- Eltern und Kind
Nightscout: immer die Werte im Blick
4 Minuten
Von jedem Ort der Welt in Echtzeit die Glukosespiegel ihrer Kinder verfolgen: Das wünschten sich zwei technisch versierte Väter in Amerika und haben dazu eine Diabetestechnologie im Do-it-yourself-Verfahren entwickelt: Nightscout.
Die renommierte Wirtschaftzeitung Wall-Street Journal machte den Tweet der Initiative #WeAreNotWaiting Ende September weltweit bekannt. Auf der Internetseite der Zeitung kann man ein Video sehen, wie Nightscout funktioniert. Sogenannte Bürger-Computer-Hacker entwickelten ein System, um die Glukosespiegel eines kontinuierlichen Glukosesensors weit entfernt vom eigentlichen Patienten über das Internet mittels Smartphone zu verfolgen.
Über 1000 Nutzer, aber noch keine Zulassung
Die Entwickler dieses “open-source”-Systems haben die Software des Medzingerätes gehackt und erreichten dadurch die Übertragung der Daten ins Internet. Mit diesem Programm lassen sich u. a. Dexcom-CGM-Daten über das Web auch auf Tablets oder Desktop-Computer anzeigen. So können Eltern über das Cyberspace praktisch von jedem Ort der Welt in Echtzeit die Glukosespiegel ihrer Kinder vefolgen.
Insgesamt über 1000 Familien nutzen das System bereits, obwohl es keinerlei regulatorische Zulassung hat und wohl erst kürzlich überhaupt bei der zuständigen amerikanischen Behörde (Food and Drug Administration, FDA) eingereicht wurde.
Vom Software-Entwickler zum Medizingeräte-Hacker
Nightscout wurde zunächst von John Costik aus Livona im Staat New York entwickelt, der beruflich eigentlich als Software-Entwickler für den Wegmans Supermarket zuständig ist. Das Leben der Familie Costik änderte sich, als im Jahre 2012 ihr vierjähriger Sohn Evan an Typ-1-Diabetes erkrankte. Vater Costik kaufte einen kontinuierlichen Glukosesensor für seinen Sohn, ärgerte sich aber darüber, dass er während der Arbeit nicht in der Lage war, die Werte zu verfolgen. So begann er nach Lösungen für eine Datenübertragung zu suchen.
Im Mai letzten Jahres hatte er eine Möglichkeit entwickelt, wie man die Daten mit einer Software, einem Kabel und einem Android-Smartphone ins Internet laden konnte. Sein Tweet mit dem Vorgehen erregte sofort Aufmerksamkeit anderer technikaffiner Eltern von Kindern mit Diabetes. Einer davon war Lane Desborough, ein Ingenieur für Sichherheitssysteme von Ölraffinerien, der bereits für seinen 15-jährigen Sohn ein häusliches Glukosespiegel-Überwachungssystem namens Nightscout entwickelt hatte. Dieses hatte allerdings noch keinen Kontakt zum Internet. Gemeinsam entwickelten Desborough und Costik das heutige System und machten es öffentlich.
Natürlich ging eine solche Entwicklung nicht ohne Probleme. Die Smartphones froren gelegentlich aus unerklärlichen Gründen ein oder die Online-Server brachen für Stunden zusammen. Auch sind die Smartphone-Akkus durch den Energiebedarf einer andauernden Datenübertragung rasch erschöpft. Dies zeigt natürlich die Grenzen und Gefahren einer solchen Do-it-yourself-Entwicklung: Sicherheitsgarantien und verlässliche Wartungsmöglichkeiten gibt es nicht.
Segensreicher Einsatz
Andererseits nehmen auch die Berichte über den segensreichen Einsatz zu. Eine alleinerziehende Mutter von vier Kindern berichtet, wie während ihrer Arbeit ihr 15-jähriger Sohn mit Typ-1-Diabetes alleine zu Hause war und der Nightscout bei ihrer Nachtschicht einen Wert von 28 mg/dl (1,6 mmol/l) anzeigte. Als er daraufhin nicht ans Telefon ging, eilte sie nach Hause und fand ihn schlafend vor, bestätigte den niedrigen Wert mit einer Blutzuckermessung und gab ihm Apfelsaft.
Nightscout: ein Erfolg in den sozialen Netzwerken
Die Facebook-Gruppe von Nightscout hat inzwischen 6 800 Mitglieder. Der Tweet der Initiative #WeAreNotWaiting ermöglicht Spendensammlung, Erfahrungsweitergabe und Öffentlichkeitsarbeit. Die Entwickler veröffentlichen immer neue, verbesserte Versionen, bug fixes und neue Funktionen, wie z. B. die Möglichkeit, Textnachrichten oder Alarme zu senden. Dieser “release-and-repair”-Ansatz wurde im Silicon Valley entwickelt, wo die Entwicklungsgeschwindigkeit das Maß aller Dinge ist.
Wenn sich über die sozialen Netzwerke eine Schwäche des neuen Systems herausgestellt hat, kann man kurz darauf das entsprechende Update herunterladen. Im Gegensatz dazu wird das Denken in der Medizintechnik durch regulatorische und juristische Aspekte dominiert. So ist nicht zuletzt aus regulatorischen Gründen die Medizintechnik bislang nicht in der Lage, das von Apple oder Windows vertraute System zu verwenden, eine neue Betriebssoftware rasch nach Entwicklung auf den Markt zu bringen und die dann auftretenden Fehler mittels kontinuierlicher Neuversionen aus dem Internet immer weiter zu verbesseren.
Zulassungsverfahren auch in Europa länger?
Es kommt hinzu, dass die amerikanische Zulassungsbehörde im internationalen Vergleich als besonderes langsam bzw. vorsichtig gilt.
Gegenwärtig wird das Verfahren zur Zulassung von Medizingeräten europaweit neu geregelt. Schaut man auf die diskutierten Verfahrenswege mit Fristen, Einspruchsmöglichkeiten und Dokumentations- und Prüfvorgaben, scheint die Komplexizität der Abläufe zuzunehmen. Gleichzeitig laufen Bemühungen der Europäischen Diabetes-Gesellschaft EASD, die bislang in den Prozess zur Zulassung von Diabetesgeräten nicht einbezogen wird, hier auch ein Wörtchen mitzureden. In ihrer kürzlich vorgestellten Charta zur Einbeziehung von Patienten in den Prozess der Medzingeräteentwicklung erklärte die europäische Medizintechnik-Vereinigung Eucomed die Patientensicherheit als oberstes Ziel. Somit sieht es auch in Europa nach einem gründlichen und somit langwierigen Verfahren aus.
Insofern könnte auch in Deutschland der Weg der Medizintechnik-Entwicklung von Eltern für Eltern in der Zukunft stärker zunehmen.
“Do-it-yourself” – ein Modell mit Zukunft?
Im Massachusetts Institute of Technology in Boston, USA, gibt es inzwischen sogenannte Hackathons. Hier treffen sich Ingenieure, Technikstudenten und “Laien”, um neue Lösungen für Medzinprodukte zu entwickeln und neue Lösungen für häufige Gesundheitsprobleme zu finden. Zunehmend werden Blutzuckermeßgeräte, aber auch Insulinpumpen, Hörgeräte, Defibrillatoren oder Brustmilchpumpen auseinandergenommen, um im “Do-it-Yourself”-Verfahren neue Optionen zu finden. Ihr Ziel: Schneller und besser zu sein, als dies auf dem herkömmlichen Weg entsprechend der regulatorischen Vorgaben möglich ist.
Welche Auswirkungen werden diese Initiativen auf den zukünftigen Regulationsprozess haben? Man kann nur hoffen, dass auch diese Hacker sich an die seit der Antike gültige Tradition halten, die seit Jahrhunderten als Richtschur ärztlichen Handelns gilt: Primum non nocere (lat.: zuerst einmal nicht schaden). Diesem antiken Wahlspruch zufolge soll der Arzt in seinem Bemühen, dem ihm anvertrauten Individuum zu helfen, vor allem darauf achten, ihm nicht zu schaden.
von Prof. Dr. Thomas Danne
Kinderdiabetologe, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin „Auf der Bult“, Hannover, Vorstandsvorsitzender diabetesDE
Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz, Tel.: (06131) 9 60 70 0,
Fax: (06131) 9 60 70 90, E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (4) Seite 6-7
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina -
gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 2 Tagen
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 1 Woche, 6 Tagen
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
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moira antwortete vor 1 Woche, 2 Tagen
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG
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hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 5 Tagen
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
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connyhumboldt antwortete vor 1 Woche
Besorge Dir Pflaster die über Tattoos geklebt werden, wenn die neu gestochen sind! Oder Sprühpflaster das Stomapatienten benutzen!
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Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig