Europäische Initiative zur Eindämmung von Typ-1-Diabetes

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© Cello Armstrong - Fotolia
Europäische Initiative zur Eindämmung von Typ-1-Diabetes

Die flächendeckende Einführung einer Risikobestimmung für Typ-1-Diabetes bei Neugeborenen ist das Ziel von GPPAD (Global Platform for the Prevention of Autoimmune Diabetes). Die europäische Initiative möchte im nächsten Schritt den ermittelten Risikopersonen eine antigen-basierte Therapie zur Verhinderung der Krankheit anbieten. Das Modell könnte auch zur Behandlung weiterer Kinderkrankheiten, insbesondere Autoimmunerkrankungen und Allergien dienen.

Der Fokus des diesjährigen Weltgesundheitstags liegt auf dem Thema Diabetes. Weltweit sind etwa 350 Millionen Menschen betroffen und die Zahl steigt stetig an. Doch gerade im Bereich Typ-1-Diabetes tut sich viel – auch und vor allem in Deutschland.

Mit einer langfristigen und umfassenden Vision startete das Projekt GPPAD im vergangenen Jahr seine groß angelegte Initiative: Insgesamt 1.160 Kinder im Alter zwischen vier und neun Monaten mit einem Erkrankungsrisiko für Typ-1-Diabetes von mindestens zehn Prozent sollen an einer randomisierten kontrollierten Studie zur Primärprävention teilnehmen können.

Um diese große Anzahl an geeigneten Teilnehmern zu gewinnen, sollen 400.000 bis 500.000 Säuglinge im Rahmen des Neugeborenen-Screenings der Geburtskliniken oder der U2, U3 oder U4-Untersuchung beim Kinderarzt auf Diabetesrisikogene getestet werden.

Noch 2016 Pilotstudie in Sachsen und Thüringen

Darüber hinaus soll eine Plattform für verschiedene Studien geschaffen werden, die neben den Screening-Zentren für Neugeborene auch ein Datenkoordinationszentrum, eine eigene Apotheke sowie ein Kommunikationszentrum umfassen soll. In Sachsen und Thüringen ist bereits in diesem Jahr eine Pilotstudie mit 5.000 Neugeborenen geplant, um die neu entwickelte Plattform auszutesten und die Durchführbarkeit eines großangelegten Diabetesrisikoscreenings zu prüfen.

Primärpräventions-Studie als Herzstück

Das Herzstück der europäischen Initiative GPPAD soll eine Primärpräventionsstudie mit oraler Insulintherapie bilden, auf der weitere Beobachtungsstudien und mechanistische Studien aufbauen werden. Diese sollen neue Einblicke in die Entstehungsmechanismen des Typ-1-Diabetes liefern und die Entwicklung weiterer Biomarker zur Erkennung von Risikopersonen vorantreiben. Die antigen-basierte Therapie wird auf den Erfolg versprechenden Ergebnissen der Pre-POINT Studie und den Ergebnissen der gerade gestarteten Nachfolgestudie Pre-POINTearly aufbauen.

Pre-POINT Studie wies den Weg

Bei Pre-POINT erhielten Kinder im Alter zwischen zwei und sieben Jahren über bis zu 18 Monate einmal täglich Insulinpulver mit der Nahrung. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass orales Insulin das Immunsystem stimuliert, ohne Hypoglykämien hervorzurufen“, so Prof. Ezio Bonifacio vom DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden und Exzellenzcluster an der TU Dresden, der die multizentrische Studie leitete.

„Wird Insulin über die Mundschleimhaut aufgenommen, wird es zersetzt, so dass es keinerlei Einfluss auf den Blutzuckerspiegel hat. Gleichzeitig bewirkte es offenbar eine Immunantwort, die sich positiv unterschied von derjenigen bei Kindern, die einen Typ-1-Diabetes entwickelten“.

Insulin gilt als Schlüsselantigen, das den Autoimmunprozess möglicherweise in Gang setzt, der letztlich zu einem Typ-1-Diabetes führen kann. Die Wissenschaftler hoffen, die Erkrankung verhindern zu können, sofern das Immunsystem durch die Therapie mit Insulinpulver eine Toleranz gegenüber dem Insulin entwickeln sollte.

Je früher desto besser?

Auf genau dem gleichen Prinzip fußt auch die Pre-POINTearly Studie, die nun schon Kinder im Alter zwischen neun Monaten und zwei Jahren mit oralem Insulin behandelt.

Die Direktorin des an der GPPAD maßgeblich beteiligten Instituts für Diabetesforschung, Prof. Dr. Anette-G. Ziegler, erläutert, warum sich dieses Lebensalter besonders für die präventive Insulintherapie eignet: „Hierfür gibt es zwei Gründe: Zum einen beginnt in diesem frühen Zeitfenster häufig der Autoimmunprozess(1). Wir erwarten die höchste Wirksamkeit präventiver Therapien, wenn dieser Prozess bei Beginn der Behandlung noch nicht eingesetzt hat. Zum anderen sind die natürlichen Mechanismen, die zum Aufbau einer Immuntoleranz gegen nützliche Mikroorganismen und Nahrungsbestandteile führen, im Säuglingsalter noch voll aktiv.“

Falls sich die Pre-POINTearly Studie als genauso sicher und wirkungsvoll erweisen sollte wie Pre-POINT – und davon gehen die Wissenschaftler aus – kann die von der GPPAD geplante Studie an den Start gehen.

(1) Hintergrundinfos zum Autoimmunprozess

Wird ein Kind geboren, muss das Immunsystem erst einmal trainiert werden, damit es zwischen fremden und körpereigenen Strukturen zu unterscheiden lernt. Das passiert zunächst im Thymus: Immunzellen, die spezifische Antigene erkennen und mit ihnen eine Bindung eingehen, werden durch Zelltod „aussortiert“. Dadurch wird im Normalfall verhindert, dass autoreaktive Immunzellen in den Körper gelangen. Das heißt: Es verlassen nur diejenigen Zellen den Thymus, welche nicht auf körpereigene Strukturen reagieren, dagegen jedoch fremde Strukturen wie Viren oder Bakterien erkennen.

Entwischt eine autoreaktive Immunzelle diesem natürlichen Selektionsprozess, greifen die regulatorischen T-Zellen als zweites Kontrollsystem ein. Diese Zellen verhindern überschießende Immunreaktionen, indem sie Immunzellen, und im speziellen Fall auch autoreaktive Immunzellen, in ihrer Aktivität unterdrücken. Regulatorische T-Zellen können unter anderem durch Kontakt mit Anti-genen gebildet werden, die über die Schleimhaut von Mund und Magen-Darmtrakt aufgenommen werden. Dadurch entsteht eine sogenannte „orale Toleranz“ gegenüber dem spezifischen Antigen.


Quelle: Pressemitteilung des Helmholtz Zentrums München (HZM)

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