Vorurteile überwinden: Aufklären über Typ-2-Diabetes

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© Christian Duda – MedTriX Group
Vorurteile überwinden: Aufklären über Typ-2-Diabetes

Caro ist eine junge Frau, die mit Typ-2-Diabetes lebt. Immer wieder reagieren Menschen ungläubig auf diese Tatsache: „Typ-2-Diabetes? So was kriegen doch nur alte Menschen!“ Auch Schuldzuweisungen gehören zum Alltag. Ihren Blog und Instagram-Kanal nutzt sie, um über Diabetes Typ 2 aufzuklären. Wie es ihrer Meinung nach gelingen kann, negative Bewertungen aufgrund des Diabetes zu überwinden, erzählt sie im Interview.

Im Interview: Caros Reise mit Typ-2-Diabetes

Wer mehr über Caro erfahren möchte, kann ihren Weg auf ihrem Blog und ihrem Instagram-Kanal begleiten. Hier liest man mehr zu Stereotypen, Schuld und Scham, aber auch zu anderen Aspekten des täglichen Lebens mit Diabetes, wie z. B. Vorsorge-Untersuchungen, Stress-Management, Urlaub und Beziehungen.

Diabetes-Journal (DJ): Du setzt dich für Aufklärung beim Thema Diabetes ein und kämpfst gegen Stigmatisierung. Weshalb ist dir das Thema wichtig?

Caro: Mir wurde mit 27 Jahren Typ-2-Diabetes diagnostiziert. Viele in der Gesellschaft denken, dass nur ältere Menschen Typ-2-Diabetes bekommen. Allein, dass ich dieses Alters-Stereotyp nicht erfülle, irritiert viele. Gleichzeitig bringe ich ein paar Kilos mehr auf die Waage, als die Norm vorgibt. Das wiederum passt vielen gut in das Bild, was sie vom Diabetes Typ 2 haben: Sie hat zu viel Süßes gegessen, sie ernährt sich schlecht, und sie macht keinen Sport. Ich erlebe immer wieder, dass mich andere Menschen ungefragt bewerten und mich verurteilen.

Stigmatisierende Kommentare sind immer verletzend. Deswegen möchte ich helfen, über Diabetes aufzuklären. Auch wenn über 8 Millionen in Deutschland mit Diabetes leben, wissen die wenigsten Menschen bis zu ihrer Diagnose etwas über die Erkrankung. Diese Unwissenheit über den Diabetes führt dazu, dass Betroffene immer wieder verletzt werden.

DJ: Welche Vorstellungen vom Typ-2-Diabetes herrschen in der Gesellschaft?

Caro: Menschen mit Diabetes werden allein anhand ihres Aussehens in Schubladen gesteckt, vor allem im Vergleich mit Menschen mit Typ-1-Diabetes. In der Vorstellung vieler sind sie jung, schlank und sportlich. Bei Typ-2-Diabetes ist das Stereotyp schlechthin eine ältere, übergewichtige Person, die den ganzen Tag auf der Couch sitzt und Fast Food in sich hineinstopft. Typ-1-Diabetes gilt als der „schwere“ Diabetes, bei dem man jeden Tag um sein Leben kämpft, Typ-2-Diabetes hingegen als eine Folge schlechter Lebensgewohnheiten, die man hätte verhindern können.

DJ: In welchen Situationen erlebst du negative Bewertungen aufgrund deines Typ-2-Diabetes?

Caro: Leider häufig in Situationen, in denen ich medizinische Hilfe benötige. Beim Arzt spricht man natürlich ausführlich über Vorerkrankungen. Ich habe schon erlebt, dass Mediziner mir nicht glauben wollten, dass ich einen Typ-2-Diabetes habe. Aber auch aus dem privaten Umfeld kommt regelmäßig diese Nachfrage. Viele wissen nicht, dass Typ-2-Diabetes immer häufiger auch junge Menschen betrifft. Die Unwissenheit kommt meist daher, dass die Menschen keine Berührungspunkte mit dem Diabetes haben und viele einfach unüberlegt wiedergeben, was sie irgendwo mal aufgeschnappt haben.

DJ: Welche Rolle spielt Schuld beim Typ-2-Diabetes?

Caro: Bei der Diagnose dachte auch ich, dass Diabetes nur Ältere betrifft. Dementsprechend habe ich mich gefragt, was ich falsch gemacht habe, und wie es so weit kommen konnte, dass ich mit 27 Jahren so eine Krankheit bekomme. Ich habe mir viele Vorwürfe gemacht und mit mir gerungen, weil ich nicht wusste, wie komplex die Ursachen für den Typ-2-Diabetes wirklich sind.

Beim Diabetes Typ 2 wird einem oft von Außen durch die Blume vermittelt, dass man an der Erkrankung selbst schuld sei. Beispielsweise durch Blicke, die einen von oben nach unten mustern und auf die der Hinweis folgt, dass man mit Ernährung und Sport ja viel machen könne. Beides sind wichtige Bestandteile des Diabetes-Managements, aber es fließen so viel mehr Faktoren ein, die man selbst nicht immer gut beeinflussen kann, zum Beispiel Stress, Hormone oder Schlaf. Trotzdem wird einem suggeriert, dass man immer noch mehr schaffen kann, wenn man nur wirklich will.

Und im Umkehrschluss: Wenn es mal nicht gut läuft, will man bloß nicht genug. Was weiß man schon darüber, wie viel Kraft und Mühe eine Person in ihr Diabetes-Management steckt? Gerade in Social Media sehen wir immer nur Momentaufnahmen.

DJ: Wieso gibt es in der Community so wenige Typ-2-Stimmen, die sich öffentlich äußern?

Caro: Typ-2-Diabetes hat einen schlechten Ruf in der Gesellschaft. Viele schämen sich für die Diagnose, weil sie mit so vielen Stigmata in Bezug auf Gewicht, Ernährung und Lebensstil verbunden ist. Typ-2-Diabetes ist kein Thema, mit dem man sich gerne schmückt. Es fehlen auch positive, öffentliche Identifikationsfiguren. Obwohl so viele Menschen mit Typ-2-Diabetes leben, ist die Community noch sehr klein. Da können wir uns vom Zusammenhalt der Typ-1-Community noch einiges abschauen und wachsen, damit wir am Ende des Tages auch alle zu unserem Typ-2-Diabetes stehen können.

DJ: Was wünschst du dir von Menschen, die keinen Diabetes haben oder nicht mit chronischen Erkrankungen leben?

Caro: Ich weiß, dass die Menschen einem eigentlich nichts Böses wollen und glaube, es wäre der falsche Weg, nur den Einzelnen zur Verantwortung zu ziehen. Es braucht viel mehr Aufklärung, Bildung und mehr Präsenz des Diabetes in der Öffentlichkeit. Nur wenn das gegeben ist, können Menschen lernen, wie ein dem Kontext angemessener und respektvoller Umgang aussieht. Es gibt andere chronische Erkrankungen, bei denen viele bereits wissen, dass der Umgang und die Gespräche mit den Betroffenen eine besondere Sensibilität erfordern. Da haben sich Dos und Don‘ts etabliert, eine Art Knigge.

Die größte Herausforderung bleibt es, die Aufklärungsarbeit aus der Blase, in der sie bisher stattfindet, herauszubekommen und in die große Öffentlichkeit zu tragen. Ich verstehe zwar, wenn Menschen Scheu davor haben, andere über ihre Erkrankungen auszufragen. Aber der Weg, um Vorurteile abzubauen, ist, Fragen zu stellen. Daher sollte niemand Angst davor haben. Fragen zu stellen, zeigt doch, dass man Interesse am anderen hat, dass man andere und ihre Erkrankung wirklich verstehen möchte. Das ist das, was sich Betroffene wünschen. Ich kann dann jederzeit sagen, wenn eine Frage unangenehm oder unangemessen ist. Das ist immer noch besser, als Klischees unreflektiert weiterzutragen, die am Ende dazu führen, dass Betroffene verletzt und diskriminiert werden.


Interview: Verena Schweitzer

Erschienen in: Diabetes-Joiurnal, 2024; 72 (3) Seite 30-31

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