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Das Echt Essen-Gasthaus im Dezember: Das deutsche Wildgasthaus steht in Rech im wildromantischen Ahrtal. Ausschließlich regionales Wild und Gemüse serviert die Familie Bitzen – eine Entdeckung aus dem neuen Slow Food Genussführer, den ich am Ende der Geschichte vorstelle.
Regional sind ja derzeit alle. Selbst in Großstädten suggerieren die Köche, dass sie praktisch nur Produkte aus der unmittelbaren Umgebung verarbeiten. Wer´s glaubt, wird selig.
Wer aber wirklich selig werden will, fährt am besten mit dem Zug von Bonn über das elegante Bad Neuenahr und die Weinorte Walporzheim, Dernau nach Rech. Hier im wild zerklüfteten Ahrtal liegt über dem schmucken Winzerdorf das Jagdhaus Rech, wo drei gemütliche Stuben auf Einkehrer warten – und auch Radfahrer sind ausdrücklich erwünscht.
Markus Bitzen (Abb. 1) kocht kompromisslos regional, seit er vor über fünf Jahren das eingeführte Gasthaus von seinen Eltern übernommen hat. Er hat einen eigenen Gemüsegarten, seine Lieferanten kennt er persönlich, besucht er persönlich. Aber seine ganze Leidenschaft gilt dem Wild.
Schon mit 16 ging er auf die Pirsch, was er heute noch gerne tut. Was er nicht selbst erlegen kann, bezieht er von befreundeten Jägern. Wildes gibt es bei ihm praktisch das ganze Jahr, seien es Rehe, Hirsche, Fasane, Hasen und Wildschweine. Was aus der best-bürgerlichen Küche kommt, sind zu über 90 Prozent Wildgerichte – ein in Deutschland wohl einmaliges Genusserlebnis.
Das fünfgängige Hubertus Rotwild Menü habe ich in diesem sympathischen Gasthof probiert, was 76 Euro kostet. Zu Beginn habe ich erst einmal einen Löffel Essig von der nahen Essigmanufaktur Acetovit in Dernau bestellt, was den Magen auf die kommenden Köstlichkeiten vorbereitet.
Eine davon ist das selbst gebackene Schwarzbrot, wozu feines Rehmus, eine gut gewürzte Hasenterrine und eine exzellente Hirschsalami serviert werden. Die guten Würste fertigt ein kleiner Metzger, und sie lassen sich mit weiteren Spezialitäten in Bitzens Wilder Bauernladen erwerben. Bei den Bildunterschriften stehen die Bezeichnungen, so wie sie auf der Karte annonciert werden.
Kein Jägerlatein: Spießer ist der junge Hirschbock, dessen Geweih noch nicht verzweigt ist. Aus der Oberschale, ein feines Teil der Keule, serviert Markus Bitzen hauchdünne Scheiben, eine Art saftiges Roastbeef. Dazu gibt es würzige Hirschpflanzerl, Ziegenfrischkäsekugeln mit Wildkräutern und einen fein säuerlich angemachten Rucolasalat. Ein stimmiges Gericht, nur das zu süße Sorbet vom Sauerampfer will nicht so recht passen.
Geduld und Herzblut fließt in die Wildfonds von Markus Bitzen. Tagelang kocht er die Knochen aus, bis daraus eine schier unglaublich intensive Soße entsteht. Diese Soße bildet auch die Grundlage der großartigen Suppe, wobei sich der Rahm glücklicherweise auf eine kleine Haube beschränkt, dekoriert mit Wildkräutern. Sicher, diese Suppe strotzt wahrscheinlich vor Säure – aber wer will bei diesem intensiven Aroma zu viel an Gesundheit denken.
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Wer so eine Mutter hat, kann sich glücklich schätzen. Selten habe ich so einen großartigen Hirschnacken gegessen, eigentlich ein eher unterschätztes Fleischstück. Aber Markus Bitzen zeigt hier, dass er bei guten Lehrmeistern war – und er bereitet so das ideale Einsteigergericht für alle Wildfleischskeptiker zu: Der Nacken schmeckt nach Wild, aber nicht zu stark, ist butterzart – dank einer 28-stündigen Sous Vide-Garung (also eingeschweißt in einen Vakuumbehälter) bei 68 Grad.
Passend die Kartoffeln, eine Art Bamberger Hörnchen, und der bissfeste Kohlrabi. Begeistert hat mich die Preiselbeer-SAUCE. Bewusst groß geschrieben, denn es ist nicht das übliche zu süße Kompott, sondern die Sauce basiert auf dem Wildfonds, wird mit den Preiselbeeren lediglich angenehm aromatisiert.
Stolz signiert Markus Bitzen in Chefmanier seinen Hauptgang: Ein perfekt auf den Punkt gegarter Rücken vom Rothirsch. So muss Wildfleisch schmecken, intensiv ohne zu „wildeln“. Warum heute das wilde Fleisch ohne diesen früher oft unangenehmen „Haut Gaut“ auf den Tisch kommt, erklärt der passionierte Jäger gerne. Auch erläutert er, dass korrekt geschossenes Wild ein Biofleisch der ersten Wahl ist, denn die Tiere fressen nur das, was sie in der Natur finden.
Geradezu ins Schwärmen gerät Markus Bitzen, wenn er vom berühmten Maibock spricht, junge männliche Rehe, die ab dem 1. Mai gejagt werden. „Konzentrat-Selektierer“ nennt der 38-jährige diese Tiere, die im Frühjahr nährstoffreiche Gräser, Triebe, Beeren und Pilze fressen, die voller wertvoller Proteine, Mineralstoffe und leicht verdaulicher Kohlenhydrate stecken – eine wahre Naturapotheke.
Frische Semmelstoppel-Pilze (und das Ende November!) adeln den Gang sowie ein wenig Spitzkohl-Kürbis-Gemüse und eine damit gefüllte Nudel. Das wird dann aber zu mächtig, da wäre weniger Säure- und Blutzucker erhöhnende Nudel und mehr basisches Gemüse die bessere Idee. Interessant ist das Birnenmus, einmal eine ganz andere Facette der Wildbegleitung.
Einen 2012er Frühburgunder von Meyer-Näkel haben wir zum Essen getrunken. Eine gute Wahl, denn diese äußerst empfindliche Rebsorte wird selten angebaut, ist aber gottseidank an der Ahr wieder breit eingebürgert. Ein ganz eigenes Geschmacksbild hat dieser trockene Wein vom Starwinzer Meyer-Näkel, der in Richtung des Lembergers geht und jedenfalls ganz ausgezeichnet zu Wild passt. Mit 45 Euro nicht ganz billig, aber vertretbar, wobei die Ahrweine generell nicht zu den ganz preiswerten gehören.
Eine ausgezeichnete, gut kommentierte Auswahl dieser Weine hat Martina Bitzen, die Ehefrau, zusammengetragen. Lobenswert: Es gibt auf der Karte nur Ahrweine. Eine konsequente Regionalität – ermöglicht durch die hohe Qualität dieses kleinen, feinen Weinbaugebiets.
Eine ganz ausgezeichnete Wildküche. Sicher, das fünfgängige Menü ist eine kleine Herausforderung an die Kondition des Essers. Schließlich gab es ja noch eine Auswahl an heimischem Käse; nicht schlecht, aber die wahre Stärke im Jagdhaus ist die Wildküche. Die könnte sicher im Einzelnen noch etwas entschlackter, etwas gemüsestärker sein. Aber es müssen auch nicht immer so viele Gänge sein.
Beim nächsten Besuch, der sicher folgen wird, schon weil mich Fasan und Maibock interessieren, werde ich maximal drei Gänge bestellen – und die auch am besten mittags, dann lässt sich anschließend bei den wunderbaren Wanderwegen rund um das Lokal alles wieder prächtig verdauen.
Geregnet hat es, als ich da war. Deshalb fiel meine Verdauungswanderung ins Wasser – gottseidank in ein sehr gutes Wasser: Den Bonnekamp Kräuterbitter (4 Euro) aus der nahen Traditionsbrennerei von Peter Josef Schütz. Endlich einmal ein Bitter, der wirklich bitter und kaum süß ist. Den trinke ich auch nächstes Mal – und mache mich aber auch auf in die romantische Landschaft aus schmucken Städten, steilem Rebland und malerischem Fluss.
Nächste Seite: Aus unerklärlichen Gründen hat Hans Lauber das sympathische „Jagdhaus Rech“ in den herkömmlichen Gastroführern nicht gefunden. Dafür aber im nun erstmals erschienenen „Slow Food Genussführer“, den er im letzten Teil vorstellt.
Eine Entdeckung ist dieses sympathische Gasthaus, das aus unerklärlichen Gründen in den herkömmlichen Gastroführern nicht vorkommt. Eine Entdeckung, die ich dem erstmals erschienenen Slow Food Genussführer verdanke, den ich deshalb gerne hier vorstelle:
Gegen den Siegeszug des Fast Food gründete 1986 der Italiener Carlo Petrini mit Freunden Slow Food. Die für Langsamkeit stehende Schnecke ist das Symbol der Bewegung, die inzwischen weltweit über 100.000 Mitglieder in über 150 Ländern hat. Slow Food ist damit eine der mächtigsten und einflussreichsten Organisationen, die für natürliche Lebensmittel, für handwerkliche Erzeuger und alt-bewährte Pflanzensorten und Tierrassen kämpfen.
Bis heute ist es dem charismatischen Petrini und seinen Mitstreitern gelungen, Slow Food als eine von den mächtigen Agrar- und Nahrungskonzernen unabhängige Organisation zu erhalten. Ein großer Erfolg – und das vor allem deshalb, weil der lebensfrohe Italiener Slow Food vor allem als eine Bewegung für den authentischen und guten Geschmack positioniert hat.
So gehört zu Slow Food die weltweit erste Universität für gastronomische Wissenschaften, gehören Messen dazu, wo sich kleine Produzenten vorstellen können, wie etwa jährlich in Stuttgart der Markt des guten Geschmacks, den ich im April als Echt Essen vorgestellt habe.
Zum Erfolg von Slow Food hat wesentlich der vor 20 Jahren erstmals erschienene Führer Osterie d´Italia beigetragen – eine Übersicht von authentischen Gasthäusern, die damals auch in Italien nicht mehr hoch im Kurs standen, weil die wunderbare Volksküche mit dem falschen Etikett des Einfachen und des Ärmlichen versehen wurde.
Inzwischen hat dieser Führer ganze Arbeit geleistet, die regional-typische Küche zählt wieder zum kulinarischen Stolz Italiens. 1.700 Osterien listet die aktuelle Ausgabe des Führers auf – ein hochgeschätzter Wegweiser zur echten Küche.
Jahrelang wurde auch bei Slow Food in Deutschland über einen solchen Führer diskutiert – und nun ist er endlich erschienen und auf Anhieb ein Erfolg geworden. Was dafür spricht, dass die Menschen eine Sehnsucht nach einer echten Küche haben, die nicht mit vorgefertigten und anonym zusammengekauften Produkten arbeitet, sondern, wo der Wirt noch weiß, wo seine Ware herkommt – ein Ansatz, den ich seit 2009 auch mit Echt Essen verfolge.
300 Gasthäuser umfasst die erste Ausgabe des Führers. Das erscheint wenig im Vergleich zum italienischen Original. Trotzdem ist das Ergebnis respektabel (auch die erste Ausgabe des deutschen Gault, die ich habe, hatte nicht viel mehr Restaurants).
Und das aus zweierlei Gründen: Zum einen sind die Wertungen von ehrenamtlichen, auf eigene Rechnung arbeitenden Testern entstanden, die durchaus unterschiedliche Interessen haben. Diese kulinarische Schwarmintelligenz zu strukturieren, ist eine große Kunst, die weiter reifen wird.
Vor allem aber zeigt der Führer auf erschreckende Weise: In weiten Landstrichen Deutschlands ist die authentische Küche praktisch verschwunden und kann deshalb auch nicht vorgestellt werden. Vor allem in Nord- und Ostdeutschland sind gute Gasthöfe ähnliche Exoten, wie es bei uns nach dem Krieg italienische oder griechische Lokale waren. Es ist nicht zu fassen, aber wir haben einen großen Teil unseres kulinarischen Erbes einfach untergehen lassen!
Sicher, in weiteren Ausgaben wird sich das bessern, so fehlt etwa in Nordrhein-Westfalen der Schinkenwirt in Olsberg bei Köln. Fast schon zu gut geraten ist mir der Führer in meiner badischen Heimat, da finde ich sogar Gasthäuser, die ich gerne als Geheimtipps für mich behalten hätte; welche, sage ich nicht.
Aber der Baden-Württemberg- und Bayern-Teil (obwohl dort das Schweinsbräu in Glonn unbedingt reingehört, siehe Echt Essen im November 2009) zeigen, wo die Perspektiven dieses Führers liegen: Eine verlässliche Handreichung zur echten regionalen und frisch gekochten Küche. Ein wenig kritischer können die Besprechungen noch werden, wobei ich es gut finde, dass keine Noten vergeben werden. Und: Es schadet nicht, auch auf die gesundheitlichen Aspekte des Essens hinzuweisen, so wie ich es bei Echt Essen mache.
Welche gestaltende Chance der Führer hat, sagte mir Ursula Hudson, die lebenskluge deutsche Slow Food-Vorsitzende: „Meine Hoffnung ist es, dass die erfolgreiche Existenz des Führers viele Gastronomen motiviert, den Weg der authentischen Küche zu gehen – sodass wir in einigen Jahren auch in der Breite wieder viele gute Wirtshäuser haben“.
Slow Food Genussführer Deutschland 2014, Oekom-Verlag, München; 344 Seiten, 19,95 Euro
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
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