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“Honigsüßer Typ No. 1” – so nennt Andrea Mühlen ihren Diabetes. Welche Herausforderungen die Diagnose Typ-1-Diabetes mit sich bringt und wie es sich anfühlt, plötzlich rund um die Uhr mit einem solchen Begleiter leben zu müssen, beschreibt sie authentisch und unterhaltsam in ihrer Autobiografie. Das Diabetes-Journal hat mit der Autorin über ihr Buch gesprochen.
Andrea Mühlen: Ja, sehr gerne. Ich habe seit 40 Jahren Typ-1-Diabetes, bin Mutter und Ehefrau und arbeite als Lehrerin an einer Grundschule.
Mühlen: In der Entstehungsphase des Buchs traf ich mich mit meiner Schwägerin, um Sie zu bitten, eine Karikatur oder einen Cartoon von mir und meinem Mann zu entwerfen – was sie leidenschaftlich als Hobby betreibt. Im Gespräch kam uns der Gedanke, den Diabetes ebenfalls als Figur darzustellen. Schließlich spielt er ja auch eine Hauptrolle in meinem Buch. In diesem Zusammenhang entstand die Idee der Darstellung als Tropfen. Symbolisch für den Blutstropfen, für den Urintropfen und für den Insulintropfen. Als diese Figur dann auch noch einen Körper und Arme bekam, war für mich relativ schnell klar: Das ist mein “Typ No. 1”. Irgendwie fehlte mir dann aber noch ein Adjektiv. Nahe lag “honigsüß” , abgeleitet von der medizinischen Fachbezeichnung des Diabetes mellitus – und schon war der “Honigsüße Typ No. 1” entstanden.
Mühlen: Sie erwartet eine ganz persönliche, offene Lebensgeschichte von mir – 40 Jahre Diabetes mit dazugehörigen Höhen und Tiefen. Angefangen von der Urinkontrolle und einem strikten Diätplan über die intensivierte Therapie bis zum CGM-System und zur Pumpentherapie. Darüber hinaus beschreibe ich verschiedene Stationen meines Lebens wie meine Partnerschaft, meine Schwangerschaften, das Leben mit Kindern, mein Berufsleben, meine Hobbys und auch meine Erfahrungen auf Reisen oder bei Krankenhausaufenthalten. Abgerundet wird das Ganze durch fachkundige Kommentare meines Mannes, der an wichtigen Stellen Problematiken aufgreift und Zusammenhänge für Leser und Leserinnen erklärt. Hinzu kommen noch Cartoons der beteiligten Figuren, Fotos sowie Berichte von Wegbegleitern und Wegbegleiterinnen
Mühlen: Ich habe sehr lange mit meinem Diabetes im Verborgenen gelebt. Ich wollte nicht auffallen und nichts Besonderes sein. Irgendwann habe ich mir die Frage gestellt, ob es nicht besser für mich wäre, darüber zu sprechen. Ich habe begonnen, mich mehr zu öffnen. Auch meine Pumpe und mein CGM habe ich offener getragen und nicht mehr versucht, sie zu verstecken. Die Gespräche und die neue Offenheit haben mir gutgetan. Ich bemerkte, dass ich viel über mich selbst und den Diabetes dazulernen konnte. Diese Erfahrung war meine größte Motivation für das Buch.
Mühlen: Eine sehr große. Am Anfang kam die Idee von mir. Als ich mit ihm darüber sprach, war er sofort begeistert. Wir hatten beide schnell das Gefühl, dass eine Kombination von Alltagsgeschichten und verständlich formulierten Fachinformationen für Leser ansprechend sein könnte.
Mühlen: Ich war 13 Jahre alt und mit meinen Eltern im Osterurlaub, als meine Mutter zum ersten Mal sagte: “Bei der Blutabnahme vor den Ferien war der Blutzuckerwert nicht so gut. Wir müssen da noch mal hin zur Kontrolle. Es könnte sein, dass du Diabetes hast.” Eine Woche später stand die Diagnose Diabetes fest.
Mühlen: Die Diagnose Diabetes haut einen erst mal um, es bricht eine Welt zusammen. Man stellt sich tausend Fragen, wie das Leben wohl weitergehen wird. Wir hatten das Glück, im Diabetesforschungsinstitut in Düsseldorf auf kompetente Personen zu treffen, die meine Eltern und mich genau dort abholten, wo wir standen: bei unserer Hilflosigkeit. Ich konnte noch ein Jahr mit strikter Diät überbrücken, die Blutzuckerwerte im Griff halten. Danach benötigte ich Insulin und spritzte jeweils morgens und abends und den Rest des Tages lebte ich strikt nach einem Diätplan. Es folgten dann die zum jeweiligen Zeitpunkt üblichen Therapieprogramme bis zum aktuellen CGM-System. Davon abgesehen, habe ich ein normales und glückliches Leben geführt. Halt immer ein bisschen komplizierter und organisierter, aber es ging.
Mühlen: Für meine Eltern schien die Diagnose tatsächlich schlimmer zu sein als für mich. Ich war mitten in der Pubertät und bin dadurch unheimlich schnell erwachsen geworden. Ich merkte, ich muss das alleine in den Griff bekommen. Ich konnte als Jugendliche jede Aktivität, jeden Sport, jede schulische Klassenfahrt mitmachen. Meine Eltern vertrauten mir und das war sehr hilfreich. Meine Freunde wussten zwar, dass ich Diabetes habe, mehr jedoch nicht. Heute sieht es mit den Freunden anders aus. Da ich offener bin, komme ich viel ins Gespräch mit ihnen. Mein Mann hat mich als Mensch mit Diabetes kennengelernt und sich bewusst für mich entschieden. Es hat ihn nicht abgeschreckt. Meine beiden Söhne, die auch im Buch zu Wort kommen, haben gelernt, mit ihrer Mutter und dem Diabetes zu leben, und das war nicht immer schön. Sie haben mich auch in Situationen erlebt, die ich ihnen gerne erspart hätte.
Mühlen: Mein honigsüßer Typ No. 1 ist immer da. Und er lächelt mich in seiner klebrigen Art, wie ich das jetzt gerne nenne, immer von vorne an und rammt mir dann in den unmöglichsten Momenten ein Messer in die Rippen. Das heißt, wir können gut miteinander leben, aber er stört auch immer wieder mal. Ich denke, jeder Mensch mit Diabetes kennt dieses Gefühl. Heute kann ich ruhiger bleiben und manchmal auch darüber schmunzeln, wenn er stört und mich ärgert. Ich bin glücklich mit meinem Leben – so, wie es jetzt ist. Mein honigsüßer Typ No. 1 gehört dazu.
Mühlen: Mein Ratschlag ist: Hört auf euer Herz, sprecht über das, was euch beschäftigt. Sind keine Ansprechpartner im persönlichen Umfeld verfügbar, können Diabetesteams und Selbsthilfegruppen eine Anlaufstelle sein. Darüber hinaus gibt es auch Social-Media-Plattformen zum Erfahrungsaustausch. Ich habe inzwischen gemerkt, dass es mir hilft, wenn ich das Gefühl habe, nicht allein zu sein mit meinen Herausforderungen.
Mühlen: Ich hoffe, dass mehr Menschen, die auch an Diabetes erkrankt sind, offener mit ihrer Geschichte umgehen, dass sie über ihren Diabetes ins Gespräch kommen und feststellen, dass es anderen Menschen ähnlich geht. Ich möchte zeigen, dass man nicht allein mit seiner Erkrankung ist, und Mut machen, aus dem Verborgenen herauszutreten. Zudem greift das Buch viele Aspekte für Menschen mit Typ-F-Diabetes auf – also Familie oder Freunde. Sie erfahren hier, wie ein Leben mit Diabetes funktionieren kann, und es soll helfen zu verstehen, wieso Menschen mit Diabetes manchmal so ticken, wie sie ticken. Die Kombination aus Erfahrungsbericht eines Menschen mit Diabetes und Alltagssituationen, ergänzt mit medizinischen Erklärungen, kann darüber hinaus auch eine gute Informationsbasis für Diabetesteams sein.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2023; 72 (5) Seite 10-11
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