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Für die meisten Jugendlichen ist die Zeit des Erwachsenwerdens sehr turbulent; auch für jene mit Diabetes, so dass deren Stoffwechselkontrolle dabei oft zu kurz kommt. Im Rahmen einer Studie wurde nun ein Pilotprojekt gestartet, in dem jugendliche Diabetiker auch von ihrer „Hausapotheke“ betreut werden – mit überraschend positiven Ergebnissen.
“Das hätten wir alle nicht für möglich gehalten”: Joel, 17 Jahre, ist Teilnehmer einer Studie für jugendliche Typ-1-Diabetiker … und echt überrascht über seine Fortschritte und besseren Werte. In den letzten Monaten wurde er nicht nur von der Diabetesambulanz seiner Klinik in Krefeld betreut, sondern auch von seiner Hausapotheke.
Joel geht es wie vielen Jugendlichen: Auf der Suche nach eigener Verantwortung, beim Abnabeln von zu Hause und den lästigen Vorschriften der Autoritäten bleibt die Konzentration auf die Diabeteseinstellung oft auf der Strecke; der durchschnittliche HbA1c-Wert von 9,3 Prozent spricht da eine deutliche Sprache. Wie also einen neuen, anderen Zugang zu den Jugendlichen finden? Wie ihr Verhalten beeinflussen?
Emina Obarcanin lebt in Sarajewo, Bosnien-Herzogowina – einem Land, das uns in letzter Zeit durch Flutkatastrophe und Fußball-WM nähergebracht wurde; sie ist Apothekerin, in Deutschland aufgewachsen, hat hier studiert und kennt so die Situation beider Länder. Ihre Feststellung: Hier wie da haben Jugendliche die gleichen Schwierigkeiten und schlechte, für ihre Zukunft viel zu hohe Blutzuckerwerte. Dies gilt es zu ändern, damit es nicht zu schrecklichen Diabetesfolgen kommt.
Wie das geht? Die Idee: durch engere Kooperation und fachlichen Austausch zwischen dem Diabetesteam der Klinikambulanz oder der Schwerpunktpraxis und der versorgenden Apotheke den Jugendlichen mehr und andere Ansprechpartner zu bieten, um Probleme besser zu erkennen und gemeinsam zu lösen.
Unter Leitung von Prof. Dr. Stephanie Läer (Klinische Pharmazie der Uni Düsseldorf) entwickelte Emina Obarcanin ein Studiendesign, was dann mit der Helios Klinik Krefeld, der Universitätsklinik Sarajewo und 15 beteiligten Apothekern in beiden Ländern umgesetzt wurde: mit 68 jugendlichen Typ-1-Diabetikern (12 bis 18 Jahre). 40 wurden gemeinsam von Diabetesteam und Apotheker betreut, 28 nur durch das Diabetesteam in der Standardversorgung.
Wie üblich kamen die Jugendlichen zu ihren monatlichen bzw. quartalsmäßigen Terminen in die Klinik. Die Jugendlichen benannten die Apotheke, in der sie betreut werden wollten. Die Ambulanz lieferte die aktuellen Blutzuckerwerte und erhielt vom Apotheker das Protokoll der Besprechung mit den Jugendlichen. Besprochen wurden Therapiekonzepte, Umsetzungsstrategien und Beratungsinhalte – in gemeinsamen Treffen von Diabetologen, Diabetesberaterinnen und Apothekern vor und während der Studie.
Auf allen Seiten waren am Anfang Zweifel und Vorbehalte – aber auch eine große Offenheit, sich auf diesen neuen Weg einzulassen. Wie soll der zusätzliche Zeitaufwand geleistet werden? Klappt die interprofessionelle Verständigung oder verzettelt man sich in unnötigen Kompetenzstreitigkeiten? Bleiben die Jugendlichen bei der Stange – oder sind für sie Aufwand und Ertrag nicht in einem akzeptablen Verhältnis? Die Kommentare geben sehr gut wieder, wie positiv die Erfahrung aller Beteiligten nach 6 Monaten war.
Auch die harten Zahlen bestätigen das überraschend gute Ergebnis: 1,1 Prozent HbA1c-Senkung nach 3 Monaten, 0,5 Prozent nach 6 Monaten. Aber hält dieser Erfolg? Die Nachuntersuchung nach 12 Monaten brachte eine Senkung des HbA1c um 1 Prozent im Durchschnitt. Wichtig, dass viele profitierten – und einige wenige (dies auch nicht unerwartet) in alte Verhaltensmuster zurückfielen.
Jetzt gilt es, auf allen Seiten nachzudenken: Ist nicht eine sicher aufwendigere, aber erfolgreicheinterdisziplinäre Betreuung gerechtfertigt – gerade in dem Lebensabschnitt, wo der zukünftige, eigenständige Umgang und die Einstellung zum Diabetes geprägt werden? Die beteiligten Jugendlichen wünschten sich dies.
Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) ist ein wichtiges, aktuelles Thema – aber häufig nur in Kombination mit Polymedikation und Alter diskutiert. Hier eröffnet sich ein neues Feld, wo durch die intensivere, auf den Patienten bezogene Zusammenarbeit der Heilberufe viel zu erreichen wäre. Die Studie macht Mut für Nachahmer und sollte auch Krankenkassen auf neue Versorgungsmöglichkeiten mit Erfolgsaussichtaufmerksam machen.
von Manfred Krüger
Landesbeauftragter für Pharmazeutische Betreuung und AMTS, Apothekerkammer und Apothekerverband Nordrhein, EADV Kommission BAK/DDG, AG Prävention DDG
Kontakt:
M.Krueger@Linner-Apotheke.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2014; 63 (9) Seite 18-21
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