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Viele Menschen in Deutschland sind übergewichtig, teils sogar krankhaft – Diabetiker wie Nichtdiabetiker. Wir sagen, wieso das Abnehmen schwierig ist, wie es aber doch gut gelingen kann – und welche Besonderheiten dabei der Diabetes mit sich bringt.
Das Wort Diät trifft auf die bei Diabetes empfohlene Ernährung nicht mehr zu: Es gelten weitgehend die gleichen Empfehlungen, wie sie für Nichtdiabetiker gemacht werden; spezielle Diabetiker-Produkte gibt es deshalb heutzutage praktisch nicht mehr. Auch ist das Beachten einer bestimmten Zusammensetzung des Fett-, Kohlenhydrat- und Proteinanteils generell nicht notwendig, da es nicht so scheint, dass eine Kostform der anderen überlegen ist.
Also gilt bei den Ernährungsempfehlungen und der Zusammenstellung der Mahlzeiten, dass Sie, liebe Leser, heute auf die persönlichen Vorlieben Rücksicht nehmen sollten. Wichtig ist dabei, dass die Gesamtzahl der täglich aufgenommenen Kalorien nicht über dem täglichen Energieverbrauch liegt, denn sonst kommt es zur Gewichtszunahme und damit zu einer schlechteren Blutzuckereinstellung.
Bezüglich des Kohlenhydratgehalts ist die Zusammensetzung wesentlich: Es ist günstig, den Anteil an schnell resorbierbaren Kohlenhydraten zu reduzieren und eher auf langkettige Kohlenhydrate auszuweichen, also zum Beispiel mehr Vollkorn- anstatt Weißmehlprodukte zu verwenden. Auch ein Wechsel von Süßgetränken auf kalorienfreie Getränke ist empfehlenswert – da in Süßgetränken Kohlenhydrate in schnell verfügbarer Form vorliegen und diese kurzfristige Blutzuckerspitzen auslösen.
Die Aufnahme von Süßstoffen wie Stevia, Saccharin, Aspartam etc. wird momentan kontrovers diskutiert; ein moderater Einsatz kann helfen, Kohlenhydratmengen zu reduzieren – ob sich dies jedoch positiv auf das Körpergewicht auswirkt, ist umstritten. Es ist ein kritischer Umgang zu empfehlen, da für diese Produkte oftmals nicht genügend Untersuchungen zum Beweis ihrer Unbedenklichkeit vorliegen.
Beim Genuss von Fruchtsäften sollten diese mit Wasser verdünnt und die Menge reduziert werden, da in ihnen ein großer Anteil kurzkettiger Zuckermoleküle steckt, die schnell vom Körper aufgenommen werden: Der rapide Blutzuckeranstieg kann noch nicht einmal mit einer Insulintherapie adäquat abgefangen werden. Um die Zuckermenge zu reduzieren, ist der Konsum ungesüßter Fruchtsäfte zu empfehlen.
Besser ist allerdings die Aufnahme von Fruchtzucker in Form von Früchten anstatt von Säften und Smoothies: Hier sind die Fruchtfasern enthalten – die Resorption des Zuckers ist verzögert. Eine regelmäßige Einnahme von Vitaminpräparaten oder Omega-3-Fettsäuren (Fischölkapseln), ohne dass entsprechende Mangelzustände vorliegen, ist bei Patienten mit Diabetes nicht nötig und kann langfristig sogar mit Gesundheitsrisiken verbunden sein.
Über 75 Prozent der Menschen mit Diabetes haben gleichzeitig Übergewicht mit einem Body-Mass-Index (BMI) über 24,9 kg/m2 oder sogar deutliches Übergewicht mit einem BMI über 29,9 kg/m2. Durch eine moderate Gewichtsreduktion kann das Erreichen von Blutzuckerzielen, aber auch die Einstellung von Blutfetten (vor allem der Triglyzeride, weniger des Cholesterins) und Blutdruck verbessert werden und so zum Teil Medikamente ersetzen oder bereits eingesetzte Medikamente überflüssig machen. Eine Gewichtsreduktion lohnt sich also! Aber warum ist es so schwierig, diese zu erreichen – und vor allem, das Gewicht dann zu halten?
Zum besseren Verständnis der Regulation des Körpergewichts ist es hilfreich, das Thema aus der Perspektive der Natur zu betrachten: Ein stabiles oder gar leicht steigendes Körpergewicht war von jeher ein evolutionärer Vorteil für das Überleben und die Erhaltung der Art. Eine Gewichtsabnahme ist hingegen ein Zeichen für eine existenzielle Bedrohung. In einer solchen Phase wird der Organismus geschützt und über die Phase der Nahrungsmittelknappheit, in unserer heutigen Zeit zumeist eine Diät, hinweggebracht. Dies geschieht durch mannigfaltige Veränderungen im Körper.
So können der Energiehaushalt reduziert, die Hungerhormone gesteigert und die Darmflora dahingehend modifiziert werden, dass eine bessere Energieausschöpfung der zu sich genommenen Nahrung erfolgt. Im Anschluss an die Phase der Nahrungsknappheit wird entsprechend kompensiert, wenn wieder uneingeschränkter Zugang zu Nahrungsquellen möglich ist. Daher ist verständlich, dass durch die steigende und stetige Verfügbarkeit energiedichter Nahrungsmittel die Entwicklung der Adipositas eine fast unausweichliche Folge ist.
Da das Übergewicht im Wesentlichen aus einer positiven Energiebilanz entsteht, ist es nötig, ein Kaloriendefizit durch eine Ernährungsumstellung bzw. durch eine Kalorienreduktion zu erzielen. Bezüglich der Ernährungsumstellung wird das gewünschte Energiedefizit in der Regel durch eine Verringerung des Fett- und/oder Kohlenhydratanteils erreicht. Mit einer Reduktion von 500 Kilokalorien pro Tag ist eine Gewichtssenkung von mindestens 4 kg in einem Zeitraum von sechs Monaten erzielbar (die meisten werden deutlich mehr schaffen bei konsequenter Reduktion).
Dabei ist der Gewichtsverlust umso größer, je höher das Ausgangsgewicht und der vorherige Fettverzehr waren. Ob dabei mehr Kohlenhydrate, Fett oder Proteine reduziert werden, scheint im Hinblick auf die Gewichtsabnahme keine wesentliche Rolle zu spielen, da der Erfolg allein von der Reduktion des Kaloriengehaltes abhängt. Hier kann also jeder seine Vorlieben berücksichtigen. Das ist der entscheidende Punkt, denn die neue Ernährung sollte langfristig umgesetzt werden können. Dies kann nur gelingen, wenn nicht der Eindruck entsteht, auf etwas dauerhaft verzichten zu müssen.
Sollte die so erzielte Gewichtsreduktion nicht ausreichen, kann durch den Einsatz von Formuladiäten der Gewichtsverlust auf ca. 1 kg/Woche gesteigert werden. Diese Therapieformen sollten aber nur ärztlich kontrolliert erfolgen, zeitlich auf maximal 12 Wochen begrenzt und stets von einer Bewegungsmaßnahme begleitet sein, um den Verlust an fettfreier Körpermasse zu begrenzen. Grundsätzlich günstig ist die Teilnahme an entsprechenden Gruppenprogrammen, bei denen der Erfolg und die Durchhalteraten höher sind.
Wissenschaftlich überprüft ist z. B. das OPTIFAST52-Programm, das an verschiedenen Zentren angeboten wird, dessen Kosten meist komplett vom Teilnehmer selbst getragen werden müssen und nur gelegentlich von den Krankenkassen bezuschusst werden. Extrem einseitige Kostformen (wie totales Fasten oder Crash-Diäten) hingegen sind grundsätzlich abzulehnen, da sie unnötige und unabsehbare Risiken bergen und ein Nutzen nicht darstellbar ist.
Falls für die Diabeteseinstellung Insulin oder Sulfonylharnstoffe eingesetzt werden, sollte man das Vorhaben mit seiner Ärztin oder seinem Arzt absprechen. Meist ist die Dosis der Medikamente auf das vorherige Essverhalten und die zuvor eingenommene Kohlenhydratmenge ausgerichtet. Auch verbessert sich die Insulinwirkung, wenn das Gewicht reduziert wird. Es kann daher sinnvoll sein, die Therapie vor Beginn einer Ernährungsintervention zu überprüfen und ggf. anzupassen. Auch eine kurzfristige ärztliche Verlaufskontrolle ist zu empfehlen.
Ideal ist es, wenn zu Beginn der tägliche Energiebedarf ermittelt wird. Dies kann durch eine einfache Formel näherungsweise berechnet werden – solche Rechner gibt es im Internet, zum Beispiel von der Techniker Krankenkasse: http://bit.ly/2375wBm. Zum ermittelten Ruhebedarf kommt dann noch der bewegungsabhängige Verbrauch. Mit diesen Angaben hat man eine Vorstellung, was man sich leisten kann und was man wegsparen muss.
Vor einer Ernährungsumstellung gilt es, Lebensmittel und Lieblingsspeisen festzulegen, die auch in der umgestellten Ernährung vorkommen sollten. Je nach Energiegehalt muss ggf. die Häufigkeit des Verzehrs an das Gewichtsziel angepasst werden. Für die Ernährungsumstellung empfiehlt es sich, eine professionelle Ernährungsberatung zu Hilfe zu ziehen, die auch über die Krankenkassen oder Adipositaszentren angeboten wird. Ratsam sind meist 3 bis 4 Konsultationen.
Die Gewichtsziele sollten mit Bedacht gewählt werden; hierbei sind für die einen 4 kg, für die anderen 8 kg in sechs Monaten ein erreichbares und erhaltbares Ziel. Mit kurzfristigen extremen Maßnahmen sind vielleicht größere Reduktionen zu erzielen, diese können aber nur selten aufrechterhalten werden, wenn die Maßnahmen wieder gelockert werden.
Oftmals ist es ein guter Anfang, einfach die Portionsgröße zu reduzieren, das Nachschöpfen zu unterlassen und das Übriggebliebene von anderen Mitessern, meist Kindern, nicht selbst aufzuessen (denn hierdurch wird nicht der Hunger in der Welt bekämpft, sondern der Rettungsring am eigenen Körper gestärkt) – besser ist wegwerfen. Am besten ist es jedoch, vor dem Kochen die zuzubereitende Menge anzupassen und keine oft übliche Sicherheitsreserve, die die Familie vor dem Verhungern retten soll, mitzukochen… da diese zumeist auch gegessen wird.
Wenn es dann noch gelingt, das Naschen zwischendurch zu unterlassen und sich nur eine besondere, z. B. süße, Belohnung am Tag zu gönnen und diese bewusst zu genießen, sind wichtige Schritte getan – und ein moderater, aber aufrechterhaltbarer Gewichtsverlust kann in Angriff genommen werden. Man sollte sich aber immer im Klaren sein, dass es sich bei der Gewichtsreduktion um ein Spiel mit der Natur handelt, die seit Jahrmillionen daraufhin perfektioniert wurde, dass Organismen nicht zu leicht abnehmen und damit aussterben können.
von Prof. Dr. med. Gottfried Rudofsky
Ärztlicher Leiter Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung
Kantonsspital Olten, Basler Straße 150, CH-4600 Olten,
E-Mail: gottfried.rudofsky@spital.so.ch
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (4) Seite 22-25
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