Leon: „Mein erstes Jahr mit Diabetes“

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Leon: „Mein erstes Jahr mit Diabetes“

Die Diagnose Diabetes bekam Leon vor etwa eineinhalb Jahren, da war er elf. „Mittlerweile kann ich damit leben und weiß auch damit umzugehen“, sagt er – und erzählt im Diabetes-Eltern-Journal seine Geschichte.

Vor einigen Wochen erreichte die Redaktion ein Brief, darin schilderte der zwölfjährige Leon sein erstes Jahr mit Diabetes. Sein Text hat uns so gut gefallen, dass schnell klar war: Der kommt ins nächste Heft! Leon lebt mit seiner Familie in Osterholz-Scharmbeck (Niedersachsen), geht aufs Gymnasium und möchte später gerne Journalist werden.

Ein Jahr mit Diabetes hat ihm gezeigt: Es gibt schlimmere Krankheiten. Er sagt, er hat keinen Grund zu trauern – und seine Eltern, so hofft er, auch nicht. “Es ist so, wie es ist – wenn es so sein soll, habe ich nichts dagegen”, sagt er heute.

Plötzlich starker Durst und Harndrang

Ich bin eigentlich jemand, der relativ wenig trinkt – doch ab Anfang Februar 2012 änderte sich das: Ich trank plötzlich mehr als zwei Liter pro Tag und musste ständig auf die Toilette. Meine Mutter fand das äußerst seltsam. Könnte ich Diabetes haben? Allerdings haben wir diesen Gedanken erst einmal gleich wieder verworfen. Meine Mutter kannte die Diabetes-Symptome aber noch von früher: Als sie ein Kind war, haben ihre beiden Onkel auch Diabetes bekommen.

Sie konnte sich noch genau erinnern, wie es damals war: Ein Onkel hat immer viel Durst gehabt; bei ihm wurde Diabetes festgestellt. Nach etwa einem Jahr war es bei seinem Bruder genauso. Er ging zum Arzt – und es war auch Diabetes! Meiner Mutter sind diese Gedanken wie Papier an Klebstoff hängen geblieben.

Verschwommenes Sehen im Französischunterricht

Es war ein ganz gewöhnlicher Freitag, wir hatten eine Englischarbeit geschrieben. Schon morgens hatte ich mich sehr schlapp gefühlt und konnte alles nur sehr verschwommen sehen. Ich dachte, es wäre eine Erkältung der schlimmeren Sorte, aber da hab‘ ich mich wohl getäuscht. Die Englischarbeit war der Horror. Mir ging es sehr schlecht.

In der letzten Stunde hatten wir Französisch. Ich saß in der vorletzten Reihe und konnte das Gesicht meiner Lehrerin sehr schlecht erkennen. Zum Schluss hat sie uns “ein schönes Wochenende” gewünscht. Von wegen: Das Wochenende und auch die nächsten Wochen waren gelaufen. Als meine Mutter mich abholte, habe ich ihr natürlich gesagt, dass ich immer noch sehr verschwommen sehe. Sie hat gemeint, dass es wohl morgen wieder weg sein würde – aber gedacht hat sie etwas anderes.

Dann Gewissheit: Diagnose Diabetes

Als sie an diesem Tag von der Arbeit kam, fuhren wir dann doch zum Kinderarzt. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht einmal, was Diabetes genau ist.

Wir beide hielten es für relativ unwahrscheinlich, dass es ausgerechnet mich treffen würde. Der Arzt hat zweimal einen Blutzuckertest bei mir gemacht. Der Wert: 414 mg/dl (23 mmol/l). Diagnose: Diabetes! Wir mussten sofort ins Krankenhaus fahren. Ich fing an zu weinen, denn ich wusste, das würde mein Leben für immer verändern.

Im Krankenhaus wurde mir gleich Blut abgenommen – was ich wirklich gar nicht mag. Ich war so glücklich, das überstanden zu haben, dass ich fröhlich zu meinen Eltern sagte: “Das Schlimmste habe ich jetzt schon hinter mir!” Na ja, wie unrecht ich hatte, könnt ihr euch denken. Meine Mutter und ich wurden auf ein Zimmer gebracht. Es kam eine Ärztin rein, sie sagte, dass wir nicht alleine sind und dass es nicht so schlimm ist, wie es in diesem Moment scheint.

Die erste Basisspritze

Ich wollte jetzt einfach nur noch schlafen – es war schon nach 21 Uhr. Aber erst musste ich noch das erste Mal eine Basisspritze überstehen. Die Krankenschwestern sind in der Nacht stündlich reingekommen, um meinen Blutzucker zu messen. Ich hatte Angst vor den Ergebnissen, Angst vor einem zu hohen oder einem zu niedrigen Wert, denn was man manchen muss, wenn der Blutzucker zu hoch oder zu niedrig ist, wusste ich ja noch nicht.

Ich war dann zwei ganze Wochen im Krankenhaus. Mein Vater ist jeden Morgen zu uns ins Krankenhaus gekommen, um an den Schulungen teilnehmen zu können.


Nächste Seite: Leon lernt, sich selbst zu spritzen, freut sich über viel Zuspruch und gewinnt Zuversicht. Heute, ein Jahr später, kommt er gut mit seinem Diabetes zurecht.

Zunächst Angst, selbst zu spritzen

Es dauerte einige Tage, bis ich selbst versucht habe, mich zu spritzen. Ich habe es versucht und versucht, aber ohne Erfolg. In den Bauch schon gar nicht, da hatte ich Angst. Ein, zwei Tage später kam meine Diabetesberaterin Beate zu uns rein und sagte, dass ich nun spritzen solle. Ich habe mich wieder nicht getraut, aber dann kam der entscheidende Ansporn von meiner Mutter: Ich würde schon eins von meinen Geburtstagsgeschenken bekommen, wenn ich mich selbst spritzen würde.

Ich habe am 26. Februar Geburtstag, und wir hatten gerade den 23. Dieses Angebot konnte ich nicht ablehnen. Zwar habe ich noch mindestens fünf Minuten gebraucht, aber dann: Zack, Nadel ins Bein, alle glücklich.

Ich bin nicht allein!

Am 25. Februar war ich überglücklich, denn viele Kinder aus meiner Klasse haben mich im Krankenhaus besucht. Erst waren es nur drei Mädchen, mit denen ich mich sehr gut verstehe, nach 20 Minuten kamen die nächsten Besucher. Ich habe laute Stimmen gehört, und dann klopfte es, und fast der ganze Rest der Klasse kam herein. Sie haben mir eine Karte mitgebracht, auf der alle unterschrieben haben, außerdem einen großen Stoffpinguin, den ich Pingu taufte.

Es war wirklich sehr schön, das Gefühl zu haben: “Hey, Leon, du hast gute Freunde, die hinter dir stehen und dir wahrscheinlich immer helfen, wenn du Hilfe brauchst!” Als alle wieder weg waren, kam ein Mädchen rein. Julia lag auch im Krankenhaus und hatte kurz nach mir die Diagnose Diabetes verkraften müssen. Es war schön, mit einem Menschen reden zu können, der mich genau verstand.

Wunderschöner Tag mit meiner ersten Überraschungsparty

An meinen Geburtstag durfte ich dann von morgens bis abends raus aus dem Krankenhaus. Ich habe die Geschenke ausgepackt und mich natürlich sehr gefreut, außerdem kamen überraschend ein paar Freunde aus meine Klasse. Sie hatten einen Kuchen gebacken – das war ein bisschen unpraktisch, weil wir ja noch nicht so gut mit dem Diabetes umgehen konnten. Trotzdem haben wir ihn geschätzt und gegessen. Es war ein wunderschöner Tag mit meiner ersten Überraschungsparty.

Lernen, alleine mit dem Diabetes zurechtzukommen

Am 27. Februar wurde ich entlassen und war froh, endlich aus der Klinik herauszukommen. Eine Woche war ich dann noch zu Hause, weil wir lernen mussten, alleine mit dem Diabetes zurechtzukommen. Danach war es schön, wieder in der Schule zu sein, wieder mit meinen Freunden zu reden, zu lachen und vor allem den ganzen Diabetes-Wirrwarr ein bisschen zu vergessen. In der großen Pause habe ich dann gemessen – aber unter dem Tisch, weil ich nicht groß auffallen wollte. Das will ich auch heute noch nicht.

Nun habe ich bereits über ein Jahr lang Diabetes, obwohl es sich so anfühlt, als ob ich erst gestern gelernt hätte, zu spritzen und KEs zu berechnen. Aber all dieses Zeug kann ich mittlerweile schon sehr gut. Ich bin sehr froh, dass ich diese Zeit überstanden habe, und auch wenn mich der Diabetes mein Leben lang begleiten wird, weiß ich, dass ich nicht alleine bin: Es gibt viele Menschen auf der Welt mit Diabetes.

Danke an meine Eltern, meine Freunde und an Julia!

Zu guter Letzt möchte ich mich bedanken: Ich danke vor allem meinen Eltern, die mir immer geholfen haben, ich danke meiner Klasse, die mir gezeigt hat, dass ich wahre Freunde habe, und ich danke Julia, die mir das Gefühl gegeben hat, dass ich nicht alleine bin.


von Leon

Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0,
Fax: (0 61 31) 9 60 70 90, E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2013; 6 (2) Seite 16-17

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