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Ein Kind mit Typ-1-Diabetes in einer Familie ist herausfordernd, zwei Kinder mit der Autoimmunerkrankung sind es erst recht. Aber Familie Fading lässt sich nicht unterkriegen…
Korbinian und Vinzenz sind Zwillinge – und quasi eine Mini-Selbsthilfegruppe. Denn beide haben Typ-1-Diabetes. Als die Jungs im September 2014 auf die Welt kamen, war Familie Fading aus Eichenau bereits vierköpfig: Neben Mutter Dorothea und Vater Bernhard gehörten schon die Töchter Katharina, heute 21 Jahre alt, und die heute 15 Jahre alte Franziska dazu. Klar, dass zwei Babys gleichzeitig erst einmal eine Herausforderung waren.
Und dann kam der Typ-1-Diabetes. Korbinian war 15 Monate alt, als seine Mutter ein „typisches Mama-Gefühl“ bekam, wie sie erzählt. Sie stillte noch und konnte deshalb nicht genau feststellen, ob er mehr trank als vorher. Aber im Gegensatz zu seinem Bruder schlief er schlechter, war ein bisschen knatschiger, nahm zwar nicht ab, aber auch nicht zu. „Mein mütterliches Gefühl hat gesagt, irgendwas passt nicht.“
Dorothea Fading hatte Latein und Französisch fürs Lehramt studiert, aber auch ein Medizinstudium wäre für sie in Frage gekommen. Ihr Interesse dafür war weiter ungebrochen. So konnte sie ein bisschen mit den Symptomen anfangen – und die Recherche ihres Mannes im Internet zeigte: Es konnte wirklich Typ-1-Diabetes sein.
Da es dem kleinen Kerl sonst gut ging, nutzte sie den Sonntag noch, um ganz viele Weihnachtsplätzchen zu backen – eine Übersprungshandlung, wie sie berichtet. Denn irgendwie war ihr klar, dass ab dem folgenden Montag keine Zeit mehr dafür bleiben würde. Beim Kinderarzt bestätigte sich der Verdacht: Der Blutzucker lag bei etwa 540 mg/dl (18,0 mmol/l). Selbstverständlich ging es direkt ins Krankenhaus.
Die Diagnose änderte das Familienleben stark. Bereits die Ankunft der Zwillinge hatte die berufliche Tätigkeit von Dorothea Fading verändert. Eigentlich arbeitete sie als Lehrerin im Gymnasium, war dann aber in die Erwachsenenbildung umgestiegen. Am Anfang konnte sie Korbinian und Vinzenz sogar in die Kurse mitnehmen. Mit dem Typ-1-Diabetes von Korbinian war erstmal all das nicht mehr möglich.
Als Korbinian in den Kindergarten kam, eröffneten sich wieder neue Möglichkeiten, sie stieg allmählich wieder ein in den Beruf. Natürlich musste sich erst einmal alles einspielen, aber das Personal dort spielte hervorragend mit, mit Unterstützung von Dorothea Fading, die im Vorfeld die Kohlenhydratmengen in den Mahlzeiten ausrechnete. Die Erziehungskräfte mussten dann nur noch die Mengen abwiegen. „Es hat wirklich fast immer hervorragend geklappt“, ist sie heute noch glücklich.
Aber in der Schule wurde es schwierig, die Mittagsbetreuung funktionierte nicht. „Es ist echt daran gescheitert, dass die noch nicht mal in der Lage waren oder sich bereit erklärt hätten, zu schauen, ob sich das Kind richtig die Kohlenhydrate eingibt.“ So organisierten ihr Mann, der Berufsschullehrer ist, und sie, dass immer einer mittags zu Hause war.
Aber Korbinian blieb ja nicht der Einzige in der Familie mit Typ-1-Diabetes. Nach seiner Diagnose hatte sich die Familie im Helmholtz Zentrum München gemeldet und bestimmen lassen, ob auch bei Vinzenz für einen Typ-1-Diabetes typische Antikörper im Blut nachweisbar waren. So war es und er nahm an der Studie Pre-POINT early teil, war aber in die Placebo-Gruppe gekommen.
Als Vinzenz sieben Jahre alt war, war er „nicht so gut beieinander“. Die Blutzuckermessung an einem späten Abend zu Hause ergab einen Wert um 430 mg/dl (23,9 mmol/l). Es ging wieder direkt ins Krankenhaus. „Das hat wirklich logischerweise gedauert, bis der arme, völlig übernächtigte Kerl um 23.30 Uhr begriffen hat, dass es jetzt leider nicht um den Bruder, sondern um ihn geht.“
Jeder von den Zwillingen hat zusätzlich Erfahrungen mit weiteren Autoimmun-Erkrankungen. Korbinian entwickelte mit zwei Jahren eine autoimmunologisch ausgelöste Thrombozytopenie, er bildete keine Blutplättchen mehr. Diese hat er durch Medikamente gut überstanden und spielt für ihn heute keine Rolle mehr. Vinzenz hingegen begleitet seine zweite Autoimmun-Erkrankung: eine Zöliakie. Direkt bei der Diagnose des Typ-1-Diabetes wurde er auch darauf untersucht. Das Blut-Ergebnis war eindeutig, eine Darmbiopsie nicht nötig.
Die Diagnose der Gluten-Unverträglichkeit brachte neue Herausforderungen in die Familie. „Da wirklich komplett alles kontaminationsfrei zu halten, bringt mich auch jetzt noch teilweise an den Rand der Verzweiflung“, sagt Mutter Dorothea. Denn die übrigen Mitglieder der Familie essen auch Lebensmittel mit Gluten und es gibt auch immer wieder Gäste beim Essen.
Die strikte Trennung des Essens von Vinzenz kann dann schon schwierig werden. „Ich muss ja auch die Familie und Besuche darauf hinweisen, die das halt nicht immer checken, dass, wenn das Messer, das schon mit Gluten kontaminiert war, im Frischkäse war, dann der ganze Frischkäse kontaminiert ist.“
Vinzenz selbst hat sich damit arrangiert. Natürlich würde er auch gern mal anderes essen: „Man sieht, wie andere Leute leckeres Zeug in sich hineinstopfen, wo man denkt, vor allem ich, weil ich ja auch noch Zöliakie habe: ‚Oh, lecker, das würde ich jetzt auch gerne essen.‘“
Aber er setzt direkt hinzu: „Aber es ist auch eventuell ein Vorteil, dass man halt weiß, wenn man Diabetes hat, was man alles isst. Ob das Zucker pur ist, ob es vielleicht gesünder ist oder ob es auch, ja, ob das gut ist, was man isst, ob das halt vielleicht mal eine Ausnahme ist, was man isst, wie man das halt vor allem berechnet. Also, du kriegst halt ein Gefühl dafür.“
Die beiden Jungs sind aber auch gut aufeinander eingespielt, erzählt Korbinian: „Wenn wir zusammen sind und wollen einen Müsliriegel essen, da steht ja immer die KH drauf. Und da muss der eine nicht schauen, sondern der Zweite kann das für den anderen auch machen.“ Auch bei den „Hypo-Helfern“ unterstützen sie sich: „Wenn der eine keine Gummibärchen mehr hat, dann gibt der eine halt dem anderen.“
Ihren Diabetes behandeln die beiden mit einem System zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID-System). Den dazugehörigen Sensor zum kontinuierlichen Glukose-Messen (CGM) müssen die beiden nur alle zehn Tage wechseln, aber die Kanülen für die Insulinzufuhr über die Insulinpumpe halten bei ihnen nur eineinhalb bis zwei Tage. Da wünschen sie sich schon, dass sie sie seltener neu setzen müssen.
Das bestätigt auch Mutter Dorothea: „Es wäre natürlich ein absoluter Traum, wenn die Katheter mal länger halten würden, also nicht das Gewebe nach 48 Stunden zugeht.“ Beim Stechen helfen die Eltern noch, beim Benutzen des AID-Systems sonst sind die Zwillinge schon sehr selbstständig.
Für beide Jungs haben die Eltern einen Antrag auf Anerkennung eines Grads der Behinderung gestellt – und auch für beide einen im Bereich der Schwerbehinderung erhalten. Das nutzen die zwei gern, um kostenfrei auch mal völlig allein mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln zum Shoppen zu fahren. Der Unternehmungsgeist ist offenbar angeboren. Denn schon, bevor die Familie sechsköpfig wurde, aber auch danach, ging es oft auf Reisen.
Abhalten lassen sie sich dabei weder durch den Diabetes noch durch die Zöliakie, wie auf ihrem Blog unterwegsmitdiabeteskindern.de gut zu erkennen ist. Das europäische Ausland besucht die Familie gern, aber auch Kreuzfahrten stehen – trotz der Umweltbedenken – im Urlaubskalender. „Die haben ein traumhaftes Konzept, dass ich da diabetesmäßig nur meine Waage in eines der vielen Restaurants mitnehmen muss, kann alles abwiegen, habe ein traumhaftes glutenfreies Angebot, habe wirklich viel Auswahl“, berichtet Dorothea Fading begeistert.
Auch mit Mitgliedern der Eltern-Selbsthilfegruppe, die zum Diabetikerbund Bayern gehört und die Dorothea Fading inzwischen leitet, verreist die Familie seit Kurzem. Zuletzt ging es nach Paris, als Nächstes steht Straßburg auf dem Plan.
Und haben sie mal Freizeit, beschäftigt sich Vater Bernhard gern mit Oldtimern, Bierbrauen, Schafkopf-Spielen und geht auch mal mit dem Hund raus. Mutter Dorothea liest gern, spielt Klavier, bäckt und spielt auch Schafkopf. Korbinian spielt Schlagzeug, Vinzenz Klavier und Mandoline. Und die Zwillinge sind auch gern sportlich unterwegs: mit Fußball, Handball und Tischtennis.
Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (3) Seite 58-60
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