherigen Methoden der Insulinbehandlung überlegen sei. Der MIT-Wissenschaftler Matthew Webber, einer der anderen Autoren der Ins-PBA-F-Publikation, gab an, dass sie seit fünf Jahren an Smart Insulinen geforscht haben und seit drei Jahren das Konzept des Ins-PBA-F verfolgen, bis sie jetzt die erfolgreichen Ergebnisse vorlegen können. Insgesamt waren an der Entwicklung ungefähr 20 Mitarbeiter in den Laboren beschäftigt.

Auch wenn wir ja inzwischen gelernt haben, mit optimistischen Prognosen in der Diabetesforschung vorsichtig umzugehen, sind wir alle gespannt darauf, die Ergebnisse der ersten Humanstudien eines “schlauen” Insulins, das nicht mehr länger mit dem Risiko einer Unterzuckerung behaftet ist und trotzdem den Zuckerspiegel in nahe-normalen Bahnen hält, auf den kommenden Kongressen zu sehen.

Weitere Informationen gibt es hier:

  • Danny Chou et al. Glucose-responsive insulin activity by covalent modification with aliphatic phenylboronic acid conjugates. PNAS (2015) 112: 2401-2406
  • A Two Part Study to Evaluate the Safety, Pharmacokinetics and Pharmacodynamics of MK-2640 in Healthy Participants (Part I) and Participants With Type 1 Diabetes Mellitus (Part II) (MK-2640-001) https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02269735 last update May 15,2015

von Prof. Dr. Thomas Danne
Kinderdiabetologe, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin „Auf der Bult“, Hannover, Vorstandsvorsitzender diabetesDE

Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (06131) 9 60 70 0,
Fax: (06131) 9 60 70 90, E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2015; 8 (2) Seite 6-7

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

  • gingergirl postete ein Update vor 1 Woche, 3 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • darktear antwortete vor 1 Woche

      Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 1 Woche, 5 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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