Digitale Hilfsmittel helfen, den Lebensstil bei Typ-2-Diabetes umzukrempeln

Digitale Hilfsmittel helfen, den Lebensstil bei Typ-2-Diabetes umzukrempeln
Digitale Hilfsmittel helfen, den Lebensstil bei Typ-2-Diabetes umzukrempeln
Syda Productions – stock.adobe.com

Gesünder essen, mehr bewegen, Stress reduzieren – das sind Ratschläge, mit denen Menschen mit Typ-2-Diabetes unmittelbar nach der Diagnose in der Regel aus der Praxis entlassen werden. Doch mit der Umsetzung dieser Lebensstil-Anpassungen werden sie meist ziemlich allein gelassen. Dabei gibt es eine ganze Reihe Apps und andere digitale Hilfsmittel, die dabei helfen können.

Bei rund 8,7 Millionen Menschen in Deutschland wurde ein Typ-2-Diabetes festgestellt. Man geht davon aus, dass weitere 2 Millionen Menschen mit der Stoffwechselerkrankung leben, bislang aber noch nicht diagnostiziert wurden. Hinzu kommen weitere schätzungsweise gut 13 Millionen Menschen, die bereits eine Vorstufe des Typ-2-Diabetes – einen sogenannten Prädiabetes – aufweisen. Rechnet man alle diese Zahlen zusammen, kommt man auf knapp 24 Millionen Menschen, die bereits mit Typ-2-Diabetes leben oder gefährdet sind, einen Diabetes zu entwickeln. Jedem und jeder einzelnen von ihnen würde eine intensive Beratung helfen, den persönlichen Lebensstil umzukrempeln – denn gewachsene Gewohnheiten lassen sich nun einmal nicht im Handumdrehen durch gesündere Ernährung, mehr körperliche Aktivität und Achtsamkeit austauschen.

Menschen mit Typ-2-Diabetes sind im Schnitt 2,6 Jahre weniger im Arbeitsleben aktiv

Bei der diatec-Tagung Ende Januar 2023 in Berlin erklärte der Diabetes-Psychologe Prof. Bernhard Kulzer vom Diabeteszentrum Mergentheim dazu: „Alle diese Menschen bräuchten eigentlich eine strukturierte Lebensstilintervention. Doch das ist angesichts der Zahlen auch ein logistisches Problem, das sich nicht allein mit Schulungen in Präsenz in den Arztpraxen lösen lässt.“ Dabei wäre es nicht nur auf der persönlichen Ebene, sondern auch aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll, damit Menschen nicht wegen Diabetes vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden. „Rund die Hälfte aller Menschen mit Typ-2-Diabetes erkrankt noch während des Erwerbslebens an Diabetes und hat damit ein erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen“, berichtete Prof. Kulzer. Im Vergleich zu einer Person ohne Typ-2-Diabetes seien Menschen mit Typ-2-Diabetes im Schnitt 2,6 Jahre weniger im Arbeitsleben aktiv: „Das ist ein bedeutsamer Produktivitätsverlust.“

Mit Lebensstil-Anpassungen kann man bei Typ-2-Diabetes das Rad wieder zurückdrehen

Zugleich gebe es immer mehr wissenschaftliche Nachweise dafür, dass man mithilfe von Lebensstil-Änderungen das Rad vom Typ-2-Diabetes zu einem Prädiabetes zurückdrehen kann, betonte der Experte. Denn insbesondere im Frühstadium der Erkrankung sind meist noch ausreichend viele funktionstüchtige Betazellen in der Bauchspeicheldrüse vorhanden. Diese gilt es zu schützen und zu bewahren. Eine deutliche Gewichtsabnahme etwa kann dazu beitragen, dass die Körperzellen wieder empfindlicher auf Insulin reagieren, sodass die Betazelle in der Bauchspeicheldrüse nicht immer mehr und mehr Insulin produzieren müssen. Auf diese Weise kann der Typ-2-Diabetes sich – zumindest für einen begrenzten Zeitraum – zurückbilden (Diabetes-Remission). „Wenn wir das Auftreten eines Typ-2-Diabetes um 5 Jahre verschieben können, ist das zum einen wirtschaftlich sinnvoll – aber auch psychologisch von Vorteil“, erklärte der Psychologe. Denn bei Typ-2-Diabetes treten auch Depressionen häufiger auf als bei Menschen ohne Diabetes.

Digitale Hilfsmittel zur Lebensstil-Änderung bei Typ-2-Diabetes: erfolgreiches Programm in Großbritannien

Doch wie kann man diese Millionen Betroffener erreichen und schulen, wenn es doch in den Diabetespraxen nicht ausreichend viele Schulungskapazitäten gibt? Hier hilft der Blick ins Ausland, wo man bereits sehr gute Erfahrungen mit digitalen Schulungsprogrammen gemacht hat.  In Großbritannien etwa hat der National Health Service (NHS) mit dem DPP ein Präventionsprogramm eingeführt. Daran haben zwischen März 2020 und März 2022 über 335.000 Menschen mit Prädiabetes teilgenommen, die sich zwischen einer Videoübertragung der Schulung und einem rein digitalem Programm entscheiden konnten. Es stellte sich heraus, dass die Teilnehmenden im rein digitalen Programm sogar mehr Gewicht verloren als diejenigen, die per Video zur Schulung zugeschaltet waren.

Positive Beispiele für digitale Diabetes-Präventions-Programme auch aus den USA

Ähnlich Positives konnte Prof. Kulzer auch von zwei Präventionsprogrammen in den USA berichten. Dort setzt man allein schon aufgrund der geographischen Ausdehnung eher auf digitale Gesundheitsangebote als in Deutschland: „In den USA, wo man schnell mal viele Meilen fahren muss, bis man ein Präsenzangebot erreicht, ist das attraktiv!“, meinte der Experte. Ganz besonders hob er die Vorzüge des Diabetes-Präventions-Programms Lark Health hervor: „Das ist ein sehr modernes Programm mit in die App integrierten Tools, die man z.B. bei Schlafproblemen etc. nutzen kann“, berichtete er. Zudem gebe es einen Coach, der rund um die Uhr erreichbar sei: „Wann immer eine menschliche Komponente dabei ist, also z. B. so ein Coach, den man kontaktieren kann, erhöht sich der Effekt.“

Digitale Hilfsmittel zur Lebensstil-Anpassung bei Typ-2-Diabetes: Programme in Deutschland? Leider Fehlanzeige!

Mittlerweile wurden 21 Studien zu einzelnen Programmen dieser Art auch in einer großen Metastudie ausgewertet. Darin zeigte sich, dass Menschen, die in solche digitalen Programme eingeschrieben sind, im ersten Jahr durchschnittlich bis zu 9% ihres Körpergewichts verlieren. Wissenschaftler halten digitale Programme deshalb für einen sehr erfolgversprechenden Ansatz, um Typ-2-Diabetes vorzubeugen oder ihn zu behandeln. Dennoch gibt es in Deutschland kein flächendeckendes Angebot für digitale Lebensstil-Programm. „Wir haben hier eine große Versorgungslücke in Deutschland und brauchen dringend flächendeckende Programme“, kritisierte Prof. Kulzer.



von Antje Thiel

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