Gut vorbereitet mit Diabetes in die Grundschule

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Gut vorbereitet mit Diabetes in die Grundschule

Mit der Schulzeit beginnt für Kinder auch der Weg zu mehr Eigenständigkeit. Sie lernen, Schritt für Schritt selbst mehr Verantwortung zu übernehmen. Bei Kindern mit Typ-1-­Diabetes ist dies eine besondere Herausforderung, da zu den ganzen Anforderungen des Unterrichts auch noch das Management des eigenen Stoffwechsels hinzukommt. Für Mia, die seit ihrem zweiten Lebensjahr Diabetes hat, stand im vergangenen Sommer der nächste Schritt an: Als Drittklässlerin nimmt sie nunmehr ohne Schulbegleiterin am Unterricht teil. Wir sprachen darüber mit ihrer Mutter.

DEJ: Frau Baptist, Ihre Tochter besucht seit den Sommerferien als Drittklässlerin mit Typ-1-Diabetes und nunmehr ohne Begleitperson die Grundschule. War dies eine große Umstellung?
Marion Baptist:
Ich glaube, die Umstellung selbst war nicht so groß, aber es war eine Herausforderung für mich, loszulassen und die Kontrolle komplett an Mia abzugeben. Vorher haben wir das an die Schulbegleiterin abgegeben, und da wussten wir, dass sie aus ihrer erwachsenen Sicht alles sehr gut unter Kontrolle hat. Mia selbst macht das natürlich auch ganz toll und kennt sich für ihr Alter auch richtig gut mit Diabetes aus, aber trotzdem ist es jetzt natürlich etwas anderes. Wir mussten erst einmal lernen, was es heißt, Mia die alleinige Verantwortung zu übertragen.

DEJ: Das klingt ein bisschen so, als sei die Umstellung für die Eltern eine größere Herausforderung, als sie es für Mia ist?
Marion Baptist:
Ja, ich glaube tatsächlich, dass es für Mia gar nicht so eine große Herausforderung war. Sie war total happy damit und richtig stolz. Glücklicherweise hatte sie selbst auch überhaupt keine Ängste. Ich glaube, Mia ist sehr anpassungsfähig. Sie hat sich zwar auch über ihre Schulbegleiterin gefreut, aber ich denke, dass der Stolz überwogen hat, jetzt wie alle anderen Kinder allein in die Schule gehen zu können.

DEJ: Mia ist mit Diabetes groß geworden und deshalb vermutlich fast schon ein Profi im Umgang mit der Erkrankung. Kennt sich trotzdem in ihrer Schule jemand mit Diabetes aus und könnte notfalls helfend eingreifen?
Marion Baptist:
Mit der Technik kennt sich in der Schule niemand aus. Es gab zunächst natürlich auch einige Unsicherheiten und Ängste im Kollegium, deshalb haben wir den Lehrern Diabetes-Schulungen vorgeschlagen, und das wurde auch sehr offen angenommen. Um die Technik kümmert sich Mia in der Schule allerdings allein. Wenn es damit ein Problem gibt, sind wir Eltern die Ansprechpartner. Wir sind immer erreichbar.

DEJ: Die moderne Technik hat ja auch ihre Tücken. Einerseits ist sie eine große Hilfe, aber andererseits kann man als Außenstehender nicht mehr so leicht auf den ersten Blick verstehen, was gerade abläuft.
Marion Baptist:
Ja, genau. Mia hat notfalls natürlich trotzdem Unterstützung in der Schule. Die Lehrer haben zum Beispiel im Blick, dass sie beim Wechsel des Klassenraums immer ihre Tasche dabeihat, in der alles Wichtige verstaut ist. Es fragt auch schon einmal jemand nach, ob es ihr gut geht, wenn sie zum Beispiel etwas blass aussieht. Die anderen Kinder machen das auch ganz toll und sagen Mia zum Beispiel Bescheid, wenn ihre Pumpe gepiept und Mia es nicht mitbekommen hat. Bedienen kann die Pumpe aber nur Mia selbst.

DEJ: Haben Sie selbst irgendwelche Vorkehrungen getroffen, damit Sie Mia bedenkenlos allein in die Schule lassen können?
Marion Baptist:
Ja, ganz viele. Mia hat Diabetes, seit sie zwei Jahre alt ist. Wir haben schon immer darauf geachtet, dass sie möglichst selbstständig mit ihrer Krankheit umgehen kann – natürlich immer altersentsprechend. Wenn die Schulbegleiterin mal ausfiel oder erkrankt war, haben wir schon in der zweiten Klasse Probetage ohne Begleitung eingelegt. Mia hat von uns einen kindgerechten Plan erhalten, den sie mit der Schulbegleiterin eingeübt hat – dazu gehört zum Beispiel, in der Pause kurz auf die Pumpe zu schauen und zu überprüfen, ob alles funktioniert. Mia mag Kontrolle allerdings nicht so gerne und möchte nicht, dass wir zwischendurch Nachrichten schreiben oder anrufen, deshalb beschränken wir den Kontakt während der Schulzeit auf ein Minimum und klären die Ursachen kleinerer Probleme im Nachgang.

DEJ: Haben Sie im Notfall denn noch eine andere Nummer, die Sie anrufen können, falls Mia zum Beispiel mal eine Unterzuckerung hat?
Marion Baptist:
Wir haben einen Plan gemacht, auf dem auch die Lehrer nachlesen können, was im Notfall zu beachten ist, wen sie anrufen können und wie sie reagieren sollten. Ansonsten gibt es aber auch vereinbarte Regeln, die Mia natürlich kennt. Sie darf bei einer Unterzuckerung zum Beispiel nicht laufen oder klettern und weiß auch, dass sie eine Pause einlegen soll. Ich würde jedenfalls nicht sofort losrasen, wenn ich auf dem Handy einen niedrigen Wert auf ihrem Sensor erblicke. Wenn ich aber nach einer Weile feststelle, dass Mias Werte dauerhaft sehr niedrig bleiben oder sehr schnell und stark abfallen, dann rufe ich sie an, um zu besprechen, was zusätzlich zum Traubenzucker hilfreich wäre – wie zum Beispiel gegebenenfalls ein anderes Profil mit weniger Insulin einstellen. Mia ist in der Bedienung der Pumpe zum Glück total fit. Man kann solche Sachen mit ihr per Ferndiagnose besprechen. Das ist allerdings nur sehr selten erforderlich.

DEJ: Haben Sie spezielle Absprachen mit Mia zum Beispiel für den Sportunterricht oder für einen Schulausflug getroffen?
Marion Baptist:
Wenn der Sportunterricht in der ersten Stunde beginnt, reduzieren wir schon den Bolus fürs Frühstück zu Hause. Mia hat zudem immer Obst und Saft für den Notfall dabei. Wenn ihr Wert auf 70 oder 80 mg/dl fällt, isst sie zwischendurch mal einen Apfel. Vor dem Sport liegt ihr Zielwert bei 130 bis 150 mg/dl. Wir arbeiten noch daran, dass sie das im Blick behält. Mia weiß, dass sie beim zweiten Frühstück in der Schule weniger „bolen“ muss, falls sie später Sport hat. Sie stellt dann den Aktivitätsmodus der Pumpe ein. Bei Ausflügen mit der Klasse haben wir sie anfangs begleitet, weil auch Unsicherheiten bei den Lehrern bestanden, aber inzwischen macht sie das nach Absprache auch allein. Bald hat sie außerdem Schwimmunterricht. Da werde ich anfangs erstmal dabei sein, da sie eine Pumpe hat, die nicht ins Wasser darf. Mia könnte das zwar ebenfalls allein regeln, wir möchten auch die Lehrerin ein wenig entlasten, damit sie sich keine zusätzlichen Sorgen machen muss.

DEJ: Haben Sie denn schon mal selbst eingreifen müssen, seit die Schulbegleiterin nicht mehr da ist, weil die Werte über einen längeren Zeitraum zu hoch oder zu niedrig waren?
Marion Baptist:
Ich bin schon zwei- oder dreimal in die Schule gefahren, aber letztendlich wäre es nicht unbedingt nötig gewesen. Ich hatte anfangs das Gefühl, der Schule zeigen zu müssen, dass wir jederzeit Verantwortung übernehmen. Ich bin zum Beispiel mal dort gewesen, weil Mias Wert zum Unterrichtsende sehr niedrig war und ich nicht wollte, dass sie noch den ganzen Weg mit dem Ranzen allein nach Hause läuft. Einmal war ich außerdem in der Schule, weil die Sensorwerte lange Zeit sehr hoch waren. Wir haben dann den Blutzucker nachgemessen und festgestellt, dass die Werte tatsächlich schon nicht mehr so hoch waren, wie der Sensor sie angezeigt hat. Das waren jeweils nur kleinere Probleme.

DEJ: Würden Sie rückblickend sagen, dass eine Schulbegleitung im ersten und zweiten Schuljahr eventuell gar nicht nötig gewesen wäre?
Marion Baptist:
Das kommt immer auf alle Beteiligten an – auf das Kind, auf die Schule und auch auf die Eltern natürlich. Wir fanden die Schulbegleiterin ganz toll. Mia ist damit gut zurechtgekommen. Sie konnte in der ersten und zweiten Klasse wirklich ganz entspannt in die Schule gehen. Deswegen glaube ich, dass das für uns genau der richtige Weg war, und ich freue mich, dass wir die Entscheidung getroffen haben. Ich glaube aber, dass es auch anders funktionieren kann und dass jeder seinen eigenen Weg finden muss. Ich achte zum Beispiel immer sehr auf gute Werte. Mit der Schulbegleiterin konnten wir perfektionistisch sein. Jetzt lassen wir auch mal fünf gerade sein, weil Mia in erster Linie Kind und Schülerin sein soll. Manchmal sind die Werte dann eben ein paar Stunden zu hoch, aber in solchen Fällen müssen wir im Moment Abstriche in Kauf nehmen. Dies ist aber zum Glück eher selten der Fall, da die Pumpe es meistens ziemlich gut schafft, die Werte zu senken und Mia selbst auch Korrekturboli abgeben kann – soweit die Pumpe eine Korrektur vorschlägt.

DEJ: Können Sie anderen Eltern, für die die Schulzeit ihres Kindes gerade beginnt, noch irgendwelche praktischen Tipps geben, an was man denken sollte?
Marion Baptist:
Eine Erfahrung, die ich gerne weitergeben würde, ist: Wenn alle Beteiligten etwas wollen, dann ist das auch machbar! Es ist aus meiner Sicht wichtig, offen auf die Schule zuzugehen und die Sorgen der Lehrer ernst zu nehmen. Wir haben mit offener Kommunikation viel erreicht. Mia hat allerdings schon im Kleinkindalter Diabetes bekommen. Das hat uns eine relativ lange Vorbereitung auf die Schulzeit ermöglicht. Als wir die Pumpe gewechselt haben, konnte Mia die neue Pumpe praktisch sofort bedienen. Wenn man diese Eigenständigkeit beim Kind fördert und damit früh anfängt, wird es auch in der Schule gut laufen. Es ist aber sicherlich eine etwas andere Situation, wenn ein Kind Diabetes bekommt, das schon in der Schule ist, was ja ebenfalls sehr häufig vorkommt.

DEJ: Wir danken Ihnen für das Gespräch!


Interview: Thorsten Ferdinand

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2023; 15 (2) Seite 20-21

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