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Was, wenn Du Dich in Deinem Leben mit Diabetes so abmühst – und die Werte hin und wieder einfach chaotisch sind? Nichts, dann ist es einfach so.
Kaum habe ich mich an meinen Arbeitsplatz gesetzt, da kommt mein Chef zielstrebig auf mich zu. „Kommen Sie doch bitte kurz mit in mein Büro.“ Völlig überrollt starre ich ihn erst ein paar Sekunden an, bevor ich aufstehe und ihm nachlaufe. Mein Puls geht durch die Decke. Mein Chef hat mich noch nie morgens abgefangen und um ein Gespräch in seinem Büro gebeten. Was will er denn bloß von mir? Was passiert hier gerade? Meine Hände fangen an zu zittern. „Setzen Sie sich doch kurz hin.“ Ich bin so nervös, dass mir nicht aufgefallen ist, dass ich im Türrahmen stehen geblieben bin.
Während ich mich hinsetze, beginnt er schon zu sprechen: „Sie haben die letzten Jahre wirklich tolle Arbeit geleistet und viele gute Projekte ins Leben gerufen.“ Irritiert murmele ich ein leises Dankeschön. Gespannt warte ich darauf, dass der nächste Satz mit „aber“ beginnt. Er setzt fort: „In einer anderen Niederlassung ist eine Stelle frei geworden. Sie hätten mehr Verantwortung durch größere Projekte und natürlich auch ein höheres Gehalt.“
Ich bin so durcheinander, dass ich nicht antworte. Mein Chef redet weiter: „Wenn Sie möchten, dann können Sie den Job haben. Ich habe mich mit dem Chef der anderen Niederlassung unterhalten und er hat großes Interesse an Ihnen und würde Sie gerne einstellen.“
Autorin Lena Schuster ist Psychologin. Seit 2014 hat sie Typ-1-Diabetes. Ihr Bruder hat seit der Kindheit ebenfalls Typ-1-Diabetes, deshalb ist ihr auch der Einfluss der Stoffwechselerkrankung auf die Familie gut bekannt. Im Diabetes-Journal bringt sie ihre persönlichen Erfahrungen und Eindrücke in der Kurzgeschichtenreihe „Der kleine Melli und ich“ ein. Kontakt über nuber@kirchheim-verlag.de |
Kurz darauf gehe ich zurück an meinen Platz und starre erst einmal vor mich hin. Es dauert eine Weile, bis ich realisiere, dass das eine sehr gute Nachricht war. Ich habe tatsächlich die Chance, größere Projekte mitzugestalten! Und ich bekomme mehr Gehalt! Ich kann es kaum fassen. Nach ein paar Minuten werde ich plötzlich richtig aktiv und schreibe all meinen Freunden, was sich gerade ereignet hat. Nach wenigen Augenblicken trudeln auch schon die ersten Glückwünsche ein: „Das müssen wir unbedingt feiern“, schreibt Anna, während Carla direkt vorschlägt, abends Sushi essen zu gehen.
So treffen wir uns abends in jener Sushi-Bar, die meines Erachtens das beste Sushi der Stadt hat. Dort ist es etwas teurer als in den anderen Restaurants, aber zu besonderen Anlässen gönnen wir uns das. „Ich bin wirklich sehr stolz auf dich“, sagt Carla. Anna fügt hinzu: „Du hast dich die letzten Jahre aber auch sehr ins Zeug gelegt. Das hast du wirklich verdient.“
Gerührt von den lieben Worten meiner zwei besten Freundinnen lächele ich die zwei einfach an. Nachdem wir unsere Bestellung aufgegeben haben, dauert es nicht lange und das Essen wird schon serviert. Ich will direkt loslegen mit dem Essen, da hält mich Melli zurück: „Nina, du musst dich erst mal spritzen. Du weißt, dass Sushi durch den Reis viele Kohlenhydrate hat.“ Kurz genervt, lenke ich schließlich ein.
Wir verbringen einen schönen Abend zusammen und reden und lachen ohne Ende. Ich mag Anna und Carla echt richtig gern. Wir haben den gleichen Humor und können über alles sprechen. Zum Schluss bezahlen wir und machen uns auf den Heimweg. Anna verabschiedet sich kurz danach, weil sie in eine andere Richtung muss. Carla und ich schlendern heim und genießen die milden nächtlichen Temperaturen.
Plötzlich zieht mich Melli am Arm. „Du bist total überzuckert. Du musst dich sofort spritzen.“ Erstaunt blicke ich Melli an. „Ich habe gar nichts bemerkt. Bist du dir sicher?“ Ein kurzer Blick auf das Messgerät bestätigt Mellis Aussage. Entgeistert sage ich: „Mein Wert schießt ja gerade durch die Decke! Wie soll ich das denn jetzt so kurz vor dem Schlafengehen korrigieren?“ Schnell schleicht sich ein schlechtes Gewissen ein.
Autorin Lena Schuster: „Für mich ist der Diabetes vergleichbar mit dem kleinen Melli, den man oft zu gerne ignorieren möchte, doch das geht leider nicht. Denn ignoriert man den Diabetes, ist er wie ein schreiendes Kind, das einen nicht zur Ruhe kommen lässt. Kümmert man sich jedoch um den Diabetes, so macht einen das stark – und man erkennt, dass man bereit ist, auch andere Probleme des Lebens zu bewältigen.“
Mit hängenden Schultern fasse ich meine Gedanken in Worte: „Ich hätte kein Sushi essen sollen. Dann hätte ich den Schlamassel jetzt nicht.“ Da dreht sich Carla zu mir um und sagt in ernstem Ton: „Nina, du gehst total verantwortlich mit dem Diabetes um. Ich bewundere dich da wirklich sehr. Du ernährst dich gesund, du machst Sport und hast im Allgemeinen gute Werte. Du darfst auch hin und wieder chaotische Werte haben.“ Nach einem Augenblick fügt sie noch hinzu: „Das ist das Leben. Genieße es und sei nicht immer so streng mit dir.“
Es ist manchmal schwierig, für sich das richtige Mittelmaß zu finden zwischen vernünftig zu sein und sich etwas zu gönnen. Auch Nina hat Probleme damit. Sie hat einen schönen Abend mit ihren Freundinnen verbracht und auf ihre neue Stelle angestoßen. Als sie dann jedoch überzuckert, macht sie sich Vorwürfe. Jeder muss für sich selbst die Entscheidung treffen, wie dieses Mittelmaß aussieht. Ich habe für mich festgestellt, dass es wichtig ist, das Leben zu genießen und nicht nur dem Diabetes im Leben einen Raum zu geben.
von Lena Schuster
Redaktion Diabetes-Journal, Kirchheim-Verlag,
Wilhelm-Theodor-Römheld-Straße 14, 55130 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (8) Seite 40-41
5 Minuten
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