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Hanna Maas-Zeimmes aus der Eifel in Rheinland-Pfalz ist 33 Jahre alt und hat seit ihrem 11. Lebensjahr Typ-1-Diabetes. In ihrem Alltag spielte die Erkrankung lange Zeit keine Hauptrolle mehr. Das änderte sich allerdings schlagartig, als bei ihrer damals 3-jährigen Tochter Frieda ebenfalls Diabetes diagnostiziert wurde.
Mutter und Tochter haben beide Typ-1-Diabetes – eine Konstellation, die relativ selten vorkommt. Waren Sie sehr überrascht, als Ihre Tochter auch Diabetes bekommen hat, oder hatten Sie damit gerechnet?
Hanna Maas-Zeimmes: Ich hatte das natürlich im Hinterkopf. Schon in der Schwangerschaft wurde untersucht, ob es beim Kind irgendwelche Auffälligkeiten gibt, weil eine Schwangerschaft mit Diabetes zu den Risiko-Schwangerschaften zählt. Da ich aber wusste, dass die Wahrscheinlichkeit, Typ-1-Diabetes zu vererben, sehr gering ist, war ich von der Diagnose trotzdem geschockt – vor allem auch, weil Frieda so früh Diabetes bekommen hat. Ich hätte mir gewünscht, dass sie zumindest etwas älter ist. Sie macht das aber alles schon so toll, deshalb denke ich mir rückblickend, dass es vielleicht doch der richtige Zeitpunkt war. Wie das Leben ohne Diabetes war, weiß sie inzwischen schon gar nicht mehr. Für Frieda ist das alles Normalität, und weil sie es vorher bei mir schon gesehen hat, war es für sie nichts Neues. Ihre Schlussfolgerung ist: Meine Mama hat das, also hab ich das auch!
Name: Hanna Maas-Zeimmes
Alter: 33 Jahre
Diabetes seit: 2001
Therapie: Insulinpumpe und CGM-System
Und sonst? Tochter Frieda (4) hat seit 2022 ebenfalls Typ-1-Diabetes
Wie ist die Erkrankung bei Frieda festgestellt worden?
Hanna Maas-Zeimmes: Ganz klassisch, wie bei fast jedem Diabetiker. Sie hat sehr viel getrunken und musste oft zur Toilette. Eigentlich war sie schon trocken, und dann hatte sie plötzlich nachts wieder viel Pipi in der Pampers. Zunächst war meine Hoffnung, dass es vielleicht nur eine Blasenentzündung ist. Als wir eine Urinprobe abgegeben haben, war dann aber relativ schnell klar, dass es Diabetes ist. Frieda hat mir im ersten Moment sehr leid getan, weil ich ja wusste, was ich mit Diabetes emotional alles durchgemacht habe. Besonders als Teenager war es schwierig. Man hat in dem Alter ständig das Gefühl, dass man sich rechtfertigen muss. Warum darf ich Süßigkeiten essen, obwohl ich Diabetes habe? Warum sollte ich in bestimmten Momenten vielleicht keine Süßigkeiten essen? Ich musste direkt daran denken, dass Frieda diesem Rechtfertigungsdruck auch irgendwann ausgesetzt ist. Im Studium hat sich das bei mir zum Glück gebessert, weil auch meine Freunde älter und reifer wurden.
Im Gegensatz zu anderen Eltern, deren Kinder an Diabetes erkranken, kennen Sie sich schon mit der Behandlung aus. Haben Sie das als Vorteil empfunden?
Hanna Maas-Zeimmes: Ich hatte mich trotzdem vorher nicht damit beschäftigt, was Diabetes bei einem kleinen Kind bedeutet. Wir waren mit Frieda nach der Diagnose zur Einstellung im Klinikum Mutterhaus in Trier, wo ich als Kind ebenfalls in Behandlung war. Mein damaliger Arzt ist immer noch dort im Dienst. Das hat mir sehr viel Halt gegeben, weil ich wusste, das sind Leute, die mich als Kind auch schon gut betreut haben. Auf unserem Zimmer war eine Mutter mit einem Kind in ähnlichem Alter, bei dem auch gerade Diabetes diagnostiziert worden war. Da habe ich gemerkt, wie schwierig die Umstellung für Eltern ist, die im unmittelbaren Umfeld niemanden mit Diabetes haben und die sich noch nicht damit auskennen. Es geht ja nicht nur ums Spritzen und Messen. Es gibt so viele Sachen, die man von heute auf morgen lernen muss – das Ausrechnen, das Abwiegen und auch das Abwägen. Das Thema ist unheimlich komplex.
Wie hat sich Ihr Alltag durch Friedas Diabetes verändert?
Hanna Maas-Zeimmes: Bei Frieda bin ich wesentlich genauer als bei mir selbst. Ich wiege meine Lebensmittel zum Beispiel schon lange nicht mehr ab, weil ich meine Portionen kenne und ich weiß, wie ich auf verschiedene Lebensmittel reagiere. Für Frieda wiegen wir hingegen alles ab, und wir berechnen die Einheiten auch ganz genau. Meine Tochter ist sehr zierlich, und ihr Körper reagiert sehr empfindlich auf das Essen und das Insulin. Wenn wir uns mal leicht verrechnen, merkt man das sofort. Dann gehen ihre Werte schnell rauf oder runter. Das Wiegen und Berechnen ist zeitaufwendig und hat auch meinen Alltag verändert. Man kann schon froh sein, wenn man die Zusammenhänge schon 20 Jahre kennt. Diabetes bei einem kleinen Kind war allerdings auch für mich nochmal ein Neuanfang.
In den 20 Jahren seit Ihrer Diagnose hat sich medizinisch und technisch viel getan. Was sind die größten Unterschiede zu damals?
Hanna Maas-Zeimmes: Frieda hat sofort eine Pumpe und einen Sensor bekommen. Ich musste meine Spritzen anfangs noch selbst aufziehen und hatte zunächst unter anderem ein Mischinsulin, das schon morgens vor der Schule für den Bedarf des gesamten Vormittags gespritzt wurde, also auch für das Pausenbrot, das ich dann natürlich essen musste. Gemessen wurde damals vielleicht vier- oder fünfmal am Tag. Heute fühle ich mich sofort verloren, wenn Friedas Sensor mal ausfällt. Der Blutzuckerwert kann ja so schnell steigen oder fallen, ohne dass man es mitbekommt. Frieda ist derzeit noch zu klein, um selbst zu merken, wann sie Unterzucker hat. Dank der Technik schaltet sich ihre Pumpe nachts bei zu tiefen Werten automatisch ab, ohne dass man irgendwie eingreifen muss. Die Technik hilft einem auf jeden Fall dabei, etwas gelassener zu sein.
Wie läuft es ab, wenn sie Frieda abgeben müssen, zum Beispiel im Kindergarten?
Hanna Maas-Zeimmes: Im Kindergarten läuft es ganz toll. Die Erzieherinnen in Friedas Gruppe haben eine Schulung mitgemacht. Ich habe ihnen danach selbst noch die Bedienung der Pumpe erklärt und alle nötigen Schritte fotografiert. Mittlerweile machen sie in der Kita alles selbst. Sie messen Friedas Blutzuckerwert zum Frühstück und zum Mittagessen und dosieren das Insulin, und sie messen auch zwischendurch mal, falls ihnen der Wert des Sensors irgendwie merkwürdig vorkommt.
Das Loslassen und Abgeben fällt Eltern von Kindern mit Diabetes mitunter schwer. Glauben Sie, dass Ihre eigene Erfahrung mit der Erkrankung in diesem Zusammenhang hilfreich ist? Oder macht sie es eher noch schwieriger?
Hanna Maas-Zeimmes: Auch ich überlasse Frieda nicht so gerne anderen Leuten. Man muss ja immer überlegen, wem man das zutrauen und zumuten kann. Frieda merkt, wie gesagt, noch nicht selbst, wenn sie Unterzucker hat, und sie kann sehr überzeugend sein, wenn sie sagt, dass sie jetzt etwas essen muss, auch wenn es vielleicht nicht stimmt. Ein Vorteil ist sicherlich, dass sich meine Mutter schon mit Diabetes auskannte. Sie wusste durch ihre Erfahrungen mit mir schon, wie man KEs und Faktoren berechnet. Da mein Mann und ich arbeiten gehen, brauchen wir natürlich manchmal die Oma. Viele Eltern, die ein Kind mit Diabetes haben, sind mit solchen Situationen erstmal allein. In der Schule oder im Kindergarten gibt es vielleicht jemanden, der geschult ist und der sich kümmert, aber privat muss bei allen Anlässen jemand mitgehen und dabei bleiben, zum Beispiel bei Kindergeburtstagen. Ich kann mir vorstellen, dass das für andere Familien noch schwieriger ist.
Wenn Mama und Tochter Diabetes haben, kann das womöglich auch zusammenschweißen. Spüren Sie durch die Erkrankung eine noch stärkere Verbindung?
Hanna Maas-Zeimmes: Ja, das schon. Wir können gegenseitig nachempfinden, wie sich der andere gerade fühlt, wie miserabel es manchmal ist, aber auch, wie wir Sachen zusammen schaffen. Ich sehe, wie Frieda mit ihrer Erkrankung umgeht und wie sie an ihren Aufgaben wächst. Wir haben durch den Diabetes noch mehr gemeinsam, als Mutter und Tochter ohnehin schon gemeinsam haben. Das schweißt auf jeden Fall zusammen und ist etwas Positives an der Situation. Ändern können wir es ja eh nicht.
DJ: Wir bedanken uns für das Gespräch!
Interview: Thorsten Ferdinand
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (4) Seite 36-38
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