Sicherheit geht vor, oder?

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Sicherheit geht vor, oder?

Tine verbringt den Großteil ihrer Zeit mit Arbeitskolleg:innen, daher hat sie einige davon mittlerweile über ihren Diabetes informiert. Denn im Fall des Falles ist es ja nicht verkehrt, wenn diese wissen, was zu tun ist.

Jedes Mal, wenn ich neue Menschen kennenlerne, mit denen ich im Alltag zu tun haben werde, geht die gleiche Gedankenspirale wieder von vorne los. Erzähle ich ihnen, dass ich Diabetes habe? Und wenn ja, wann und … wie eigentlich? Kann man es irgendwie schaffen, das vielschichtige Leben mit Diabetes, das täglich von so unglaublich vielen Faktoren (weit über 40!) beeinflusst wird, so zu erklären, dass es auch Menschen verstehen, die so gar nichts damit zu tun haben und die im Fall des Falles helfen können? Und müssen sie es dafür überhaupt verstehen?

In meinem neuen Job bin ich aktuell wieder die Einzige mit Diabetes. Ich habe direkt zu Einstellungsbeginn eine DIN-A4-Seite zu Diabetes und möglichen Notsituationen verfasst und diese an alle geschickt mit der Bitte, sie zu lesen und dann bei weiteren Fragen gern auf mich zuzukommen.

Einige meiner Kolleg:innen hatten in ihrem Leben bereits zuvor mit Diabetes Bekanntschaft gemacht, manche beispielsweise im Studium, andere im Freund:innen- oder Familienkreis. Interessanterweise waren das auch die, die kurz, nachdem ich das Dokument abgeschickt hatte, bereits mit Fragen zu mir kamen oder auch mit Geschichten ihrer Erlebnisse von früher. Sie können sich den potenziellen Einfluss der Krankheit auf ein Leben vermutlich bereits besser vorstellen und dann auch Fragen direkt konkreter formulieren. Für die anderen ist es erstmal viel „Bahnhof“. Aber das wird sich sicherlich mit der Zeit ändern.

Aber jetzt nochmal zurück zu der Frage: Müssen andere Menschen in meinem Umfeld überhaupt über meinen Diabetes Bescheid wissen? Einerseits ist mein Diabetes ja eine sehr persönliche Sache und geht zunächst auch nur mich etwas an, klar. Andererseits verbringe ich aber einen Großteil meiner Zeit bei der Arbeit und mit den Menschen dort. Und sollte irgendetwas Gravierendes passieren, möchte ich mich unter meinen Kolleg:innen sicher fühlen und wissen, dass zumindest im Fall des Falles einige Ahnung davon haben und wissen, was zu tun ist.

Auch finde ich es sinnvoll aufzuklären, warum ich vielleicht bei einem möglichen HIGH oder LOW mal kurz nicht so leistungsfähig sein kann, wie es in unserer Gesellschaft eben eigentlich gewünscht ist, und eine Pause mache. Bisher bin ich sehr gut so gefahren, konnte damit in den Köpfen der Menschen Vorurteile aus dem Weg räumen und hatte jedes Mal gute Gespräche darüber. Deswegen habe ich entschieden, das so weiterzumachen.

Und auch, wenn nicht alle immer sofort verstehen, welche komplexen Prozesse da in meinem Körper stattfinden, ist es in Ordnung – ich verstehe ja auch nicht immer sofort alles. Wichtiger ist, dass sie im Fall des Falles wissen, was zu tun ist, und ich mich sicher fühlen kann.

Eure Tine


Martina „Tine“ Trommer lebt seit Jahren in der Hauptstadt, bloggt seit ihrer Diabetesdiagnose 2013 unter www.icaneateverything.com sowie auf der
Blood Sugar Lounge
und schreibt regelmäßig an dieser Stelle über ihr Leben mit Diabetes in Berlin.

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (10) Seite 43

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