Der kleine Melli und ich: sich Grenzen eingestehen

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© Alena Kozlova - AdobeStock
Der kleine Melli und ich: sich Grenzen eingestehen

Es gibt Lebensphasen, da kann man sich seine schwankenden Blutzuckerwerte einfach nicht erklären – auch wenn man seinen Körper gut kennt. Wichtig ist dann, zu erkennen, dass man Hilfe benötigt.

Autorin Lena Schuster ist Psychologin. Seit 2014 hat sie Typ-1-Diabetes. Ihr Bruder hat seit der Kindheit ebenfalls Typ-1-Diabetes, deshalb ist ihr auch der Einfluss der Stoffwechselerkrankung auf die Familie gut bekannt.

Im Diabetes-Journal bringt sie ihre persönlichen Erfahrungen und Eindrücke in der Kurzgeschichtenreihe „Der kleine Melli und ich“ ein.

Kontakt über nuber@kirchheim-verlag.de

Es gibt Lebensphasen, da kann man sich seine schwankenden Blutzuckerwerte einfach nicht erklären – auch wenn man seinen Körper gut kennt. Wichtig ist dann, zu erkennen, dass man Hilfe benötigt.

Frühling, die Sonne scheint. Melli und ich sind mit den Rädern in den Park gefahren. Es ist ein schöner Tag, fast sommerlich warm. Um uns herum toben Kinder, Hunde rennen über die Wiese, und überall sieht man verliebte Pärchen, die nur Augen für sich haben.

Die Diabetes-Kurzgeschichtenreihe „Der kleine Melli und ich“ – der Hintergrund


Melli ist ein kleiner Junge, der mit Nina, einer erwachsenen Frau, zusammenlebt. Die beiden Protagonisten der Diabetes-Kurzgeschichtenreihe geraten im Alltag immer wieder in Konflikt: beim Essen, beim Sport etc.

Autorin Lena Schuster: „Für mich ist der Diabetes vergleichbar mit dem kleinen Melli, den man oft zu gerne ignorieren möchte, doch das geht leider nicht. Denn ignoriert man den Diabetes, ist er wie ein schreiendes Kind, das einen nicht zur Ruhe kommen lässt. Kümmert man sich jedoch um den Diabetes, so macht einen das stark – und man erkennt, dass man bereit ist, auch andere Probleme des Lebens zu bewältigen.“

Melli breitet unsere Picknickdecke aus, sieht mich an und sagt: „Nina, lass uns doch direkt Badminton spielen und danach was essen. Was hältst du davon?“ Ich antworte mit einem Nicken und schon haben wir die Schläger ausgepackt und losgelegt. Keine zwei Minuten später fangen meine Hände an zu zittern, und mir wird schummrig vor Augen. Melli bemerkt das sofort und hört auf zu spielen. Undeutlich murmele ich: „Lass uns mal eine Pause machen, ich muss kurz was essen.“

Gedankenverloren laufe ich zur Picknickdecke. Jetzt bin ich schon wieder unterzuckert und das schon das zweite Mal innerhalb der letzten Stunden. Was ist nur los mit mir? Das ist nicht nur heute, sondern bereits seit Tagen der Fall. Wieso habe ich ständig mit Unterzuckerungen zu kämpfen? Woran liegt das bloß? Nina legt sich auf die Decke und grübelt über ihre Situation. Doch sie kann sich die vielen Unterzuckerungen nicht erklären. Sie findet einfach keine Lösung.

Irgendwas stimmt nicht mit mir

Als der Traubenzucker nach ein paar Minuten Wirkung zeigt, schlendert Nina zu Melli und sagt: „Irgendwas stimmt mit meinem Körper nicht, aber ich habe keine Ahnung, wieso ich in den letzten Tagen anders auf das Insulin reagiere. Lass uns einfach weiterspielen, das löse ich auf die Schnelle nicht.“

So spielen Nina und Melli weiter Badminton. Zu Beginn fällt es Nina schwer, ihre Gedanken auszuschalten, doch mit jedem Schlag kann sie immer mehr ihre Probleme mit dem Diabetes vergessen. Es ist ein spannendes Match zwischen Nina und Melli: Mal macht er einen Punkt und liegt vorn, dann wiederum holt Nina auf, sodass es aussieht, als ob sie gewinnt. Es geht um jeden Punkt. Schließlich ist Matchball, Nina hat Aufschlag. „Melli, das packst du nicht, du gewinnst nicht gegen mich“, sagt Nina siegessicher.

Melli erwidert: „Das werden wir ja sehen. Du bist zwar größer, dafür bin ich schneller.“ Schließlich holt Nina zum Schlag aus, trifft den Ball genau richtig und platziert ihn in das linke Eck des Spielfeldes. Der Ball ist schwer zu erreichen und es hat den Anschein, als ob Melli nicht mehr an ihn herankommt, doch mit großer Mühe schafft er es in letzter Sekunde, ihn zurückzuspielen. Nina ist erstaunt, da sie schon den Sieg vor Augen hatte. Dann sprintet sie mit letzten Kräften los in Richtung Ball. Doch auf dem Weg dorthin kommt sie ins Schwanken und stürzt.

Eine schwere Unterzuckerung

Einen kurzen Moment ist Melli vor Schock erstarrt, doch dann rennt er los zu Nina und ruft währenddessen: „Nina? Nina, ist alles okay mit dir?“ Ein paar Sekunden hört man keinen Ton von ihr. Inzwischen ist Melli bei ihr angekommen. Nina nuschelt: „Mir ist schlecht. Ich habe so ein komisches Gefühl in der Magengegend. Und mir ist schwindelig.“ Darauf entgegnet Melli: „Das kann eine starke Unterzuckerung sein. Warte hier, beweg dich nicht, während ich das Blutzuckermessgerät hole.“

Kurze Zeit später steht fest, dass Nina eine starke Unterzuckerung hatte, die sie erst spät bemerkte. Nach ein paar Minuten entfacht der Zucker seine Wirkung. So langsam kommt Nina wieder zu Kräften und kann klar denken. Sie dreht sich zu Melli und spricht aus, was ihr durch den Kopf geht: „Ich weiß nicht, wieso ich ständig Unterzuckerungen habe. Aber eins weiß ich, so kann ich nicht mehr weitermachen. Gleich morgen gehe ich zum Arzt und lasse mich untersuchen.“


Kommentar der Autorin: Wenn man Hilfe braucht …

Es gibt viele Faktoren, die den Blutzuckerverlauf beeinflussen können. Deshalb ist es nicht immer leicht herauszufinden, weshalb die Blutzuckerwerte eine Zeit lang niedriger oder höher sind als sonst. Das mag an einem größeren Sportpensum liegen, an hormonellen Veränderungen oder andere Gründe haben.

So ergeht es auch Nina, die sich ihre ständigen Unterzuckerungen nicht erklären kann. Es ist wichtig, die eigenen Verhaltensweisen und den Körper zu beobachten. Darüber hinaus ist es jedoch von Bedeutung, sich seine Grenzen einzugestehen und zu erkennen, wenn man Hilfe braucht. Nur dann wird man sich auch Hilfe suchen und diese annehmen.


von Lena Schuster
Redaktion Diabetes-Journal, Kirchheim-Verlag,
Wilhelm-Theodor-Römheld-Straße 14, 55130 Mainz,
Tel.: (0 61 31) 9 60 70 0, Fax: (0 61 31) 9 60 70 90,
E-Mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (3) Seite 42-43

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