Kinder mit Diabetes in Schulen und Kindergärten oft benachteiligt

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Kinder mit Diabetes in Schulen und Kindergärten oft benachteiligt

Für Kinder mit insulinpflichtigem Diabetes sowie deren Eltern entstehen im hiesigen Bildungssystem noch immer Nachteile, so dass betroffene Familien vermehrt psychischen, sozialen und finanziellen Belastungen ausgesetzt sind, mahnt die Deutsche Diabetes Gesellschaft. Daher bedürfe es eines bundesweiten Gesetzes und konkreter Finanzierungsmöglichkeiten auf Landesebene.

In Deutschland leben schätzungsweise bis zu 17.400 Kinder unter 14 Jahren mit Typ-1-Diabetes. „Bis zu ihrem zwölften Lebensjahr benötigen diese Kinder in der Regel eine Unterstützung in ihrem Therapiemanagement – auch in Kindergarten und Schule“, erklärt Dr. med. Jutta Wendenburg, Sprecherin der AG Inklusion der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie (AGPD).

Nationale und internationale wissenschaftliche Leitlinien fordern daher eine bedarfsgerechte Unterstützung der Kinder mit Typ-1-Diabetes in Kitas und Schulen. „Der Rechtsanspruch für Unterstützungsleistungen, um eine angemessene Schulbildung zu sichern, ist übrigens unbestritten“, betont Wendenburg. Dieser ergebe sich ganz klar aus dem Deutschen Grundgesetz sowie der UN-Menschenrechtskonvention [1].

Strukturelle Exklusion statt Inklusion betroffener Kinder

DDG-Experten kritisieren, dass die praktische Umsetzung auf Landes- und Kommunalebene und – vor allem die Finanzierung dieser Maßnahmen – in Deutschland jedoch nicht ausreichend geregelt oder nicht verwirklicht wird. „Im Gegenteil: In vielen Fällen fördert das deutsche Bildungssystem eher eine Exklusion statt Inklusion betroffener Kinder“, gibt Wendenburg zu bedenken.

Bei einer Online-Umfrage [2] der AG Inklusion der DDG mit 1.189 betroffenen Familien gaben bis zu 48 Prozent der Eltern an, dass ihr Kind nicht gleichberechtigt an der Schule partizipieren könne. In Kindergärten wird fast jedes dritte Kind mit Diabetes von mehrtägigen Fahrten und jedes Fünfte von Ausflügen ausgeschlossen. In Grundschulen und weiterführenden Schulen sinkt der Anteil auf unter zehn Prozent.

„Es kann nicht sein, dass eine gleichberechtigte Teilhabe von Kindern mit Diabetes auch nach zehn Jahren UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland nicht umsetzbar ist“, so Wendenburg.

Oft bleibt nur der Rechtsweg, um Ansprüche durchzusetzen

Finanzielle und personelle Unterstützungsleistungen sind schwer zu beantragen und stellen Familien vor zusätzliche Herausforderungen: „In Deutschland gibt es keine bundesweit einheitliche Regelung, wie und wo Teilhabeleistungen für Kinder mit insulinpflichtigem Diabetes beantragt werden können“, erklärt Privatdozent Dr. med. Thomas Kapellen, Sprecher der AGPD.

„Für Eltern und betreuende Diabetesteams ist es zunehmend schwieriger, entsprechende Hilfen zu organisieren, um einen Regelschulbesuch des Kindes zu ermöglichen.“ Sozialgerichtsurteile belegen, dass Eltern oft nur der Rechtsweg bleibe, um den Anspruch des Kindes auf gleichberechtigte Bildung umzusetzen. Denn in den meisten Fällen lehnen mögliche Rehabilitationsträger ihre Zuständigkeit für diese Art von Leistungen ab.

Die AMBA-Studie [3], in der 1144 Fragebögen von bundesweit betroffenen Familien ausgefüllt wurden, zeigt darüber hinaus auf, wie weitreichend die psychosozialen Folgen der Diabetesdiagnose für Familien – insbesondere für Mütter – sind. „In Folge der Diabetesdiagnose reduzieren 39 Prozent der Mütter ihre Berufstätigkeit, zehn Prozent geben sie ganz auf“, führt Studienautorin Professor Dr. rer. nat. Karin Lange aus. Fast die Hälfte der Befragten erleide dadurch große finanzielle Einbußen.

„Je früher ein Kind an Diabetes erkrankt, umso ausgeprägter sind die psychosozialen und finanziellen Folgen“, so die Leiterin der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Umfrage verdeutlicht, dass sich gegenüber vergleichbaren Daten aus 2004 die Belastungen noch verstärkt haben.

Teufelskreis aus institutioneller Ausgrenzung und Mangelversorgung

Auch aus medizinischer Sicht ist eine außerhäusliche altersgerechte Unterstützung unabdingbar. „Studien zeigen, dass schwere Unter-, aber auch langfristige Überzuckerungen, Defizite in der kognitiven Entwicklung von Kindern mit Diabetes zur Folge haben können“, warnt DDG Vizepräsident Professor Dr. med. Andreas Neu.

„Kinder mit Diabetes sind in jedem Fall auf Therapieunterstützung in Kita und Schule angewiesen, da die Qualität der Stoffwechsellage wiederum ihre kognitive Entwicklung beeinflusst.“ Die jungen Menschen befänden sich also in einem Teufelskreis aus institutioneller Ausgrenzung und Mangelversorgung.

„Angesichts des dramatischen Zuwachses der jährlichen Diabetes-Neuerkrankungsrate von rund vier Prozent – besonders von Kleinkindern – ist diese Gesamtsituation alarmierend“, betont Neu. Denn mit dem damit verbundenen steigenden Betreuungsbedarf in Kindergärten und Grundschulen sei zu erwarten, dass immer mehr Eltern Versorgungslücken schließen müssen, was die Familie in hohem Maße belaste und sozial benachteilige.

Die DDG fordert ein bundesweites Gesetz und konkrete Finanzierungsmöglichkeiten auf Landesebene. Dies ermögliche den Bildungseinrichtungen, die Inklusion von Kindern mit Diabetes durch zusätzliches, institutionseigenes Personal zu gewährleisten. In anderen Ländern wie Schweden und den USA werde dies bereits erfolgreich umgesetzt. Wie die psychosoziale Versorgung von Menschen mit Diabetes in Deutschland verbessert werden kann ist Schwerpunkt des 4. Zukunftstages Diabetologie am 17. Oktober 2019 in Berlin.

Literatur

  1. Laut Art. 3 Absatz 3 des Grundgesetzes ist festgeschrieben, dass Menschen mit Erkrankungen nicht benachteiligt werden dürfen. Hinzu kommt Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention, worin das Recht von Menschen mit Behinderung auf Bildung verankert ist. Diese Regelung wiederholt und bekräftigt die Regelungen des Artikels 13 des UN-Sozialpakts, der Artikel 28 und 29 der UN-Kinderrechtskonvention sowie des Artikels 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Die Leistungen zur Teilhabe von Kindern mit chronischen Erkrankungen an Bildungsinstitutionen wird in Deutschland i.d.R. über SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe § 53 Abs.1 und § 54 geregelt.
  2. Heinrich M, Boß K, Wendenburg J, Hilgard D, v Sengbusch S, Kapellen TM, für die AG Inklusion der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie: Unzureichende Versorgung gefährdet Inklusion von Kindern mit Diabetes mellitus Typ 1, Diabetologie und Stoffwechsel, DOI: 10.1055/a-0970-8886.
  3. [Dehn-Hindenberg A., Lange K., Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes: Folgen für Berufstätigkeit, psycho-soziale Belastungen und Bedarf an Unterstützungsleistungen – Ergebnisse der AMBA-Studie, Diabetologie und Stoffwechsel 2019; 14(S 01): S69 DOI: 10.1055/s-0039-1688306

Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • darktear antwortete vor 2 Wochen

      Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 5 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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