- Leben mit Diabetes
Sichtbarer werden und aufklären: Kathi Korn rückt Diabetes in den öffentlichen Fokus
12 Minuten

Kathi Korn hat eine „heftige Diagnose-Story“. Doch genau daraus hat sich ihr heutiger Beruf entwickelt. Als Speakerin und Healthfluencerin möchte sie u.a. auf Social Media über Diabetes aufklären, Betroffene sichtbarer machen und Vorurteilen entgegenwirken. Und auch für weitere chronische Erkrankungen wie das Lipödem schafft sie öffentliche Aufmerksamkeit.
Im Interview: Kathi Korn

Als Kathi Korn die ersten Diabetes-Symptome bemerkt, sucht sie verschiedene Ärzte auf. Allerdings hat man ihre Symptome nicht ernst genommen, bis sie mit einer schweren Ketoazidose, einer Übersäuerung des Körpers durch Insulinmangel, ins Krankenhaus kommt. „Dieses starke Medical Gaslighting hat mich sehr belastet“, sagt sie.
Nach der Diagnose Typ-1-Diabetes wird ihr von ihrem Leistungssport Tischtennis und einem Kinderwunsch abgeraten. Kathi Korn fällt in ein tiefes Loch. Erst als sie erfährt, dass sie schwanger ist, beginnt sie, sich mit ihrem Diabetes auseinanderzusetzen. Da sie wenige Informationen zu Schwangerschaft mit Diabetes findet, fängt sie an, ihre Erfahrungen auf YouTube zu teilen.
Sichtbar werden und Hoffnung geben
Heute ist Kathi Korn Speakerin und Healthfluencerin. Sie klärt unter anderem auf Social Media über Diabetes auf. „Das Thema mediale Präsenz ist mir generell sehr wichtig (…)“, sagt sie. Sie möchte zeigen, dass man mit Diabetes alles erreichen kann, auch wenn die Herausforderungen manchmal etwas größer sind.
Aufklären, um Stigmatisierung zu verhindern
Obwohl sich der Zugang zu Informationen und der Umgang mit Menschen mit Diabetes gebessert haben, sieht Kathi Korn Optimierungsbedarf. Sie wünscht sich, dass Betroffene als Experten ihrer Erkrankung angesehen werden, mehr Aufklärung und dadurch weniger Stigmatisierung stattfindet und die Kommunikation mit Behandelnden auf Augenhöhe abläuft. Als Mutter liegen ihr zudem die Themen Früherkennung und Teilhabe von Kindern mit Diabetes am Herzen.
Diabetes-Anker (DA): Kathi, du setzt dich unter anderem für Menschen ein, die ihre Diabetes-Diagnose gerade erst bekommen haben. Wie war das denn bei dir? Wann hast du deine Diagnose bekommen und wie kamst du damit zurecht?
Kathi Korn: Ich bekam die Diagnose mit Anfang 20 und hatte gerade das Studium zur Grundschul-Lehrerin angefangen. Ich hatte über ein halbes Jahr Symptome, die ich nicht richtig zuordnen konnte – von denen ich jetzt weiß, dass sie ganz typisch für Diabetes sind. Ich hatte ganz viel Durst und musste viel aufs Klo. Dann verlor ich irgendwann an Gewicht und war total schwach. Ich ließ auf einmal meinen Tischtennis-Schläger immer wieder fallen, obwohl ich gerade mitten im Leistungssport unterwegs war und jeden Tag trainierte.
Ich ging dann zu allen möglichen Ärzten. Zum Beispiel zum Augenarzt, weil meine Sicht auf einmal schlechter wurde, zum Frauenarzt, weil ich an den Schleimhäuten im Intimbereich Entzündungen bekommen hatte. Allerdings wurde immer alles nur Symptom für Symptom behandelt, aber nie zusammen in dem Gesamtkontext betrachtet, sodass ich wirklich ungefähr ein halbes Jahr zwar ganz oft beim Arzt war, aber nie die Diabetes-Diagnose bekam.
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Irgendwann bemerkte ich, dass mein Atem komisch roch, dass ich nur noch ganz tief und schwer atmen konnte und kurzatmig war. Es wurde immer schlimmer von Tag zu Tag. Ich konnte mich kaum noch wachhalten und sackte die ganze Zeit weg. Dann brachte meine Mutter mich in die Notaufnahme und dort gab es endlich den ersehnten Blutzuckerwert, weil mir bis dato niemand in den Finger gestochen hatte, obwohl man ja vermuten könnte, dass irgendeiner der Ärzte auch ein Blutzuckermessgerät besaß. Erst im Krankenhaus gab es die Diagnose Typ-1-Diabetes.
Am Anfang war man sich nicht sicher, was ich für einen Diabetes-Typ habe, weil sie erst einmal nur auf mein Äußeres schauten. Ich war grundsätzlich eher kräftiger. Es war extrem stigmatisierend, weil gar nicht richtig nachgeguckt wurde und einfach erst mal gesagt wurde, es könnte auf jeden Fall Typ-2-Diabetes sein und eher kein Typ-1-Diabetes. Ich wusste ja nicht, was das ist. Ich war am Anfang wie in einer Wolke gefangen und kann mich auch nicht so gut an die Zeit im Krankenhaus erinnern, denn mein Stoffwechsel war massiv entgleist, ich hatte eine Ketoazidose. Irgendwer gab mir immer irgendwelche Spritzen, die ich gar nicht richtig registrieren konnte, weil ich einfach nicht verstand, was da gerade los war.
DA: Das heißt, du hast die Erfahrung gemacht, dass man deine Symptome aufgrund deines Gewichts zunächst nicht ernst genommen hat?
Kathi Korn: Genau, und dieses starke Medical Gaslighting hat mich sehr belastet. Am Anfang vor der Diagnose wurde immer nur bei den verschiedenen Ärzten gesagt: „Ach ja, nehmen Sie erst mal ein bisschen ab. Dann können wir noch mal gucken.“ Das ist mir leider so oft passiert. Nicht nur in Richtung Diabetes, sondern auch in Richtung der anderen chronischen Erkrankungen, die ich noch habe. Ich denke, wäre das früher ernst genommen worden, wäre ich wahrscheinlich auch nicht mit der schweren Ketoazidose eingeliefert worden, sondern vielleicht schon in einem etwas früheren, moderateren Stadium.
DA: Wie ging es nach der Diagnose weiter?
Kathi Korn: Der Arzt sagte zu mir, ich bräuchte mir keine Hoffnungen zu machen, jemals Kinder zu bekommen. Das sei auf jeden Fall zu gefährlich und das wolle man ja auch keinem Kind antun, dass es eine Mutter mit Diabetes hat oder dass ich die Erkrankung weitergeben könnte. Auch, dass ich in meinem Sport etwas erreichen würde, konnte er sich nicht vorstellen, weil richtiger Leistungssport mit Diabetes sehr gefährlich und eigentlich gar nicht möglich sei. Ich habe also eine ziemlich heftige Diagnose-Story. Ich glaubte leider alles, was mir der Arzt damals sagte, und das beförderte mich in meiner Situation in ein ganz tiefes Loch.
Mehr oder weniger zwei Jahre lange zog ich mich komplett aus allem zurück – sowohl aus dem Studium als auch aus dem sozialen Umfeld und dem Sport. Außerdem lebe ich leider mit einer starken Nadelphobie und damals konnte ich mich wochenlang nicht selbst spritzen. Ich konnte die Krankheit nicht akzeptieren und mir auch nicht vorstellen, überhaupt so weiterzuleben mit den Kanülen jeden Tag. Ich traute mich nichts mehr und hatte gar keinen Mut und keine Hoffnung mehr – zwei Jahre lang am Stück.
„Als ich das erste Mal schwanger wurde, hat mich das herausgeholt aus diesem Loch, weil ich feststellte, dass ich mich noch um jemand anderen kümmern muss und meinen Diabetes nicht komplett vernachlässigen darf.“
DA: Was hast du am Anfang für eine Therapie bekommen? Und wer hat dich dabei unterstützt aufgrund deiner Nadelphobie?
Kathi Korn: Mein damaliger Partner gab mir die Insulinspritzen, ich konnte es am Anfang nicht selbst. Ich hatte zwar eine Schulung, aber das war eine Schulung für Menschen mit Typ-2-Diabetes. Da ging es um das Thema Fußamputation, das war natürlich erschreckend für mich. Ich konnte das überhaupt nicht verstehen und zuordnen. Dann kam ich nach Hause mit einem Plan, wann ich wie spritzen soll. Ich hatte erst einmal ein Jahr lang eine ICT (intensivierte konventionelle Insulintherapie, Anm. d. Red.) und bekam dann meine erste Insulinpumpe.
DA: Hattest du das Thema Insulinpumpe selbst aktiv aufgegriffen oder kam dein Arzt auf die Idee?
Kathi Korn: Das hatte ich aufgegriffen, weil ich sah, dass es etwas gibt, womit ich nicht mehr so oft selbst spritzen muss. Es ist eigentlich nie so gewesen bisher, dass irgendjemand mir gesagt hat, dass es etwas Neues gibt, das ich ausprobieren kann. Es war eher so, dass ich etwas selbst gesehen oder durch Austausch mit anderen mitbekommen hatte und dementsprechend probierte, das zu bekommen.
DA: Wie bist du aus diesem Loch, das du vorhin beschrieben hast, wieder herausgekommen?
Kathi Korn: Als ich das erste Mal schwanger wurde, hat mich das herausgeholt aus diesem Loch, weil ich feststellte, dass ich mich noch um jemand anderen kümmern muss und meinen Diabetes nicht komplett vernachlässigen darf. Das führte dazu, dass ich endlich anfing, mich mit der Materie auseinanderzusetzen. Mich mal darüber zu informieren, welche Therapie-Möglichkeiten es gibt, welche Technologie es gibt. Und wie ich selbst etwas dafür tun kann, dass meine Werte nicht so eskalieren. Daraufhin bin ich auch ganz schnell ins Teilen von meinem Leben mit Diabetes gegangen.
Ich fing an, Videos aufzunehmen, die einzelnen Schwangerschaftswochen online bei YouTube vorzustellen, was da so passierte. Ich dachte, weil ich online leider nichts finden konnte zum Thema Typ-1-Diabetes und Schwangerschaft, dass das hoffentlich mindestens einer Frau hilft, wenn sie Erfahrungsberichte von jemandem hat. Und wenn man damals Typ-1-Diabetes und Schwangerschaft über Google suchte, dann fand man eigentlich nur Horror-Szenarien. Aber so ist es ja heute nicht mehr.
DA: Hast du den Eindruck, dass die Informationen heutzutage leichter verfügbar sind, wenn jemand mit einem Typ-1-Diabetes oder generell Diabetes diagnostiziert wird? Hast du dahingehend Einblicke, zum Beispiel aus deiner Community?
Kathi Korn: Ja, ich habe viele Einblicke und ich muss leider sagen, dass es häufiger, als ich es mir wünschen würde, immer noch so ist, dass Menschen sagen: „Ich hatte gar keinen Plan von diesen ganzen Dingen und bin da einfach reingeschmissen worden und wusste auch nicht, was es alles gibt, habe es aber auch selber nicht nachgucken wollen, weil es mir einfach nicht gut damit ging.“ So wie bei mir am Anfang. Es hat sich schon etwas getan, aber nur, wenn man an die richtigen Menschen gerät nach oder bei der Diagnose.
Wenn man in einem guten Diabeteszentrum ist, sieht die Welt ganz anders aus. Dann bekommt man Info-Materialien, hat gute Schulungen und vielleicht von Anfang an andere Menschen mit Diabetes, auf die man direkt trifft und mit denen man sich austauschen kann. Es ist auch grundsätzlich dadurch besser geworden, dass wir mehr drüber reden. Wir versuchen, immer weiter Diabetes zu enttabuisieren, zu entstigmatisieren. Es gelingt an der einen oder anderen Stelle. Man sieht jetzt auch manchmal schon Fernsehwerbung für Sensoren, das fällt mir schon auf, aber da darf immer noch sehr, sehr viel passieren. Deswegen werde ich auch nicht müde, meine Aufklärungsarbeit zu leisten.
DA: Wie ist das mit deinen anderen chronischen Erkrankungen? Inwiefern beeinflussen sie deinen Diabetes und wird das bei der Therapie berücksichtigt?
Kathi Korn: Interdisziplinär passiert da leider nichts, die Ärzte arbeiten nicht zusammen. Ich habe insgesamt zehn chronische Erkrankungen. Das, was am meisten den Blutzucker oder generell den Insulinhaushalt und andersrum beeinflusst, ist das Lipödem. Das ist eine chronische Fettverteilungsstörung mit entzündetem Unterhautfettgewebe, das man nicht abbauen oder abnehmen kann. Leider habe ich eine Insulin-Resistenz, durch die ich viel Insulin brauche, und viel Insulin triggert das Wachstum des Fettgewebes. Aber je mehr ich davon habe, desto mehr Insulin brauche ich auch wieder. Das ist ein Teufelskreis.
Auch hier brauchen wir viel mehr Aufklärung. Ich bin nicht die Einzige, die mit den beiden Erkrankungen lebt. Mindestens jede neunte Frau lebt mit Lipödem und die Dunkelziffer ist höher als im Diabetesbereich. Dieses Fettgewebe ist nicht nur unschön, sondern wird auch immer mehr, und das ist wirklich sehr schmerzhaft, zum Beispiel auch, wenn man einen Sensor oder ein Infusionsset, aber auch eine Pen-Kanüle da hineinsetzt. Im Endeffekt belastet es doppelt.
„Es kann nicht sein, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen einfach übersehen oder verurteilt werden.“
DA: Ein Lipödem kann man operieren. Das wird aber nicht immer von der Krankenkasse übernommen. Wie war das bei dir?
Kathi Korn: Ich hatte mittlerweile drei Operationen, die mir sehr viel geholfen haben. Allerdings sind die OPs erstmal keine Krankenkassenleistung, auch nicht, wenn man Diabetes hat. Es ist nur Krankenkassenleistung, Stand aktuell, unter bestimmten Voraussetzungen im Lipödem-Stadium III, wenn konservative Therapien wie Lymphdrainage, Kompression, Bewegung, Ernährungsumstellung und Hautpflege erfolglos waren und mit einem BMI (Body-Mass-Index, Anm. d. Red.) unter 35 kg/m2. Diesen BMI hat allerdings fast keine Frau mit Lipödem, weil die Erkrankung voluminös macht. Das ergibt aus meiner Sicht absolut keinen Sinn.
Die allermeisten von uns müssen die Operation daher selbst zahlen und leider heißt es nicht, dass die Erkrankung dadurch geheilt wird. Sie kann jederzeit wiederkommen, beispielsweise bei hormonellen Veränderungen, wie in den Wechseljahren. Für mich waren die Operationen eine große Hilfe und auch ein Ausweg aus diesem Teufelskreis. Ich mache aber auch sehr viel in der Selbstfürsorge. Ich habe Gerätschaften zu Hause, die so eine Art Lymphdrainage darstellen, und gehe fast jeden Tag zwei Kilometer schwimmen, weil der Wasserdruck auch wie eine Art Lymphdrainage wirkt. Dadurch, dass ich zusätzlich ein Lymphödem habe, nicht nur das Lipödem, muss ich das auch machen.
DA: Du hast gesagt, dass deine erste Schwangerschaft dich aus deinem Loch rausgeholt hat. War die Schwangerschaft geplant, weil dir ja eigentlich davon abgeraten wurde?
Kathi Korn: Das war ungeplant. Mir wurde aufgrund einer meiner chronischen Erkrankungen von verschiedenen Gynäkologen gesagt, dass ich unfruchtbar bin in dem damaligen Stadium, und dann habe ich die Pille abgesetzt. Zwei Monate später war ich schwanger. Das war auch noch in dieser Diabetes-Nichtakzeptanzphase. Das heißt, ich bin mit einem richtig hohen HbA1c-Wert in die Schwangerschaft gestartet, ich meine, er lag bei 8,6%. Beim nächsten Arzttermin hatte ich schon 6,8% und darauf 5,2%. Der Wert veränderte sich also sehr schnell, weil ich anfing, richtig daran zu arbeiten.
DA: Mit der Schwangerschaft ist am Ende alles gut gegangen und du hast noch zwei weitere Kinder. Inwiefern beschäftigt dich das Thema Diabetes in Bezug auf deine Kinder?
Kathi Korn: Ja, ich habe drei Kinder, aber die Schwangerschaften waren nicht einfach. Was mich aktuell sehr beschäftigt, ist das Thema Früherkennung bei meinen Kindern. Etwas, was ich mir bis vor Kurzem gar nicht hätte vorstellen können, ist, meine Kinder an der Fr1da-Studie teilnehmen zu lassen, um ihr Diabetes-Risiko herauszufinden. Beziehungsweise ob ein Frühstadium von Typ-1-Diabetes vorhanden ist oder nicht. Ich dachte immer, dass ich als sehr erfahrene Frau mit Typ-1-Diabetes bei meinen Kindern sofort die Symptome erkennen würde.
Das war bis vor ein paar Wochen mein Grund zu sagen, ich lasse meine Kinder nicht testen. Da war ich aber einfach noch nicht gut aufgeklärt, obwohl ich viel auf Kongressen unterwegs bin. Denn man kann, bevor überhaupt Symptome auftreten, schon feststellen, ob ein Diabetes im Frühstadium vorliegt oder nicht. Mittlerweile gibt es Möglichkeiten, den Krankheits-Ausbruch nach hinten zu verschieben. Dafür gibt es zum Beispiel Medikamente, die zwar noch nicht in Deutschland offiziell zugelassen sind, aber in anderen Ländern. Man kann ordentlich was machen und ich glaube, dass das etwas total Wichtiges ist. Ich werde demnächst vermehrt online dazu aufklären.
DA: Du sprichst hier sicher von deinem Instagram-Kanal diabeteswelt_lipaktiv. Vorhin hast du schon erzählt, was dich dazu bewegt hat, in die Öffentlichkeit zu treten. Was ist dir bei deiner Arbeit besonders wichtig?
Kathi Korn: Das Thema mediale Präsenz ist mir generell sehr wichtig, um zu zeigen, dass wir viele sind. Diabetes ist erstmal eine unsichtbare Erkrankung, wenn man keine Pumpe oder keinen Sensor sieht. Aber jeder zweite Mensch in Deutschland ist chronisch krank. Und es kann nicht sein, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen einfach übersehen oder verurteilt werden. Damals bei meiner Diagnose bekam ich tatsächlich vom Arzt zu hören, ich solle noch froh sein, dass es kein Typ-2-Diabetes ist, dann hätte ich selbst Schuld gehabt. Das ist leider immer noch das Denken. Nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch von vielen Ärzten und das ist auch genau der Grund, warum ich das lange selbst dachte, weil es mir so gesagt wurde.
Heute kämpfe ich dafür, dass wir die Schuldfrage bleiben lassen, egal bei welchem Diabetes-Typ. Es ist so eine komplexe Erkrankung und niemand hat Schuld daran. Es gibt immer auch äußere Einflüsse, die dazu führen, dass ein Diabetes oder eine andere chronische Erkrankung ausbricht. Solche Themen versuche ich, mehr und mehr auf Social Media zu platzieren und natürlich immer wieder darüber aufzuklären und darauf aufmerksam zu machen, weil es immer noch brisant ist.
Kürzlich gab es mal wieder einen Promi-Todesfall, der mit Diabetes in Zusammenhang gebracht wurde, aber da wurde mal ganz kurz drüber geredet und ein paar Tage später fiel es wieder unter den Tisch. Unter den Beiträgen dazu gab es Kommentare, die unterirdisch sind, wie „natürliche Auslese“, und das darf nicht mehr sein.
„Man sollte immer wieder hinterfragen, was man auf Social Media sieht, denn manches ist einfach falsch. Zum Beispiel diese selbsternannten „Gurus“, die sagen, Zink würde Diabetes heilen.“
DA: Welche Tipps würdest du jemandem geben, der gerade frisch mit Diabetes diagnostiziert wurde und sich vielleicht nicht gut informiert fühlt? Wo kann man sich „gute“ Informationen holen? Was würdest du heute anders machen, als du es bei deiner Diagnose machen konntest?
Kathi Korn: Damals forschte ich ja gar nicht selbst nach und nahm alles einfach so hin, wie es mir gesagt wurde. Ich denke, dass man zuerst hinterfragen sollte, ob wirklich alles negativ ist oder ob es nicht auch Menschen gibt, die mit ihrer Erkrankung tolle Sachen machen und erreicht haben. Da findet man heute viele Positiv-Beispiele genau zu dem, was man sich wünscht. Egal ob das Menschen sind, die sportlich aktiv sind oder Kinder bekommen haben, oder ob das beruflicher Erfolg ist.
Was ich auf jeden Fall ganz wichtig finde, weil mich das selbst so getroffen hat, ist, dass man versteht: Man kann alle Lebensträume, egal in welche Richtung sie gehen, auch mit Diabetes erreichen. Das mag an der einen oder anderen Stelle etwas schwieriger sein. Aber man kann lernen, das als Herausforderung anzunehmen und zu sagen: „Okay, ich habe das jetzt, ich sehe den Diabetes als meinen ‚Partner in Crime‘ an und gucke, dass ich das Beste draus mache“. Dann kann ich auf jeden Fall alles machen.
Wir haben die neue Diabetes-Technologie, wir haben Sensoren, wir haben AID-Systeme (Systeme zur automatisierten Insulin-Dosierung, Anm. d. Red.). Es ist wichtig, sich darüber zu informieren. Man sollte sich außerdem nicht nur online informieren, sondern vor allem auch auf Veranstaltungen gehen, bei denen man sich austauschen kann und mit anderen Menschen in Kontakt kommt, die mit ähnlichen Herausforderungen zu tun haben, aber auch ähnliche positive Dinge und Freuden teilen.
Natürlich funktionieren Online-Austausch und -Informationsbeschaffung heutzutage viel einfacher, als es damals der Fall war. Aber ich glaube, dass die Hürden heute auch andere sind. Man sollte immer wieder hinterfragen, was man auf Social Media sieht, denn manches ist einfach falsch. Zum Beispiel diese selbsternannten „Gurus“, die sagen, Zink würde Diabetes heilen. Wenn man es nicht besser weiß, glaubt man das vielleicht. Es gibt viele Gefahren in Bezug auf das Teilen seines Lebens mit chronischen Erkrankungen auf Social Media.
Daher muss man das alles ein bisschen mit Vorsicht genießen. Ich würde heute zum Beispiel nie mehr online sagen, wie viele Einheiten Insulin ich beispielsweise für ein Spaghetti-Eis abgegeben habe. Das kann problematisch werden, wenn das z. B. ein Elternteil von einem Kind mit Diabetes sieht und das genauso nachmacht. Die Dosierungen sind individuell und können nicht pauschalisiert werden. Dieser Gefahr sind sich leider die wenigsten bewusst. Deswegen würde ich davon abraten, alles, was auf Social Media von Menschen mit Diabetes gesagt wird, einfach nachzumachen. Ich würde mir auf jeden Fall Positiv-Beispiele angucken, aber eben keinen Menschen folgen, die Therapie-Empfehlungen aussprechen, und den Content immer wieder selbst hinterfragen, das kann sonst gefährlich werden.
DA: Du hast jetzt schon viel gesagt, was aus deiner Sicht im Moment noch nicht so gut läuft. Vielleicht kannst du noch mal kurz zusammenfassen, was du dir daraus abgeleitet für die Zukunft in Bezug auf den Diabetes wünschst?
Kathi Korn: Erstmal wünsche ich mir, dass wir weiter für Sichtbarkeit kämpfen, alle gemeinsam. Dass wir ein besseres Ärzte-Betroffenen-Verhältnis hinbekommen, dass die Behandlung eher im Team funktioniert. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Kommunikation ein bisschen von oben herab geführt wird. Ich würde mir wirklich sehr wünschen, dass das aufhört, weil das dazu führt, dass Menschen mit Diabetes sich nicht trauen, über manche Dinge zu sprechen, weil vieles mit Scham behaftet ist. Ich wünsche mir, dass Menschen mit Diabetes als Experten ihrer eigenen Erkrankung angesehen werden. Wir leben damit nicht nur eine Stunde am Tag, sondern 24/7 und kennen uns wahnsinnig gut aus, ob das Betroffene selbst oder Eltern von Kindern mit Diabetes sind.
Was ich mir außerdem sehr wünschen würde, ist, dass wir weniger Stigmatisierung erfahren und dass für alle Diabetes-Typen mehr Aufklärung stattfindet. Dass wir mehr Sichtbarkeit erzielen in Richtung Medien und dass Menschen mit Diabetes auch mal gezeigt werden, dass über Symptome aufgeklärt wird. Und zwar formatübergreifend, also nicht nur in der Community. Denn wir kennen alle die Diabetes-Symptome, aber darüber hinaus in der restlichen Bevölkerung wird es schwierig.
Was ich mir vor allem für Kinder mit Diabetes wünsche, ist bessere Teilhabe. Dadurch, dass ich selbst drei Kinder im Grundschul- und Kindergarten-Alter habe, ist mir das persönlich wahrscheinlich auch nochmal ganz wichtig. Ich habe schon so oft mitbekommen, dass betroffene Kinder nicht an Klassenfahrten teilnehmen konnten. Dass die Kinder nicht ohne Begleitung zur Schule gehen durften, obwohl wir ja ein Recht auf Schule und eigentlich auch Schulpflicht haben. Das kommt leider so häufig vor und das kann zu einer starken Ausgrenzung führen.
Die Kinder haben schon eine chronische Erkrankung, die nicht immer leicht zu handhaben ist. Wenn man dann noch Ausgrenzungen erfährt aufgrund von dieser Erkrankung, dann führt es sicherlich zu einer großen Ablehnung des Diabetes. Das könnte man vielleicht verhindern, wenn man es schafft, dieses ganze System ein bisschen mehr zu öffnen, und weniger Ängste verbreitet, ein bisschen miteinander arbeitet, Institutions-übergreifend. Und mir ist auch wichtig, dass wir uns mit dem Thema Früherkennung mehr auseinandersetzen und verstehen, was wir mittlerweile alles machen können. Und dass es doch sehr hilfreich sein kann, wenn die Erkrankung schon entdeckt wird, bevor Symptome auftreten.
DA: Vielen Dank, Kathi!
Interview: Janina Seifert
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