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Das Risiko für die Autoimmunerkrankung Zöliakie ist bei Typ-1-Diabetes etwas erhöht. Dr. Nicolin Datz beschreibt genau, welche Symptome auf Zöliakie hinweisen und wie getestet wird, um eine sichere Diagnose zu erhalten.
“Wir untersuchen das Blut auch auf Zöliakie”, sagte der Diabetologe, als er bei dem 5-jährigen Max in der Sprechstunde Blut abnahm. “Wieso Zöliakie? Max hat doch Diabetes?”, wunderte sich die Mutter des Jungen, der seit einem Jahr an Diabetes erkrankt ist. “Zöliakie ist eine Erkrankung des Darmes, die etwas häufiger bei Kindern mit Diabetes auftritt”, antwortete der Arzt und fing an, der Mutter zu erklären, worum es geht.
Zöliakie ist wie Typ-1-Diabetes eine Autoimmunerkrankung und tritt etwas häufiger bei Menschen mit Typ-1-Diabetes auf – deshalb nennt man sie auch diabetesassoziierte Erkrankung.
Die Zöliakie, auch gluteninduzierte Enteropathie genannt, ist eine durch das Immunsystem vermittelte Erkrankung. Es kommt bei der Zöliakie zu einer Art Allergie der Dünndarmschleimhaut auf glutenhaltiges Getreide. Gluten ist ein Klebereiweiß, das in einheimischen Getreidesorten vorkommt, insbesondere in Weizen, Gerste, Roggen, Dinkel und Hafer.
Bei Menschen ohne Zöliakie wird die Nahrung im Dünndarm in ihre Bestandteile zerlegt und über die Darmschleimhaut in den Körper aufgenommen. An seiner Innenwand weist der Darm mehrere Ausstülpungen der Schleimhaut auf, die man Zotten nennt – sie dienen dazu, die Nahrung aufzunehmen.
Bei Menschen, die an Zöliakie erkrankt sind, bewirkt Gluten die Rückbildung der Darmzotten bis hin zum Verlust. Durch diesen Verlust kann der Darm seine Verdauungsaufgaben nicht mehr so gut ausführen, und die Nährstoffe können vom Körper nicht mehr richtig aufgenommen werden.
Häufig haben Betroffene Durchfälle, aber auch ohne Durchfälle entstehen Nährstoffdefizite, die zu typischen Symptomen (s. u.) führen. Bei Menschen mit Zöliakie, die auf glutenhaltige Getreidesorten verzichten, werden die Zotten wieder aufgebaut und die Darmfunktion wiederhergestellt.
Insgesamt hat ca. einer von 200 Menschen eine Zöliakie, aber 80 bis 90 Prozent spüren keine Symptome und wissen nichts von ihrer Erkrankung. Menschen mit Typ-1-Diabetes haben ein fünf- bis zehnmal höheres Risiko, an Zöliakie zu erkranken.
Der Abbau und der Funktionsverlust der Darmschleimhaut kann zu Gedeihstörungen mit Gewichtsverlust und Wachstumsstillstand führen. Die Kinder können einen aufgetriebenen Bauch aufweisen, sie haben z. B. Blähungen, Bauchschmerzen, Durchfälle und Appetitverlust. Durch den Mangel an Nährstoffen (z. B. an Vitaminen und Eisen), der entsteht, weil die Nährstoffe vom Körper nicht mehr richtig aufgenommen werden, kommt es gehäuft zu Infekten, zu Blutarmut oder auch zu einer verringerten Knochenmineralisation.
Bei Kindern mit Diabetes kann zudem die gestörte Funktion der Darmschleimhaut dazu führen, dass der Zucker aus der Nahrung ungleichmäßig aufgenommen wird – die Folge sind unberechenbare Blutzuckerschwankungen. Die hier genannten Symptome treten jedoch nicht bei allen Menschen auf. Einige Betroffene haben nur Bauchschmerzen, andere verlieren an Gewicht und manche haben gar keine Beschwerden.
Da Patienten mit Typ-1-Diabetes ein erhöhtes Risiko haben, an einer Zöliakie zu erkranken, wird sowohl von der nationalen als auch von der internationalen Gesellschaft für pädiatrische Diabetologie (AGPD – Arbeitsgemeinschaft für pädiatrische Diabetologie und ISPAD – International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes) empfohlen, das Blut regelmäßig auf Zöliakie untersuchen zu lassen.
Die Untersuchung soll erstmals durchgeführt werden, wenn die Diagnose Diabetes gestellt wird, anschließend alle ein bis zwei Jahre oder bei klinischen Symptomen. Der Test auf Zöliakie ist eine Blutuntersuchung auf bestimmte Antikörper, sogenannte Transglutaminase-Antikörper. Sind diese Antikörper in einer erhöhten Konzentration messbar, muss eine Dünndarmbiopsie durchgeführt werden, da nicht alle Menschen mit positiven Antikörpern erkrankt und damit auch behandlungsbedürftig sind.
Bei der Dünndarmbiopsie wird dem Patienten – wie bei einer Magenspiegelung – ein kleiner Schlauch über den Magen bis in den oberen Dünndarm geschoben, um dort Gewebeproben zu entnehmen. Mit einer feingeweblichen Untersuchung der Gewebeproben kann man feststellen, ob und wie schwer die Darmschleimhaut geschädigt ist.
Die Dünndarmbiopsie findet in Narkose statt und ist für das Kind schmerzfrei. Da die Untersuchung nüchtern erfolgen muss und der Blutzucker im Normbereich sein sollte, wird das Kind normalerweise am Vortag stationär aufgenommen. Eine Entlassung nach Hause ist möglich, sobald das Kind die Narkose “ausgeschlafen” und eine Mahlzeit zu sich genommen hat.
Nächste Seite: Nach der Diagnose – so wird die Zöliakie behandelt sowie genetische Risikomarker bieten neue Diagnosemöglichkeiten.
Wurde die Diagnose einer Zöliakie aufgrund der untersuchten Gewebeproben gestellt, muss sich der Betroffene lebenslang glutenfrei ernähren, damit seine Versorgung mit lebensnotwendigen Nährstoffen gewährleistet ist.
Glutenfreie Ernährung bedeutet: Verzicht auf alle Nahrungsmittel, die Weizen, Gerste, Roggen, Dinkel und Hafer beinhalten (s. Kasten). Bei der Umsetzung dieser neuen Form der Ernährung hilft die Ernährungsberaterin mit ausführlichen Informationen und vielen Tipps.
Die glutenfreie Ernährung führt bei konsequenter Umsetzung zu einer Genesung der Dünndarmschleimhaut und zum Rückgang der unangenehmen Symptome. Auch wenn man keine ausgeprägten Symptome hat, ist es wichtig, sich glutenfrei zu ernähren, da der Nährstoffmangel nicht immer spürbar ist. Die Diagnose einer Zöliakie besteht nach heutigem Wissensstand lebenslang, sodass auch die glutenfreie Ernährung lebenslang durchgeführt werden muss.
Zur Verlaufskontrolle wird durch die behandelnden Ärzte der Titer (Verdünnungsstufe) der Transglutaminase-Antikörper regelmäßig kontrolliert. Wurde die glutenfreie Ernährung eingehalten, werden die Antikörper nicht mehr oder nur noch in geringem Maß nachweisbar sein.
Bei Kindern mit Typ-1-Diabetes wird die Diagnose einer Zöliakie häufig aufgrund von Antikörper-Titern gestellt, ohne dass die Patienten Symptome verspüren. Da die Titer auch falsch erhöht nachweisbar sein können, muss zur definitiven Diagnose die Biopsie erfolgen.
In den letzten 20 bis 30 Jahren wurde die Zöliakie nicht nur häufiger diagnostiziert, auch die Diagnosemöglichkeiten haben sich verändert. Man hat zum Beispiel herausgefunden, dass Patienten mit bestimmten genetischen Risikomarkern, sogenannten HLA-Gruppen (HLA DQ2 und DQ8), ein erhöhtes Risiko tragen, an einer Zöliakie zu erkranken.
Deshalb hat die Europäische Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (ESPGHAN) für Kinder mit erhöhtem Risiko für eine Zöliakie (z. B. Kinder mit Typ-1-Diabetes) folgendes Vorgehen vorgeschlagen:
Kinder mit Typ-1-Diabetes haben ein erhöhte Risiko an Zöliakie zu erkranken. Bei vorliegen eines Diabetes und bestimmter Gene (HLA DQ2/DQ8) sollten Kinder auch ohne Symptome (Durchfälle, Buachschmerzen, geblähter Bauch) alle ein bis zwei Jahre auf Zöliakie untersucht werden. Fehlen die bestimmten genetischen Risikomarker (HLA DQ2/DQ8), ist das Risiko für Zöliakie nicht erhöht.
Bei einem positiven Antikörpernachweis erfolgt eine Dünndarmbiopsie, um die Diagnose zu sichern. Die Therapie einer sicher festgestellten Zöliakie besteht in einer lebenslangen glutenfreien Ernährung.
von Dr. med. Nicolin Datz
Oberärztin Pädiatrie III, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin „Auf der Bult“, Hannover
Kontakt:
E-Mail: datz@hka.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2013; 6 (3) Seite 22-24
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