Ja zu Süßstoffen!– Oder lieber nicht?

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Ja zu Süßstoffen!– Oder lieber nicht?

Süßstoffe sind in aller Munde. Insbesondere bei Diabetes und zum Abnehmen spielen sie eine zentrale Rolle. Doch sie werden immer wieder auch kontrovers diskutiert. In den Medien spiegelt sich dies oft negativ wider. Diabetes-Journal-Redakteurin Kirsten Metternich hat bei Prof. Dr. med. Diana Rubin von der Klinik für Gastroenterologie und Diabetologie des Vivantes Humboldt-Klinikums in Berlin nachgefragt, wie Süßstoffe zu bewerten sind.Süßer Geschmack ist angenehm und vermittelt ein gutes Gefühl. Vor allem Kinder lieben Schokolade, Eis, Nuss-Nougat-Creme und Fruchtgummi. Nur, wie lässt sich das mit der Diabetestherapie vereinen? Hilfreich kann hier der moderate Einsatz künstlicher Süßstoffe sein.

Cola zero oder normal gezuckert, herkömmliches Eis oder doch nur selbstgemachtes? Zuckerreduzierte Konfitüre oder Nutella aufs Brot? Bonbons und Kaugummi mit oder ohne Zucker? Fragen, die sich Eltern und auch Jugendliche stellen, wenn es um Süßes in der Diabetestherapie geht – nicht nur im Hinblick auf mögliche Einsparungen von Insulin: Denn alle 11 in Europa zugelassenen Süßstoffe (siehe Abb. 1) sind energiefrei und haben keine Auswirkung auf den Blutzuckerspiegel.

Weitverbreitet: abenteuerliche Mythen zu Süßstoffen

Auch die Frage nach passenden Mengen und möglichen Auswirkungen auf die Gesundheit stellt sich. Kein Wunder – es gibt zu Aspartam, Cyclamat und Co abenteuerliche Mythen …

Ganz gleich, ob Meldungen über Appetitsteigerung, Einsatz in der Schweinemast oder Veränderungen am Erbgut: Alle 11 Süßstoffe sind mittels zahlreicher Studien von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) auf ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit geprüft; zu jedem gibt es entsprechende Empfehlungen für die Tageshöchstmenge (“ADI-Werte”: Acceptable Daily Intake). Und die wird praktisch nicht oder kaum erreicht, so dass hier keine Gesundheitsgefahr besteht, auch nicht bei lebenslangem Konsum.

Machen Süßstoffe dick?

Auch hält sich die These, dass Süßstoffe dick machen können, da sie in der Schweinemast eingesetzt werden. Der Hintergrund ist ein anderer: Laut Futtermittelverordnung zählen künstliche Süßstoffe hier zu Aromen; diese dürfen Ferkeln bis zum vierten Lebensmonat beigemischt werden, um ihnen angebotenes Kraftfutter schmackhaft zu machen, damit sie möglichst viel fressen. Auch Geld spielt dabei eine Rolle, denn Süßstoffe sind besonders günstig und haben in kleinen Mengen eine enorme Süßkraft. Das sind die tatsächlichen Gründe, warum man sie in der Mast einsetzt.

Kindern das Gefühl für natürliche Süße vermitteln!

Individuelles Empfinden für Süß lässt sich trainieren – ganz gleich, ob Kind, Jugendlicher oder Erwachsener. Als Eltern oder Großeltern sollte man mit gutem Beispiel vorangehen und nicht alles und jedes Produkt süßen. Wird Kindern regelmäßig frisches Obst angeboten oder Obstsalat, der nicht zusätzlich gesüßt wird, kann das den Kids ein Gefühl für die natürliche Süße von Lebensmitteln vermitteln.

Viele Milchprodukte sind heute industriell so stark gesüßt, dass es sich anbietet, Shakes, Fruchtbuttermilch oder auch Desserts und Eis selbst herzustellen. Hier können ein paar Spritzer Flüssigsüßstoff passen, je nach Geschmack. Bei industriell hergestellten Produkten lohnt der Blick aufs Etikett, sprichNährwertanalyse und Zutatenliste. Sämtliche Bezeichnungen im Hinblick auf Zucker sind europaweit festgelegt. Das erleichtert den Umgang auf Reisen, bei Klassenfahrten oder im Schüleraustausch.

“Zuckerfrei”, “zuckerarm”, “ohne Zucker” – was bedeudet das?

Steht auf dem Produkt “zuckerfrei” oder “ohne Zucker”, dürfen nicht mehr als 0,5 g Zucker (Saccharose) in 100 g oder 100 ml enthalten sein. Hier kommen alternativ oft Süßstoffe zum Einsatz. Trotzdem gilt es, genau zu schauen, denn auch Zuckeraustauschstoffe wie Fruktose, Sorbit oder Isomalt dürfen eingesetzt werden; oft ist das bei Bonbons und Kaugummis der Fall. Größere Mengen können zu Blähungen und Durchfall führen. Zuckeraustauschstoffe sind auch nicht energiefrei und können zudem den Blutzuckerspiegel beeinflussen.

Die Bezeichnung “zuckerarm” bedeutet: In festen Lebensmitteln wie Fruchtjoghurts dürfen 5 g Zucker pro 100 g enthalten sein und 2,5 g in 100 ml Getränk. Diese Bezeichnung findet sich oft auf Getränken, die speziell für Kinder konzipiert sind. Hat ein Lebensmittel mindestens 30 Prozent weniger Zucker als sein Ursprungsprodukt, darf auf der Verpackung zuckerreduziert stehen. Diese Angabe findet sich ebenfalls oft auf Milchprodukten und auch Eis.

Und was bedeutet ohne Zuckerzusatz? Hier ist jegliche Zugabe von Zucker untersagt – ganz gleich, ob Saccharose, Glukose oder irgendein anderer Zucker. Lediglich der natürliche Gehalt zum Beispiel aus Früchten darf enthalten sein … eine typische Bezeichnung auf Fruchtsäften und Smoothies. Trotzdem liefern auch sie Kalorien und blutzuckerwirksame Kohlenhydrate.

Kochen und backen mit Süßstoff

Werden Kuchen, Muffins oder Cupcakes gebacken, bietet sich die Kombination von Zucker und Süßstoff an. Praktisch geht das zum Beispiel mit Stevia sowie klassischen Flüssig- und Streusüßen auf Basis von Sucralose, Saccharin und Cyclamat. Kombiniert mit Zucker entwickelt sich dabei ein angenehmer Geschmack, so dass die ganze Familie, kleine und auch große Gäste mitessen können.

Konfitüre lässt sich im Mischungsverhältnis 3 : 1 gut selbst machen. Auch Pfannkuchen, Aufläufe, Milchshakes oder Desserts sind einfach und schnell mit Süßstoff gemacht. Laut Deutscher Diabetes Gesellschaft ist Zucker in einer Menge von 10 Prozent der Tageskalorien (30 bis 50 g) möglich. Trotzdem empfiehlt es sich, Süßstoffe moderat einzusetzen, damit Spielraum bleibt für normal gezuckerte Süßigkeiten.


Interview: Süßstoff auf dem praktischen Prüfstand

Diabetes-Journal (DJ): Frau Professor Rubin, kaum eine Woche vergeht, ohne dass irgendwo eine Negativschlagzeile zum Thema Süßstoff veröffentlicht wird. Wie wirkt sich das auf allgemeines Verbraucherverhalten aus?

Prof. Dr. med. Diana Rubin: Viele Verbraucher können plakative Schlagzeilen nicht richtig deuten. Dabei entsteht meist der Eindruck, Süßstoffe seien ungesund, da es sich um künstliche Produkte handelt.

DJ: Ärzte raten ihren Patienten teils davon ab, Süßstoff zu nutzen. Warum ist dies so?

Rubin: Manche Ärzte sind möglicherweise verunsichert, wie der Umgang mit Süßstoff am besten funktioniert. Sicher tun Hiobsbotschaften aus der Laienpresse ihr Nötiges dazu. Deshalb raten sie lieber ab, um auf Nummer sicher zu gehen. Andererseits wollen viele Ärzte, dass Patienten ihr Essverhalten unter die Lupe nehmen. Dabei spielt es auch eine Rolle, sich nicht an allzu süßen Geschmack zu gewöhnen.

DJ: Die Vorliebe für Süß ist angeboren. Was empfehlen Sie Eltern, damit Kinder ein gesundes Verhältnis dazu bekommen?

Rubin: Eine Prägung für süßen Geschmack wird quasi schon über die Muttermilch vermittelt. Trotzdem schmeckt sie nicht so süß wie beispielsweise Limonade, Saft oder zahlreiche Fruchtjoghurts. Eltern sollten das lediglich in kleinen Mengen und nicht ständig anbieten. Süßes ganz zu verbieten, halte ich für pädagogisch wenig sinnvoll. Dennoch ist es wichtig, den Kids früh genug zu erklären, dass beispielsweise Softdrinks und auch Süßigkeiten ein besonderer Genuss sind.

DJ: Wie lässt sich ständiges Verlangen nach süßem Geschmack auf ein Normalmaß ändern?

Rubin: Ich empfehle, zunächst beim Süßgeschmack von Getränken anzusetzen. Ganz gleich, ob Saft, Limo, Kaffee oder Tee. Statt drei Süßstofftabletten Stück für Stück auf eine reduzieren. Limonade und Säfte mit Wasser verdünnen. Eine schrittweise Reduktion bietet sich als leichter umsetzbar für den Verbraucher an. Allerdings ist hier auch die Industrie gefragt: Es wäre wünschenswert, in vielen Produkten den Zuckergehalt generell zu vermindern.

DJ: Thema Süßstoff und gesteigerter Appetit – was ist dran an dieser Aussage?

Rubin: Es gibt zahlreiche Studien, die dieses Phänomen nicht belegen. 1993 erschien eine Studie mit der Hypothese, dass mit Süßstoff gesüßte Getränke den Appetit leicht anregen. Allerdings galt dies nur innerhalb der ersten Stunde nach deren Konsum, danach nicht mehr. Nach 1993 wurden 19 weitere Studien zum Thema publiziert. Bei drei davon zeigte sich eine Appetitsteigerung. Weitere drei hatten im Ergebnis einen reduzierenden Effekt und bei allen restlichen zeigte sich keine Auswirkung auf Appetitsteigerung und damit verbunden auch keine Insulinsekretion.

DJ: Wie sieht es aus mit einer gestörten Glukosetoleranz, wenn regelmäßig Süßstoffe konsumiert werden?

Rubin: Es gibt keine Studien, die diese Wirkung belegen. Diese wird nicht vom Süßstoffkonsum beeinflusst.

DJ: Lässt sich durch Verwendung von Süßstoffen leichter abnehmen?

Rubin: Auf jeden Fall. Für Menschen mit Diabetes und auch, um Gewicht langfristig abzubauen, sind moderate Mengen an Süßstoffen sinnvoller, als herkömmlichen Haushaltszucker zu verwenden.

DJ: Kann man also von einer Entwarnung für Betroffene im Hinblick auf Süßstoffkonsum sprechen?

Rubin: Abschließend lässt sich sagen, dass Süßstoff in moderater Menge bewusst eingesetzt für Diabetiker, ganz gleich, ob jung oder alt, sinnvoll und möglich ist.

DJ: Frau Prof. Rubin, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Kirsten Metternich.

Schwerpunkt Aufwachsen mit Diabetes

von Kirsten Metternich
Diätassistentin DKL, DGE

Kontakt:
Redaktion Essen & Trinken
Hildeboldstraße 5, 50226 Frechen-Königsdorf
Tel.: 0 22 34/91 65 41, Fax: 0 22 34/91 65 42
E-Mail: info@metternich24.de
, http://www.metternich24.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (9) Seite 24-29

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