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Heute werden fast alle Kinder mit Diabetes mit einer intensivierten Insulintherapie (ICT) behandelt. Das funktioniert entweder mit einer Insulinpumpe oder mit Insulinpens. Ziel dabei ist es, die natürliche Insulinausschüttung möglichst gut nachzuahmen. Mit beiden Therapieformen ist eine gute Stoffwechseleinstellung möglich, beide haben Vor- und Nachteile. Dr. Simone von Sengbusch gibt einen Überblick.
Die Entscheidung, ob ein Kind bei Manifestation mit einer Insulinpumpe oder einem Insulinpen beginnt, hat in erster Linie etwas mit dem Alter des Kindes zu tun. Bei sehr kleinen Kindern unter sechs Jahren setzt sich die Insulinpumpentherapie als Starttherapie mehr und mehr durch und wird von den Krankenkassen auch finanziert. Ab dem Schulalter werden hingegen zunächst Insulinpens für die Insulintherapie eingesetzt und erst später, beim Auftreten von Problemen (z. B. hohen Morgenwerten), wird auf eine Pumpe umgestellt.
Es gibt aber auch den Weg andersherum: Nach vielen Jahren Pumpentherapie kann die Pentherapie wiederum Vorteile bieten – z. B., wenn es erhebliche Probleme mit Katheterstellen gibt: Rötungen, Knötchen, Allergien, gehäufte Infektionen, Fettgewebseinziehungen.
Auch so mancher Strandurlaub gestaltet sich etwas unkomplizierter, wenn das Kind keinen wasserfest verpackten Pumpenkatheter oder/und keine Pumpe am Körper trägt, sondern für die Urlaubswochen am Meer mit Pens spritzt. Dies sind freiwillige Pumpenpausen, die von den Familien oft als echte Bereicherung erlebt werden.
Manchmal erfolgt eine Pumpenpause aber auch auf Druck der Krankenkasse, wenn nach ca. 4 Jahren ein Modellaustausch ansteht, aber die Stoffwechsellage über einen längeren Zeitraum extrem schlecht war und noch immer ist. So eine erzwungene und oft als Bestrafung wahrgenommene Pumpenpause bedeutet aber nicht das Pumpenaus für immer. Ein neuer Antrag kann jederzeit gestellt werden.
Auch das Diabetesteam kann einen Wechsel von der Pumpe zum Pen erwirken, wenn z. B. ein Teenager oder Jugendlicher über längere Zeit trotz Schulung und engmaschiger Betreuung eine minimale Nutzung der Pumpe nicht leisten kann, oder der Stoffwechsel sogar häufig entgleist.
Umgekehrt würden Diabetesteams so manchem Kind sehr zu einer Pumpe raten, weil damit bestimmte medizinische Probleme einfach besser gelöst werden könnten. Aber entweder lehnt ein Elternteil oder aber das Kind selbst diese Therapieform ab, weil die Pumpe als sichtbarer Fremdkörper empfunden wird, der zeigt, dass etwas “nicht funktioniert”. Manche Eltern fürchten auch, die Kontrolle über die Therapie zu verlieren, wenn die Insulingabe “nicht in ihrer Hand liegt” und durch die Insulinpumpe am Kind stattfindet.
Auch wenn die Pumpentherapie die Therapieform ist, die am besten die natürliche Insulinausschüttung nachahmen kann, bieten die Insulinpens ebenfalls große Vorteile. Entscheidend ist, dass die Therapie zum Kind, zur Familie und zur Lebenssituation passt und damit letztlich eine gute Stoffwechselkontrolle erreicht wird. Wie funktionieren die beiden Therapieformen nun genau, und welche Vor- und Nachteile gibt es?
Insulinpens gibt es aus Plastik und Metall und mit 0,5er-Schritten zum Einstellen auch kleiner Insulinmengen. Ein spezieller Pen bietet sogar kleinste Zwischenschritte an, die sonst nur mit der Insulinpumpe möglich sind. Insulinpens erinnern nicht mehr an eine Insulinspritze. Die Bedienung und das Einstellen der Insulindosierung sind kinderleicht.
Mit Pennadeln, die nach jeder Injektion gewechselt werden, ist der Einstich fast schmerzfrei und die Nadeln sind dabei so kurz (4 mm), dass das versehentliche Treffen eines Muskels nur noch sehr selten vorkommt.
Insulinpens ermöglichen eine Insulintherapie, ohne etwas am Körper zu tragen. Bis auf wenige Minuten am Tag, in denen Insulin injiziert wird, ist von außen nicht zu erkennen, dass eine Organfunktion gestört ist. Pens kann man im Rucksack, in der Bauch- oder Handtasche mitnehmen, und: Sie fallen kaum auf, wenn ein Kind sie in der Öffentlichkeit benutzt.
Meist kommen zwei bis drei verschiedene Pens und damit Insuline (auch von verschiedenen Firmen) zum Einsatz, die bedarfsgerecht eingesetzt werden können. So zum Beispiel ein Normalinsulin (deckt zwei Mahlzeiten ab) für die Kindergarten- oder Schulzeit und schnellwirkende Insuline zu allen anderen Mahlzeiten.
Oft ist der Blutzuckerverlauf unter Normalinsulingabe morgens zwar nicht optimal, aber gerade für Erstklässler hat diese Therapieform auch Vorteile. Im Grunde genommen müssen sie damit nicht in der Schule für ihr Essen Insulin abgeben, sondern schlicht nur ihr zweites Frühstück essen.
Außerdem kennen sich Pflegedienste mit Insulinpens gut aus, was es leichter macht, einen Pflegedienst zu finden, der ein Kind im Kindergarten oder in der Schule bei der Injektion unterstützt.
Bei einer ICT mit Insulinpens werden die Daten (Blutzucker, Insulinmengen, KE) meist noch in ein Papiertagebuch geschrieben. Diese Form der Dokumentation hat den Vorteil, dass sich meist die Eltern aktiv mit den Werten und ihrem Verlauf auseinandersetzen.
Für Teenager ist das Blutzuckertagebuch hingegen oft Grund heftiger Streitigkeiten zu Hause. Für sie gibt es modernere Lösungen: Verschiedene Messgeräte können auch alle Daten aufnehmen (Blutzucker, Insulin, Ereignisse). Außerdm gibt es zahlreiche Computerprogramme und Apps, die die Dokumentation und Auswertung von Daten stark erleichtern.
Wenn mit Insulinpens täglich ein langwirkendes Analoginsulin gespritzt wird, ist die Gefahr einer Stoffwechselentgleisung (Ketoazidose) deutlich vermindert, da immer ein gewisses Insulindepot im Körper vorhanden ist.
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Die Insulinpumpen gibt es als Pumpe mit Katheter (mit Schlauch) und ohne Katheter (schlauchlos/Patch-Pumpe). Die meisten Pumpen haben ein dazugehörendes Messgerät, welches die Daten per Funk auf die Pumpe überträgt, ein Bolusberechnungsprogramm und ein Auswertungsprogramm auf einem firmeneigenen Internetserver oder direkt ein Programm für den PC. Die Pumpen unterscheiden sich noch in anderen Funktionen, so z. B. in Farbe und Form, ob sie eine Fernbedienung haben, mit einem Glukosesensor gekoppelt werden können, wasserdicht sind oder einen Farbdisplay haben.
Alle Pumpen können minimalste Insulinmengen abgeben, was sich vor allem bei Kleinkindern bewährt. Die laufende Basalrate (entspricht bei der ICT mit Pens dem Basalinsulin) kann per Knopfdruck um 10 bis100 Prozent erhöht oder gesenkt werden: Eine wichtige und gute Funktion zur Blutzuckersteuerung beim Sport oder bei Krankheit. Die stundenweise Programmierung der Basalrate lässt eine bedarfsgerechte Insulinversorgung vor allem nachts zu, was ein unschlagbarer Vorteil dieser Therapieform ist.
Allerdings ist es etwas komplizierter als bei der Pentherapie, die Therapie zu verändern: Bei der Pentherapie wird einfach 0,5 bis 1 Einheit mehr Basalinsulin gespritzt, statt kleinste Mengen Insulin über mehrere Stunden auf die Basalrate bei der Pumpe zu verteilen.
Alle Pumpen ermöglichen die automatisierte Berechnung eines Korrektur- oder Mahlzeitenbolus. Dieser kann per Knopfdruck ganz diskret abgegeben werden, was gerade Teenagern wichtig ist. Den Mahlzeitenbolus kann eine Pumpe in drei verschiedenen Varianten abgeben: schnell, über Stunden laufend oder mit einem schnellen und einem verzögerten Anteil.
Liegt der Blutzucker zu hoch, kann zumindest die Korrektur schon vor dem Essen gegeben werden, der Rest dann beim Essen oder auch hinterher gebolt werden, ohne dass das Kind wie bei einer ICT mit Pens dann vor dem Essen oder mehrfach spritzen müsste. Der Bolustyp, der einen schnellen Anteil (z. B. 50 Prozent) und einen verlängerten Anteil (z. B. 50 Prozent über zwei bis drei Stunden) ermöglicht, ist hervorragend geeignet, um für Hauptmahlzeiten einen gleichmäßigen Blutzuckerverlauf zu erreichen.
Die Pumpentherapie hat neben vielen Vorteilen aber auch Nachteile. Die Anlage eines Pumpenkatheters ist gerade für kleine Kinder oft angstbesetzt. Die Vorbereitung (alten Katheter entfernen, Hände waschen, neuen Katheter/Schlauch befüllen, Haut entfetten, Haut desinfizieren, neuen Katheter legen) braucht tatsächlich etwas Zeit, die das Kind sich schon darauf konzentrieren lässt, was da jetzt kommen mag.
Auch wenn der Pikser mit den dünnen Stahlnadeln bzw. mit Teflonkatheter und Legehilfe nur noch gering schmerzhaft ist, stellt die Angst des Kindes ein gewisses Stressmoment dar, dem Eltern versuchen, mit zahlreichen Beruhigungsritualen zu begegnen. Nach ein paar Jahren Pumpentherapie beim Kleinkind, sind die beliebten Katheterstellen am Gesäß oft verhärtet, wo allerdings der Katheterwechsel oft ohne Probleme gelingt. Der notwendige, aber angstbesetzte Wechsel zu neuen Katheterstellen am Bauch oder Bein, führt oft wieder zum Weinen des Kindes und fällt daher den Eltern besonders schwer.
Da die Pumpentherapie natürlich auch im Kindergarten und in der Schule stattfindet, müssen Betreuungspersonen in Grundfunktionen mitgeschult werden. Erfreulicherweise ruft in unserem technisierten Alltag die Insulinpumpe prinzipiell wenig Angst hervor, und das Kind muss nicht aktiv von einer fremden Person “gestochen” werden, um Insulin zu verabreichen.
Allerdings muss bei einer Pumpentherapie in der Grundschulzeit mehr von den Eltern, einem Pflegedienst oder einer Schulbegleitung geleistet bzw. entsprechende Unterstützung organisiert werden: Bolusgabe für das zweite Frühstück und bei sehr hohen Werten Ketonmessung und ggf. Korrektur mit Pen oder Pumpe oder Katheterwechsel.
Die sensorunterstützte Pumpentherapie ist die aktuell modernste Form der Insulinpumpentherapie, aber bisher nur als Einzelfallentscheidung eine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Verbindung eines Sensors mit einer Pumpe und einem Computerprogramm ist ein Schritt hin zu einer vollautomatisierten Steuerung der Insulingabe. Daher wird in diese Kombination viel Forschungsaktivität und Hoffnung gesetzt.
von Dr. Simone von Sengbusch
Diabetologin DDG, UKSH Lübeck
Kontakt:
E-Mail: Simone.vonsengbusch@uksh.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (2) Seite 8-10
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