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Ein gebrochener Arm wird zum Indiaktor für die Hilfsbereitschaft im Alltag – Diabetes-Journal-Redakteurin Katrin Kraatz berichtet in der Kolumne „Blickwinkel“ über ihre Erfahrungen mit Mitmenschen, die sie mit dem Handicap gemacht hat.
Erinnern Sie sich an die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten im vergangenen Jahr? Ein Zitat daraus, Thema dieses Abschnitts war die Flüchtlingssituation: “Wo die Behörden an ihre Grenzen kamen, haben Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Menschen willkommen geheißen. Spontan und wie selbstverständlich. Tausendfach haben Sie Essen und Trinken, Decken und Kleidung gebracht, Sprachkurse organisiert und Unterstützung bei Behördengängen geleistet. Sie alle sind zum Gesicht eines warmherzigen und menschlichen Landes geworden.”
Die Leistungen der vielen Menschen sind nicht kleinzureden – aber diese und Aussagen anderer Politiker gingen mir durch den Kopf, als ich (neben meiner nicht unmittelbar für jeden sichtbaren Erkrankung Typ-1-Diabetes) für einige Zeit für jeden sichtbar behindert war: Wie hilfsbereit und rücksichtsvoll sind die Menschen im ganz normalen Alltag?
Denn ich war gestürzt und hatte mir den rechten Oberarm gebrochen. Eine Operation war nicht nötig, aber ich trug den Arm in einer weiß leuchtenden Schlinge, einem Gilchrist-Verband. Da ich in dieser Zeit auch auf Reisen war, hatte mir der Arzt den Tipp gegeben, den Verband über der Jacke zu tragen – dann würde sofort jeder Rücksicht nehmen und mir Hilfe anbieten. Ich war gespannt …
Als ich aus dem Zug stieg, bot mir eine Mitreisende tatsächlich spontan Hilfe an. Bingo, der Arzt hat recht, dachte ich! Am Ziel fuhr ich mit der U-Bahn zum Hotel. Ein Sitzplatz war frei, nur blockiert durch das übergeschlagene Bein eines anderen Sitzenden. Ziemlich langsam und knurrig nahm er sein Bein herunter. Ob der Arzt sich doch getäuscht hat?
Im Hotel dann wieder das genaue Gegenteil: Man hatte mir ein extra ruhiges Zimmer gegeben, weil ich mehrere Nächte dort war, das man aber nur über eine kurze Treppe erreichen konnte. Ich wurde ausdrücklich gefragt, ob mir das mit der Treppe zu schwierig sei, dann hätte ich ein anderes Zimmer bekommen. Beim Frühstück half man mir selbstverständlich beim Brotschneiden und weiteren Dingen, die mit meinem schmerzhaften und dadurch ziemlich kraftlosen Arm nicht gingen.
Auf der Rückfahrt legte ich einen Teil der Strecke in einer ziemlich vollen S-Bahn zurück. Die mich völlig teilnahmslos und gleichgültig anblickenden Menschen, die gemütlich auf den Sitzen saßen, waren fast schon beeindruckend. Erst auf meine Bitte hin überließ mir ein Mann seinen Platz. Das war wieder ein heftiger Dämpfer! Umso größer war meine Überraschung und Freude, als bei der Rückkehr in Mainz in der Straßenbahn ein Junge aus einer ganzen Gruppe etwa Gleichaltriger ganz selbstverständlich aufstand und mir seinen Platz anbot.
Was bleibt also vom “Gesicht eines warmherzigen und menschlichen Landes”, das Bundespräsident Joachim Gauck beschrieben hat? Aus meinem Blickwinkel ein sehr gemischtes Bild. Denn Warmherzigkeit und Menschlichkeit sind mir durchaus begegnet, so, wie sie sich sicher jeder wünscht, der dauerhaft oder zeitweise mit einer Einschränkung lebt.
Aber ich habe auch Gleichgültigkeit und Kälte erlebt, wo sie im normalen menschlichen Miteinander nicht sein müssten. Vielleicht nützt es, wenn jeder einfach die Augen offenhält und sich überlegt: “Wäre ich nicht dankbar, wenn mir in solch einer Situation jemand hilft?”
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2016; 65 (2) Seite 37
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