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Insulinpurging oder der Schlankheitswahn mit Diabetes
6 Minuten

Wenn ich mich im Spiegel betrachte, sehe ich vieles, was mir nicht gefällt. Da wäre mein abstehendes Ohr, meine Nase, mein rundes Gesicht, diese eine Haarsträhne, die immer, wirklich IMMER, absteht… Aber vor allem ist da meine Figur bzw. mein Gewicht. Und immer wieder ist da 1 Wort in meinem Kopf… Insulinpurging.
Vor einigen Jahren (ca. 2010/2011) hatte ich große Akzeptanzprobleme. Meine Werte waren mehr als Müll und mein HbA1c viel zu hoch. Damals zog meine Diabetesberaterin mich zur Seite und meinte, dass das so keine Lösung sei. Ich doch dünn genug wäre und dass ich nicht so aussehen sollte wie die Mager-Models in verschiedenen Zeitschriften und im Fernsehen. Ich wusste nicht, was meine Dia-Fee von mir wollte, und stand mit einem großen Fragezeichen im Gesicht vor ihr. Sie begann, mir zu erklären, was Insulinpurging ist. Daraufhin erklärte ich ihr, dass das nicht der Grund für mein Verhalten dem Diabetes gegenüber sei. Den wahren Grund behielt ich für mich und verdrängte ihn mit der Zeit. Ich wollte den Diabetes damals einfach nicht. Er war der Grund, weshalb ich oft gemobbt wurde. Oft Außenseiter war. Ab und zu nicht zu Geburtstagen eingeladen worden war, nur weil alle Angst hatten und sich keine zusätzliche Verpflichtung (also die Eltern) antun wollten… Oft weniger Süßigkeiten zum Beispiel zu Weihnachten (von Verwandten) bekommen habe etc.
Im Übrigen bin ich ein Mensch, der sich über ALLES Gedanken macht und sich selbst nicht so super gern hat. Ein Mensch, der schwer auf Komplimente eingehen kann und Probleme hat, zu vertrauen bzw. Leuten zu glauben.
Was denken die anderen?
Denken andere, wenn sie mich sehen, dass ich die totale Dumpfbacke bin? Oder ein Riesen-Tollpatsch? Wie finden mich andere? Werden sie mich ausschließen? Finden mich andere fett? Vielleicht noch fetter, als ich mich finde? Wie finden es andere, wenn ich 2 verschiedene Socken anhabe? Oder wenn ich diese Hose anziehe? Sieht man bei der Hose extrem meinen Bauchspeck? Würden Sie mich deswegen auslachen? Oder was sagen die anderen, wenn ich jetzt meine Haare färbe? Was denken sie über dies? Und was über das? Ihr dürft das nicht falsch verstehen! Ich will nicht beliebt sein. Oder perfekt oder so… Nur akzeptiert werden. Denn nach der Mobberei in der Schule war das immer ein kleines Problem von mir. Seitdem zweifele ich so gut wie alles an.
Damals war ich auch noch sehr kritikunfähig. Habe bei jedem kleinen Problem geheult… Das hat sich heutzutage Gott sei dank geändert. Ich denke auch teilweise gar nicht mehr so viel nach. Möchte eigentlich ganz auf die Meinung anderer *piiiiep*. Aber das fällt mir oft noch sehr schwer. Vor allem in neuen „Gruppen“, wie zum Beispiel gerade bei meinem Bundesfreiwilligendienst. Es gibt dort Seminargruppen und da bin ich genauso wie früher. Mache mir über alles und jeden Gedanken.
Was hat das alles mit meinem Diabetes zu tun?
Was hat das alles mit meinem Diabetes bzw. dem Insulinpurging und dem Schlankheitswahn zu tun? Nachdem ich mich irgendwann fragte, weshalb ich immer (o.k., nicht immer, aber oft) der Außenseiter war, kam ich zu dem Entschluss, dass es an meinem Aussehen liegen musste. Ich fand mich damals eh zu dick (und zu tollpatschig) und somit beschloss ich, dass ich abnehmen wollte. Das war zu dem Zeitpunkt nicht nötig gewesen, war aber damals mein Empfinden. Da ich das Essen aber gern mochte und ich ein kleiner Sportmuffel war (2-4 Mal die Woche Reiten und täglich Fahrradfahren sollten doch genügen?!), fielen mir die Worte meiner Dia-Fee wieder ein. Der Diabetes lief zu dem Zeitpunkt eh nicht so gut und das HbA1c lag bei 9% rum.

Ich spritzte also kaum noch, meist nur 30E Lantus und ab und an mal 20-40E NovoRapid, um die Übelkeit zu lindern. Ich konnte essen, so viel und was ich wollte, der Stoffwechsel war so im Eimer, dass ich nicht zunahm. Im Gegenteil! Ich nahm ab. Mir ging es in der ersten Zeit supermies, aber irgendwann gewöhnte mein Körper sich daran. Und letztendlich war es mir egal, wie ich mich fühlte. Hauptsache, ich passte in Größe 36 und XS/S rein!
„Superschön schlank“ und ein HbA1c von 15,3%
Irgendwann waren mir Hosen in Größe 36 zu groß. Das fand ich schon ziemlich cool. Ich war superschön schlank (fand ich damals). Allerdings landete ich dann auch irgendwann im Krankenhaus. Blutzucker bei ca. um die 1700 mg/dl (94,4 mmol/l). HbA1c bei 15,3%. Kurz vor der Lebertransplantation. Diese war nämlich auf das Dreifache angeschwollen… Das tat höllisch weh und auch nur wegen dieser Schmerzen sind wir ins Klinikum gefahren. Meine Eltern wussten, glaube ich, gar nicht richtig, wie schlimm meine Werte eigentlich waren. Ich hatte damals immer mein Messgerät versteckt bzw. gar nicht gemessen und meiner Mutter immer falsche Werte gesagt.
Ich wog unter 45 Kilogramm bei einer Größe von 1,60 m und mir ging es gar nicht gut.

Die Geschichte vom Einzug ins Heim kennen vielleicht ein paar von euch, ich werde es hier noch einmal in Kurzfassung schreiben.
Nachdem ich 2,5 Wochen im Februar 2014 dank meiner dummen Idee, Insulinpurging zu betreiben, im Klinikum lag, bekam ich täglich Besuch von einer Dame einer Organisation (vielleicht kennen einige ja den Bunten Kreis?). Mit ihr schrieb ich täglich auf WhatsApp, wie meine Werte waren, und wir machten zusammen ein paar Ausflüge wie zum Beispiel zum Reiten fahren und Kaffeetrinken gehen, um „Schadensbegrenzung“ zu betreiben. Durch meine Diabetologin und die Hilfe des Bunten Kreises und des Jugendamtes zog ich in eine Einrichtung für Kinder mit chronischen Krankheiten. Hauptsächlich Diabetes. Dort lernte ich 1,5 Jahre, meinen Diabetes zu akzeptieren, Strukturen in meinen Alltag mit Diabetes zu bringen, meine Werte verbesserten sich und ich nahm zu. Leider viel zu viel, da meine Therapie-Einstellung (sprich Basalrate und Faktoren) totaler Mist waren.
Der schwierige Weg
Seitdem ich meine Höchstmarke geknackt habe, bin ich dabei, abzunehmen bzw. mein Gewicht zu halten. Das ist, wie ich finde, auf normalen Wegen ziemlich schwierig. Man verzichtet auf Süßkram und allzu viele Kohlenhydrate, ernährt sich gesund und macht Sport, nur um einige Stunden später wegen Unterzucker die Kohlenhydrate wieder in sich hineinzustopfen.
In den vergangenen Tagen hatte ich über mehrere Tage (durch eine Erkältung) viel zu hohe Blutzuckerwerte… Mir ging es mies. Echt mies. 3 Tage lang ging das so. Trotz erhöhter Basalrate in der Pumpe bekam ich die Werte nicht runter, bis ich sie dann endlich wieder im Griff hatte, die Diabetes-Sau. In diesen 3 Tagen habe ich tatsächlich 2 Kilogramm abgenommen. Einerseits erschreckend, andererseits ziemlich verlockend…
Die Gedanken, wieder „anzufangen“, kreisen seitdem ständig in meinem Kopf. Ich weiß, dass es schlecht ist, dass ich mir mehr selbst schade und das sehr böse enden kann. Vor allem ist es ein Teufelskreis… Wer einmal drin ist, kommt schwer wieder raus, denn die Versuchung ist sehr groß. Andererseits wäre es so einfach und schnell, die Kilos zu verlieren.

Keine Frage, ich werde natürlich nicht wieder anfangen! Ich habe so viel gelernt aus der Aktion 2014, habe dabei so viel kaputt gemacht… Meine Leber hat sich glücklicherweise damals wieder erholt… Das muss ich nicht wieder kaputt machen!
Gesunde Ernährung und Sport
Ich habe mich tatsächlich als größter Sportmuffel auf Erden bei einem Sportstudio angemeldet, esse mittlerweile wieder sehr gesund. Klar, am Wochenende kann es mit Freunden schon mal eine Pizza geben, aber in der Woche halte ich das sehr gut durch, da ich in einer Kindertagestätte arbeite und dort auch Vorbild bin, was die Ernährung angeht. Anstatt eines Nutella-Toasts gibt es dann mal Knäckebrot mit Frischkäse und Gemüse. Und zum Mittag statt einer schnellen Fertigpackung mal das Mittag in der Kita oder ein Schwarzbrot mit Wurst und selbstgemachtem Apfelmus. Die Werte halten sich auch im Rahmen, sodass ich glaube, dass es diesmal auf diesem Weg gut funktionieren kann. Denn wohl fühle ich mich momentan immer noch nicht.

Und wer Zweifel an sich selbst hat, an seiner Figur, Schönheit oder seinem Charakter, lasst Euch eines gesagt sein: Ihr seid alle so schön, so, wie Ihr seid! Die Hauptsache ist, dass IHR Euch wohlfühlt und nicht, dass die anderen euch schön schlank finden. Dass ihr bleibt, wer Ihr seid, Euch nicht von anderen verändern lasst und nicht das Wichtigste für Euch ist, in Größe 34 reinzupassen!
Insulinpurging/Dia-Bulimie ist keine Lösung. Es ist supergefährlich, sich sein lebenswichtiges Insulin nicht zu spritzen. Also passt alle auf Euch auf! ♥
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swalt postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Dia-Newbies vor 1 Tag, 2 Stunden
Hallo zusammen. Ich möchte mich erst einmal vorstellen. Ich bin “noch” 59 Jahre, und habe wahrscheinlich seit 2019 Diabetes. Ich würde mir wünschen, endlich angekommen zu sein. Wahrscheinlich seit 2019, weil ich in einem Arztbrief an meinen damaligen Hausarzt zufällig auf den Satz: “Diabetes bereits diagnostiziert” gestoßen bin. Ich habe meinen Hausarzt dann darauf angesprochen und wurde mit “ist nicht schlimm” beschwichtigt.
Lange Rede. Ich habe einen neuen Hausarzt und einen sehr netten Diabetologen, bei dem ich jetzt seit 4 Jahren in Behandlung bin. Ich vertrage die orale Therapie nicht und spritze ICT. Dennoch bin ich in diesem Thema immer noch absoluter Neuling. Natürlich habe ich viermal im Jahr ein Gespräch mit meinem Diabetologen. Das hilft aber im täglichen Umgang nicht wirklich. Auch die anfangs verordnete Schulung war doch sehr oberflächlich und das war es. Ich kenne nicht die Möglichkeiten, die mir zustehen. Ich habe mir alles, was ich zu wissen glaube aus Büchern angelesen. Irgendwie fühle ich mich allein gelassen, irgendwie durchgerutscht. Ich kenne niemanden in meinem Bekanntenkreis, der Diabetes hat und die nächste Selbsthilfegruppe ist über 50 km entfernt.
Und so bin ich jetzt hier gelandet. Ich möchte wissen, wie ihr das handhabt, damit ich verstehe, was ich richtig mache und was falsch. Damit ich weiß, dass ich nicht allein damit lebe. -
shangwari postete ein Update vor 5 Tagen, 6 Stunden
Ich habe mir ein neues Mobiltelefon von Samsung (A56) zugelegt. An manchen Tagen saugt die Freestyle Libre App den Akku in nicht mal 12 Stunden leer. In einigen Foren habe ich von dem gleichen Problem gelesen. Da ich auf dem Telefon nachlesen kann, wer denn den ganzen Strom verbraucht hat, konnte ich die App genau identifizieren. Gehe ich in den Einstellungen auf Gerätewartung und lasse diese dann optimieren, ist das Problem für einige Zeit behoben. Heute habe ich bei Abbott angerufen und mein Problem geschildert. Ich habe erfahren, dass einige Telefone noch nicht mit Freestyle getestet wurden. (So auch meins) Der Ratschlag ist, die App zu deinstallieren und neu aus dem Store herunterladen. Bei der automatischen Übernahme der Telefone (beim einrichten eines neuen Mobil) kann sein das die App nicht aus dem Store geladen wurde – sondern vom “alten” Telefon. Ich werden noch warten bis mein Sensor eh erneuert werden muss und dann wage ich mich daran. Bis es soweit ist werde ich mich mit der “Optimieren – Taste” behelfen.
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nele_elsa antwortete vor 4 Tagen, 11 Stunden
Hallo,
Ich hatte das Problem auch mit meinem iPhone SE20 und dachte, es liegt daran, dass mein Handy zu alt war und hab mir so eine Powerbank-Hülle gekauft. Viel erfolg!
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nele_elsa postete ein Update vor 1 Woche
Hallo,
Ich habe eine Frage:
Wir ziehen Ende Oktober von Österreich zurück nach Deutschland.
Jetzt muss ich mich für eine Krankenkasse entscheiden und wollte fragen, ob es erfahrungsgemäß vorteilhafte Krankenkassen für Menschen mit Diabetes gibt? Im Internet wäre ich nach Recherchen auf die aok gekommen.
Für tips und Erfahrungsberichte wäre ich sehr dankbar ☺️
Liebe Grüße
Nele-
moira antwortete vor 6 Tagen, 5 Stunden
Hallo Nele! Ich bin bei der SBK und sehr zufrieden, aber ich weiß nicht ob andere besser oder schlechter sind.
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nele_elsa antwortete vor 5 Tagen, 12 Stunden
@moira: Dankeschön
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Hallo Dia-Newbie 🙂 Schön, dass du den Weg zum Diabetes Anker gefunden hast. Ich bin Lena, die Community-Managerin hier und bis sich ein paar Community-Mitglieder bei dir melden, kannst du die Zeit vielleicht mit diesem Artikel überbrücken (https://diabetes-anker.de/behandlung/behandlung-des-diabetes-diese-buecher-und-materialien-helfen-weiter/). Vielleicht findest du noch wichtige Infos für dich, um deinen Alltag zu vereinfachen. 🙂 Ansonsten findest du beim Diabetes-Anker auch fundiertes Wissen zum Thema ICT von Expert:innen aber auch von Menschen mit Diabetes…Viele Grüße Lena