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Das Echt essen-Gasthaus im April: Im Landgasthof Brauerei Keller in Lippertsreute mästet, schlachtet und verarbeitet Markus Keller jedes Jahr acht Schweine selbst für sein Gasthaus.
„Wo zur Wirtschaft eine Metzgerei gehört, ist das Fleisch besonders gut und günstig“, pflegte mein Vater in Kindertagen zu sagen. Eine Lebensweisheit, der ich zeitlebens mit gutem Erfolg gefolgt bin. So kommt es, dass ich besonders gern ins „Schweinsbräu“ (siehe Echt-Essen November 2009) im bayerischen Glonn gehe, wo nicht nur eine Metzgerei, sondern gleich eine ganze Landwirtschaft zum Gasthaus gehört. Eine Landwirtschaft, in der für das „Schweinsbräu“ geschlachtet wird.
So schmeckt´s! Markus Keller mit einem luftgetrockneten Schinken.
Noch einen Schritt weiter geht Markus Keller vom „Landgasthof Brauerei Keller“ in Lippertsreute oberhalb von Überlingen am Bodensee: Er mästet jedes Jahr acht Schweine selbst (und braucht dafür ein Jahr statt wie üblich ein halbes), füttert sie selbst, schlachtet sie selbst und verarbeitet die Schweine selbst komplett zu Fleisch, Würsten (traumhaft die Leberwurst) und Schinken für sein Gasthaus. Weil alles im eigenen Betrieb geschieht, kann er das seit Jahrhunderten bewährte Prinzip des Warmwurstens anwenden, bei dem das noch warme Fleisch sofort weiter verarbeitet wird – was einen optimalen Geschmack garantiert, und was es erlaubt, ohne Stabilisatoren und Zusatzstoffe auszukommen, die beispielsweise Allergien auslösen können.
Einen langen Kampf mit den Behörden musste Markus Keller führen, bis er die begehrte Zulassung als „EU-Kleinschlachtstätte“ erhielt. Dafür investierte er viel Zeit und Geld, denn der EU sind diese traditionellen Betriebe ein Dorn im Auge, sie wollen am liebsten die gesamte Lebensmittelproduktion in anonyme Großbetriebe verlagern. Selbst die traditionelle Fütterung ist ins Visier der Kontrolleure geraten: Früher bekamen die Schweine auch die Essensreste, es entstand also der in Sonntagsreden so gerne beschworene nachhaltige Kreislauf. Das ist aus angeblich hygienischen Gründen heute verboten, aber immerhin sind noch Kartoffel-, Karottenschalen, Getreide, Brennesseln und Gras aus der eigenen Landwirtschaft erlaubt.
Würden sich die Brüsseler Bürokraten so intensiv um die Sicherheit der Kernkraftwerke kümmern wie um die Futtertröge der Schweine, dann wäre längst ein Großteil der unsicheren Atom-Schrottmeiler abgeschaltet.
Kalter Rauch für besten Geschmack: Kellers Schinken
Das sind natürlich alles meine Überlegungen – Markus Keller führt viel lieber in sein Allerheiligstes, wo er seine Schinken- und Speckseiten entweder langsam per Luft trocknet (das Prinzip des Parmaschinkens) oder mit sanftem kaltem Rauch räuchert, wobei er nicht irgendein Sägemehl nimmt, sondern extra zu einer kleinen Sägerei mit gutem Holz geht. Liebevolle Details, die zu einem unvergleichlichen Geschmackserlebnis führen – und es ist eine Freude zu sehen, wie er mit geschlossenen Augen an seinen Schinken riecht. Das ist echte Liebe, das ist echte Leidenschaft für gute handwerkliche Lebens-Mittel – und das motiviert mich, Ihnen das als „Echt Essen“ immer wieder vorzustellen.
Äußerst begehrt sind Kellers Schweinedelikatessen, umliegende Gastronomen würden sie liebend gern kaufen, selbst ein italienischer Feinkosthändler würde sie sofort beziehen – aber es gibt sie zur Freude der Gäste nur im Landgasthof. Wer die ganze Pracht preisgünstig genießen will, bestellt die „Bauernvesper“ für 6,50 Euro.
Hier lohnt die echte Einkehr: „Landgasthof Keller“
Seit 1883 gibt es diesen Landgasthof in Lippertsreute, einem schmucken Dorf mit Blick auf die Schweizer Alpen und vielen Fachwerkhäusern. Und seit 1995 wirten in diesem Familienbetrieb Ruth und Markus Keller und machten und machen ihn mit seinen schönen Hotelzimmern mit weitem Blick auf Schloß Heiligenberg zu einem begehrten Reiseziel. Eine gemütliche Stube mit Holzboden, Stofflampen, massiven Holztischen und Stühlen empfängt den Gast mit einem Service, den Ruth Keller umsichtig zurückhaltend leitet.
Kitschfrei gemütlich: Wirtsstube im „Keller“
Sehr empfehlen kann ich das frisch gezapfte, naturtrübe „Keller-Pils“(0,3 für 2,70 Euro) aus einer handwerklich geführten Traditions-Brauerei im nahen Tettnang, wo mit der beste Hopfen der Welt wächst, was zu einer feinen Bitternote des Bio-Bieres führt. Prima passt dazu das selbstgebackene Holzofenbrot mit Quark. Zum Auftakt hatte ich einen Teller mit luftgetrocknetem Schinken, Bratwurst, selbst eingelegten Gemüsen, einem Kressepesto und als Besonderheit: Sauer eingelegte Bärlauchknospen – alles für 8,50 Euro.
Felchenleber mit Salat
Ein gut angemachter Frühlingssalat mit selbst gesammelten Wildkräutern, etwa der sanften Knoblauchvariante Bärlauch. Dazu eine rare Delikatesse: Die Leber vom Edelfisch Felchen – ein Gedicht für 8,50 Euro. Getrunken habe ich dazu ein Glas der seltenen Rebsorte „Auxerrois“, die ein wenig an Müller-Thurgau erinnert, vom Spitzenweingut Aufricht aus Meersburg. Ein säurearmer Weißwein, der sehr gut zum Salat passt.
Schmeckt besser als es mein Foto zeigt: Felchenleber mit Salat
Felchen blau mit Wurzelgemüse
Ausschließlich im absolut sauberen und frischen Wasser gedeiht der mit der Forelle verwandte Felchen, der in Bayern Renke und in Norddeutschland Maräne heißt. Und nur, wenn er ganz frisch ist, lässt er sich „blau“, also in gewürztem, heißem Essigwasser zubereiten – ein schlichter Genuss, der mit zerlassener Butter köstlich schmeckt und 13 Euro kostet. Fast alle Fische bezieht Markus Keller von der Fischerfamilie Fritz Meichle aus Hagnau am Bodensee. Wenige Fische kommen aus nahen Zuchten, aber Meeresfische stehen nur ganz selten auf der Karte. Warum auch, die hiesige Ware ist ausgezeichnet und bis jetzt noch nicht verstrahlt.
Nur Kopfschütteln hat Markus Keller für die riesigen Aquakulturen in den Meeren übrig: „Da fischen sie die Meere leer, um daraus Fischfutter herzustellen, das den Fischen verfüttert wird, die eng gequetscht gehalten werden“. Aquakulturen – ein anderes Wort für schwimmende Legebatterien.
Gelingt nur frisch: Felchen blau
Lammkeule mit Topinambur-Gratin
Mit zwei dicken Scheiben von der Lammkeule („das Lamm kommt vom Schirmeister aus Sipplingen am Bodensee“, nennt Keller prompt seinen Lieferanten) beschloss ich das Menü. Ein kräftiger, aber nicht aufdringlicher Lammgeschmack, wobei ich mir die Sauce noch etwas intensiver hätte vorstellen können.
Begeistert war ich aber von dem Topinambur-Gratin. Immer wieder empfehle ich diese Knolle, weil sie das für Diabetiker so segensreiche Inulin birgt, ein mehrkettiges Kohlenhydrat, das nicht so schnell ins Blut geht, also die gefürchteten „Zuckerspitzen“ vermindert. So gut mit Lauch und Parmesan abgeschmeckt war das Gemüse, dass ich direkt noch einmal eine Portion bestellt habe: Gesund-Genuss zum Niederknieen und das für moderate 15,20 Euro. Dazu trank ich einen ordentlichen 2009er „Bohlinger Spätburgunder“ aus dem „Haus Rebholz“ in Liggeringen, was bei Radolfzell liegt. Gästefreundlich kalkuliert sind die Weine im „Landgasthof“, die Flasche kostet um die 20 Euro.
Empfehlenswert für Vielesser: Die guten eigenen Schnäpse, welche „Robby“ Allgaier, ein ehemaliger Berufsschullehrer brennt. Ein wenig wehmütig war´s mir in der Brennerei, denn beim letzten Besuch bediente noch der Vater von Markus das Brenngeschirr.
Lamm mit großartigem Topinambur-Gratin | „Robby“ Allgaier brennt die hauseigenen Schnäpse
Vier Gänge habe ich genossen – das macht im „Landgasthof Keller“ kaum jemand. Die meisten essen einen Gang, vielleicht noch eine Vorspeise, ein Dessert. Hier kommen die Leute nicht hin, um Stunden lang sitzen zu bleiben, die meisten gehen nach einer starken Stunde wieder, so dass die Tische an einem Abend mehrfach besetzt werden können – und gegen 22 Uhr leert sich der Saal schlagartig. Eine übersichtlich gehaltene Karte, der konsequente Einkauf (etwa Wild vom Jäger) in der Umgebung, die vielen eigenen Produkte, erlauben eine äußerst günstige Kalkulation, was viele Wirtekollegen von Markus Keller nachdenklich stimmt – und die Gäste glücklich macht.
Ein Liebhaber von Streuobstbäumen ist Markus Keller, er schwärmtvon seinen Kirschen, Zwetschgen, Mirabellen, hat sogar wieder Streuobstbäume angepflanzt, erzählt begeistert von der „Gute Graue“, eine alte Birnensorte. Im Gasthaus entstehen daraus unverfälschte Kompotte, Desserts, Marmeladen – und die Schnäpse. Immer wieder überrascht Markus Keller mit Produkten aus der Umgebung, etwa angeröstetem Brennessel-Samen, den er in eigenem Walnußöl einlegt, Brennessel-Kaviar als Viagra für Arme“, wie er ihn schmunzelnd nennt.
Auf die Frage, was den stets gelassen wirkenden Wirt zu diesen vielen Aktivitäten treibt, meint er lachend: „Ich bin angefressen“.
Bleibt zu klären: Wie kommt das Wort „Brauerei“ in den Namen? Ganz einfach: Bis kurz vor dem Ende des zweiten Weltkriegs war hier tatsächlich eine Brauerei – und sogar eine sehr gute mit eigenem Hopfen, eigener Gerste. Doch kurz vor Kriegsende beschlagnahmten die braunen Machthaber das kupferne Braugeschirr – und schmolzen es in den Rüstungsfabriken von Friedrichshafen (die sind heute noch dort) ein – mit dem „Endsieg“ ist es trotzdem gottseidank nichts geworden.
Zwei Dinge künden heute noch von der alten Brauherrlichkeit: Ein fast 100 Meter langer Keller mit drei außerhalb liegenden Quellen – bis zu dem Platz, wo mehrere Kastanien blühen. Sie wurden früher gepflanzt, um den darunter liegenden Keller für das Bier kühl zu halten.
Als die Bierwelt noch in Ordnung war: Altes Wirtshausschild
Konsequenterweise Slow-Food-Mitglied ist Markus Keller. Denn diese aus Italien kommende Bewegung, welche die Genuss-Antwort auf das krank machende Fast Food ist, hat sich der Förderung von handwerklich hergestellten Produkten verschrieben – also genau das, was die Kellers so mustergültig machen.
Wer eintauchen will, in die Welt des echten Genusses, fährt vom 14. bis 17. April nach Stuttgart zur „Slow-Food-Messe“ – und staunt über die Vielfalt vitaler Kartoffelsorten, über echte Weine, herrlich duftendes Brot und großartige, längst vergessene Wurstsorten. www.slowfood-messe.de
Kultstatus hat die 24-Stunden-Wanderung rund um Lippertsreute, die Markus Keller dieses Jahr am 11. Juli zum dritten Mal veranstaltet. Beim ersten Mal war ich dabei – und es ist ein bleibendes Ereignis von abends 18 Uhr an rund 24 Stunden zu wandern, wobei alle paar Stunden ein Gasthaus zur Einkehr lädt, auch in der tiefen Nacht. Kein Extremlauf ist das, es machen ganz normale Leute mit, Handwerker, Bäcker, Bürgermeister. Dieses Jahr führt der Rundweg ins Hinterland, wobei besonders reizvoll das Naturschutzgebiet Aachtobel mit seiner seltenen alpinen Flora ist.
Bevor Sie sich jetzt den Kopf zerbrechen, ob Sie die rund 80 Kilometer schaffen: Die 60 Plätze sind für dieses Jahr längst ausgebucht.
Der Frühling lockt in Lippertsreute: Magnolienblüte
Mein Spezialtipp: Am Sonntag mittag zum Sonntagsbraten kommen, etwa die gefüllte Kalbsbrust. Unbedingt reservieren!
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
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