Auf die Einstellung kommt es an

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Auf die Einstellung kommt es an

Jan Wezels Motto lautet: „Der Diabetes lebt mit mir“ anstatt „Ich lebe mit dem Diabetes“. Auf diesen Trichter kam er sehr schnell nach der Typ-1-Diabetes-Diagnose während seiner Abiturprüfungen. Lesen Sie hier, wie genau er dieses Motto lebt – zum Beispiel auf seiner Tour durch Korsika auf dem Fernwanderweg „GR20“.

Mit der Diagnose Diabetes während des Abiturs realisierte ich schnell, dass das Leben einen vor keine Wahl stellt, sondern vor eine Tatsache! Welche Einschränkungen hast du dadurch? Wie wird sich dein Leben verändern? Worauf musst du verzichten? Kurz nach meiner Diagnose machte ich mit meinem Vater eine 11-tägige Radtour von Stuttgart nach Venedig. Und dann folgte letzten Sommer meine Tour auf dem GR20-Fernwanderweg auf Korsika.

Die Idee zum GR20 kam bei einer 12-stündigen Umwanderung des Stuttgarter Talkessels (56 km): Zwei Freunde von mir und ich träumten vom „Grande Randonée Nr. 20“, einem der schwierigsten alpinen Fernwanderwege Europas, der Korsika auf einer ca. 180 km langen Nord-Süd-Achse mit 12.000 Höhenmetern durchkreuzt. Der Weg führt in durchschnittlich angegebenen 15 Tagen von Calenzzana durch das vielseitige und kontrastreiche Gebirge der „Insel der Schönheit“ bis nach Conca.

Fragen, die der Diabetes stellt …

Zusammen beschlossen wir drei, die Tour möglichst als zeltende Selbstversorger bewältigen zu wollen – wobei es durchaus auf der Strecke Refuges (einfache Berghütten) gibt, die teils bewirtschaftet sind und in denen man teils Grundnahrungsmittel kaufen kann.

Wichtig für Selbstversorgende ist, ausreichend kohlenhydratreiche Lebensmittel mitzunehmen – für Diabetiker aber zusätzlichen Unterzuckerproviant für 15 Tage einzuplanen. Doch wie viele Müsliriegel werde ich pro Tag benötigen? Welche Insulinstrategie versuche ich während der Tour zu verfolgen? Ich wollte Gewicht sparen –Bewegung und Sport führen zu höherer Insulinempfindlichkeit: Also entschloss ich mich, die erhöhte Empfindlichkeit zu kompensieren durch eine Insulinreduzierung – anstatt Mengen an Müsliriegeln, Traubenzuckern etc. mitzunehmen.

Soll ich eine Notfall-Glukagon-Spritze und Keton-­Messstreifen einpacken? Wie stelle ich sicher, dass ich mein Flash-Glukose-Messsystem (FGM) ggf. aufladen kann? Nehme ich vielleicht anstatt oder zusätzlich vieler Müsliriegel ein zuckerhaltiges Eisteepulver mit? Aufgrund der Insulinreduzierungsstrategie und des zu großen Packvolumens des Pulvers entschied ich mich, nur Riegel und Traubenzucker einzupacken.

Dann der Tourstart: Mit für mich reservierten 30 Müsliriegeln (2 Stück pro Tag) und ca. 30 Packungen Traubenzucker ging es los; meine morgendliche und abendliche Langzeiteinheiten reduzierte ich bereits präventiv tags zuvor. Wir machten uns also an den relativ konstanten Aufstieg über 1.300 Höhenmeter des ersten Tages; mein Blutzuckerspiegel sank immer wieder und musste durch kurz zuvor gekauftes Obst (als letztes frisches Überbleibsel) angehoben werden.

Ab der ersten Etappe spritzte ich zu jeder Mahlzeit nur noch 1/3 meines normalen Bolusfaktors – nach den ersten Tagen stellte sich schnell heraus, dass das immer noch zuviel Insulin war: So reduzierte ich die Bolusmenge weiter, wobei mein Müsliriegelbedarf weiterhin über den durchschnittlich kalkulierten zwei Riegeln pro Tag lag.

So wenig Insulin

Nach kurzem Überlegen schlug ich den (wohl nicht nur für mich) sehr komisch anfühlenden Weg ein – und entschied mich, ab sofort Insulin (Basal wie Bolus) nur wenig zu spritzen. Nach den sehr kohlenhydratreichen Mahlzeiten stieg der Blutzuckerspiegel zwar kurz auf 200 bis 230 mg/dl (11,1 bis 12,8 mmol/l) und stellte sich dann typischerweise über die nächsten beiden Stunden auf 100 bis 120 mg/dl (5,6 bis 6,7 mmol/l) ein.

Vor allem morgens sank der Blutzuckerspiegel schon ca. eine Stunde nach der Nahrungsaufnahme wieder unter 80 mg/dl (4,4 mmol/l), woraufhin ich präventiv direkt einen Müsliriegel aß. Durch diese andere Einstellung aß ich an manchen Tagen nur noch einen Müsliriegel/Traubenzucker.

Sehr hilfreich war dabei die Alarmfunktion des FGMs, da ich, auch wenn ich nicht an Kontrollen dachte, frühzeitig informiert wurde und auf eine anstehende Entgleisung reagieren konnte. Die konstante Überwachung und damit auch nächtliche Information über vor allem Unterzucker waren sehr hilfreich, da der Blutzuckerspiegel aufgrund der körperlichen Anstrengung über Nacht oftmals sank.

Nach 12 Tagesetappen und einem regenbedingten Pausentag kamen wir in Conca an. Auch noch einige Tage nach der Tour reagierte mein Körper sehr stark auf Insulin, weshalb ich langsam und kontrolliert die Bolusfaktoren auf das vorherige Niveau steigerte und auch wieder mit den Basalraten einsetzte. Wichtig: Die Art und Weise, wie ich die Reise durchführte, ist natürlich nicht die einzig mögliche – und Fragen wie „Benötige ich eine Glukagon-Spritze?“ etc. muss jeder für sich beantworten. Jedoch war ich mit meinem Gepäck in dieser Form sehr zufrieden.

Zu unserer Tour-Ernährung: Um eine hohe Kohlenhydratdichte zu erreichen, frühstückten wir Porridge mit Trockenfrüchten und Nüssen, mittags gab‘s Pumpernickel oder frisches Brot mit Aufstrich oder korsischem Käse und abends Spaghetti mit Pesto, Couscous mit Gemüse (rote Linsen) oder Kartoffelpüree mit Sojabohnen und brauner Soße. Eine abendliche Spaghetti-Portion mit einem Trockengewicht von 1 kg war für uns drei notwendig, um den Hunger zu stillen.

Noch eine kleine Geschichte…

…möchte ich schildern, die sich vor der Dusche bei der letzten GR20-Übernachtung ereignete: Ein ebenfalls wartender Mann sah meinen Sensor am Arm, drückte seinen Respekt aus, dass ich „trotz des Diabetes solch eine Unternehmung mache“. Natürlich erfüllte es mich in dem Moment mit einem gewissen Stolz – aber warum denn sollte sich ein Diabetiker einschränken und per se auf solche Unternehmungen verzichten?

Meiner Meinung nach kommt es neben der (Blutzucker-)Einstellung vor allem auf die mentale Einstellung an: Fragen Sie sich nicht, was Sie „nun“ mit der Ausgangssituation Diabetes unternehmen möchten. Fragen Sie sich besser ganz losgelöst, was Sie unternehmen möchten? Und danach, ob und wie dies mit Diabetes vereinbar ist; egal, ob Sie erst recht frisch mit dem Diabetes leben, oder ob die Diagnose schon vor vielen Jahren gestellt worden ist. Ich würde behaupten, dass das „Ob“ meistens mit „Ja“ beantwortet werden kann – und dass gute Freunde dabei auch eine gute Begleitung sind.


von Jan Wezel
E-Mail: JP.Wezel@online.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (3) Seite 38-40

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 6 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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