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Ein Platz auf der Couch, die warme Decke, das neue Buch, und draußen pfeift der Wind. Alles gut – bis Du merkst, dass Du zu spät zur Verabredung kommst und Dein Blutzucker hochschnellt …
Autorin Lena Schuster ist Psychologin. Seit 2014 hat sie Typ-1-Diabetes. Ihr Bruder hat seit der Kindheit ebenfalls Typ-1-Diabetes, deshalb ist ihr auch der Einfluss der Stoffwechselerkrankung auf die Familie gut bekannt. Im Diabetes-Journal bringt sie ihre persönlichen Erfahrungen und Eindrücke in der Kurzgeschichtenreihe „Der kleine Melli und ich“ ein. Kontakt über nuber@kirchheim-verlag.de |
Gemütlich strecke ich die Beine auf der Couch aus und kuschele mich in die mollig warme Decke. Draußen ist es kalt und es stürmt. Wie schön, dass ich mich zu Hause einmummeln kann. Aus der Stadtbücherei habe ich mir ein neues Buch von meiner Lieblingsautorin ausgeliehen. Es ist erst in diesem Monat erschienen und ich bin wohl die Erste, die es liest. Glücklich und gespannt klappe ich die erste Seite auf. Der Geruch von frisch bedrucktem Papier steigt mir in die Nase. Kurz mache ich die Augen zu und genieße den Augenblick. Wie ich diesen Geruch liebe!
So beginne ich zu lesen und versinke immer mehr in der Geschichte. Von ganz weit weg scheint Melli zu rufen: „Nina, wolltest du dich nicht heute abend mit deiner Freundin Anna treffen?“ Ohne aufzuschauen, murmele ich: „Mh, jaja. Aber ist noch Zeit.“ Und so tauche ich wieder ein in die Geschichte einer dramatischen und komplizierten Familienbeziehung.
Das Buch handelt von zwei Schwestern, die unzertrennlich sind, bis sie erkennen, dass sie sich in denselben Mann verliebt haben. Ab diesem Tag kippt ihre Beziehung. Neidisch und rachsüchtig blicken sie aufeinander. Es ist einfach so spannend geschrieben, so greifbar sind die Charaktere dargestellt. Dieser Roman ist ein wahres Meisterwerk der Autorin!
Autorin Lena Schuster: „Für mich ist der Diabetes vergleichbar mit dem kleinen Melli, den man oft zu gerne ignorieren möchte, doch das geht leider nicht. Denn ignoriert man den Diabetes, ist er wie ein schreiendes Kind, das einen nicht zur Ruhe kommen lässt. Kümmert man sich jedoch um den Diabetes, so macht einen das stark – und man erkennt, dass man bereit ist, auch andere Probleme des Lebens zu bewältigen.“
Ich reiße mich los von der Geschichte, und ein kurzer Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich mich in einer viertel Stunde fertig machen muss. Ein Lächeln huscht mir übers Gesicht. Heute Abend sehe ich endlich Anna wieder! Sie kommt gerade zurück aus ihrem Urlaub in Vietnam. Vier Wochen lang war sie dort mit ihrem Mann herumgereist. Ich bin einfach so gespannt, was sie erzählt; so eine Reise möchte ich auch unbedingt mal machen!
So widme ich mich wieder dem Buch und lasse mich weiter von der Geschichte fesseln. Minute um Minute vergeht. Plötzlich steht Melli neben mir: „Nina, warum liest du noch? Du müsstest doch längst auf dem Weg in die Stadt sein.“ Ich antworte: „Ach Quatsch, ich habe alles im Griff.“ Doch als ich auf die Uhr schaue, merke ich, dass Melli recht hat. Es ist 10 vor 8, und ich bin um 8 mit Anna verabredet.
„Nein, das kann doch nicht wahr sein“, fluche ich und springe von der Couch. Hastig renne ich durch die Wohnung. So schnell, wie ich kann, ziehe ich mir eine Jeans an und tausche den gemütlichen Pulli gegen meine Lieblingsbluse. Mittlerweile ist es 5 vor 8. Oje, ich komme zu spät! Ich muss Anna anrufen und Bescheid geben. Wo ist denn bloß mein Handy? Wie von der Tarantel gestochen stürme ich durch die Wohnung. In der Küche? Dort ist das Handy nicht. Im Wohnzimmer auf der Couch? Dort auch nicht. Wo ist es denn bloß?
Als ich durch den Flur hetze, werfe ich beiläufig einen Blick in meine Tasche, die ich dort schon bereitgestellt habe. Da ist mein Handy. Bin ich froh, dass ich es endlich gefunden habe! Mittlerweile ist es 8 Uhr. Eilig wähle ich Annas Nummer und bitte um Entschuldigung, dass ich zu spät kommen werde. Anna sagt, dass sie sogar schon seit einer viertel Stunde da ist, denn entgegen den Staunachrichten kam sie auf der Autobahn gut durch. Na toll! Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen!
Schnell werfe ich noch mein Portemonnaie in meine Tasche, schnappe mir meinen Mantel und einen Wollschal und will aus der Wohnung stürmen. Da versperrt mir plötzlich Melli den Weg. „Was soll das, Melli? Ich habe es eilig, ich muss los“, fahre ich ihn gereizt an. Er antwortet: „Ja, Nina, das weiß ich. Aber du musst dich spritzen, du hast einen hohen Wert.“ Wut will in mir hochsteigen. Doch leider weiß ich, dass protestieren nichts hilft, ich muss mich jetzt um den Diabetes kümmern. Also atme ich einmal tief ein und aus und spritze mich.
Dass Stress den Blutzuckerspiegel steigen lässt, ist bekannt. So bemerkt Nina, dass sie sich beeilen muss, gerät in Stress, und ihr Blutzuckerwert erhöht sich. Doch das Problem ist: Haben wir nicht alle Stress? Auch wenn es schwerfällt: Ein gelassenerer Umgang mit Stress im Alltag wäre wünschenswert. Dies erkennt Nina, atmet tief durch und beruhigt sich. Und sind wir doch mal ehrlich: Machen wir nicht oft genug uns selbst Stress, der womöglich unnötig ist?
von Lena Schuster
Redaktion Diabetes-Journal, Kirchheim-Verlag,
Wilhelm-Theodor-Römheld-Straße 14, 55130 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (1) Seite 42-43
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