Mit Diabetes auf dem Rücksitz

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Mit Diabetes auf dem Rücksitz

Da sie in Berlin sowieso nicht mehr viel mit dem Auto gefahren ist, hatte Tine nach ihrer Diabetesdiagnose großen Respekt davor, sich wieder selbst hinters Steuer zu setzen. In ihrer Kolumne berichtet sie, wie sie sich diese Angst mittlerweile nehmen konnte und nun gerne hin und wieder im Mietwagen unterwegs ist.

Als ich 2008 meine Führerscheinprüfung abgelegt habe, war ich noch viele, viele Jahre von der Diabetesdiagnose entfernt. Damals wohnte ich in einer Kleinstadt und es war dort unfassbar praktisch, ein Auto fahren zu können. Inzwischen lebe ich seit über einem Jahrzehnt in Berlin, einer riesigen Großstadt mit breit ausgebautem öffentlichem Verkehrsmittel-Netz.

Bis vor Kurzem konnte ich tatsächlich an zwei Händen abzählen, wie häufig ich seit meinem Umzug selbst Auto gefahren bin. Das lag an vielen Gründen. Zum einen sind Berlins Straßen voll, man steht hier einfach immer im Stau und man findet nur schwer Parkplätze. Außerdem brauche ich persönlich im Alltag normalerweise kein Auto, ich komme eigentlich überall ganz gut mit Bus, U-Bahn, S-Bahn, Tram oder mit dem Rad hin.

Ein weiterer Grund für mich ist der Umwelt­aspekt: Wenn ich nicht unbedingt ein Auto brauche, muss ich auch keins fahren. Das tut der Luft und der Umwelt gut und schont noch dazu meinen Geldbeutel. Zu guter Letzt ist mein Respekt gegenüber dieser Tätigkeit mit den Jahren immer größer geworden, und spätestens seit meiner Diabetesdiagnose fühlte es sich eben doch an, als müsse ich das Autofahren nochmal neu erlernen, nämlich mit Diabetes auf dem Rücksitz.

Das bedeutet vor allem: regelmäßig die Augen beim Arzt checken lassen, immer den Blutzucker im Blick haben, das Körpergefühl gut kennen und einschätzen können, ob ich gerade ein Fahrzeug führen kann oder eben nicht. Und dann: Traubenzucker, Cola, Saft im Auto immer griffbereit haben, alle Alarme auf höchster Lautstärke, vor Fahrtantritt einen genauen Blick auf den Wert werfen und zwischendurch, wenn nötig, zum Kontrollieren rechts ranfahren. Ich hatte viele Jahre Angst davor, da bin ich ganz ehrlich. Wie sonst auch überall sitzt man mit Diabetes immer an zwei Steuern gleichzeitig: an dem Körpersteuer und dem Autosteuer.

Dann kam dieser Sommer. Es sollte ein paar Tage in den Spreewald gehen und die Bahn streikte. Einzige Alternative: Ich setze mich jetzt ans Steuer. Entweder so oder nie, und in diesen Pandemiezeiten wollte und konnte ich nicht auf meine paar Tage Mini-Urlaub und Durchatmen verzichten. Gesagt, getan! Los ging der kleine Road-Trip. Es hat enorm Spaß gemacht, wieder auf vier Rädern unterwegs zu sein, und zu meiner Überraschung war es leichter als gedacht und hat sich schnell wieder gewohnt angefühlt. Seitdem fahre ich ab und zu mal Auto, hier in Berlin kann man sich zum Glück auch leicht eins mieten. Und wieder einmal habe ich mir selbst vor etwas die Angst genommen. Kleine Schritte …

Eure Tine

Martina „Tine“ Trommer lebt seit Jahren in der Hauptstadt, bloggt seit ihrer Diabetesdiagnose 2013 unter icaneateverything.com sowie auf der Blood Sugar Lounge und schreibt regelmäßig in ihrer Diabetes-Journal-Kolumne „diabetes and the city“ über ihr Leben mit Diabetes in Berlin.

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (12) Seite 42

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