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Diabetes ist ein 24-Stunden-Job. Urlaub vom Diabetes nehmen ist nicht möglich. Da kann es schon passieren, dass die Motivation nachlässt, sich jeden Tag wieder engagiert um den eigenen Diabetes zu bemühen.
Es gibt jedoch gute Strategien, einem Diabetes-Burn-out vorzubeugen: Wir haben für Sie 10 bewährte Regeln zusammengestellt, wie Sie ein Ausgebranntsein verhindern können.
Burn-out oder Ausgebrannt sein beschreibt ein Zeitgefühl, welches viele Menschen kennen. Zu viele Anforderungen, zu viele Dinge, die gleichzeitig zu erledigen sind, zu viel Stress, ein immer schneller werdender Arbeitsrhythmus, mediale Dauerberieselung: all das vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Wandels, in dem verlässliche Normen und Werte relativiert werden und Menschen sich immer häufiger und schneller an eine sich wandelnde Gesellschaft anpassen müssen.
Das kann zu einer erhöhten Stressbelastung und zu körperlicher und psychischer Erschöpfung führen. Nimmt man dies nicht ernst, besteht die Gefahr eines Burnouts – was dazu führen kann, dass man nicht mehr arbeitsfähig ist und große Schwierigkeiten hat, mit den Alltag zurechtzukommen.
Diabetes ist ein ständiger Begleiter Ihres Lebens, um den Sie sich tagtäglich kümmern müssen. Klar, dass Sie hierfür nicht jeden Tag gleich gut motiviert sind. Ich kenne viele Menschen mit Diabetes, die über eine lange Zeit sehr gut mit Ihrer Erkrankung zurechtgekommen sind – und dann plötzlich die Behandlung Ihres Diabetes immer mehr haben schleifen lassen.
Sie äußern oft, dass sie der tägliche Kampf um gute Blutzuckerwerte müde und mürbe gemacht hat. Sie schildern, dass Sie sich nicht mehr so gut für die Diabetesbehandlung motivieren können und die Behandlung eher vernachlässigen. Experten haben den Erschöpfungszustand mit Diabetes als Diabetes-Burn-out bezeichnet.
Es beschreibt einen Zustand, in dem die Behandlung des Diabetes schwerfällt und als belastend und kräfteraubend erlebt wird. Ähnlich wie beim Burn-out sind Erschöpfung und Kraftlosigkeit die hervorstechenden Merkmale eines Diabetes-Burn-outs.
Jeder kennt die kleinen Momente des Glücks im Alltag – sie zeigen einem, wofür man lebt. Und da das Glück sehr flüchtig ist, lohnt es sich, diese bewusst zu genießen.
Hier eine kleine Auswahl aus der Schatzliste möglicher Glücksmomente:
Die Entwicklung eines Diabetes-Burn-outs ist aber beileibe kein unvermeidbares Schicksal. Wichtig ist es, die ersten Anzeichen eines Erschöpfungszustandes zu erkennen, um dann dagegenzusteuern. Wir haben für Sie einige bewährte Strategien zusammengestellt, die Ihnen helfen können, den Zustand zu vermeiden.
Nächste Seite: Der Check: Diabetes-Burn-out erkennen, vermeiden, behandeln.
“Diabetes ist ein Tagesgeschäft, denn kein Tag gleicht dem anderen”, fasste eine Patientin von mir ihre Erfahrungen mit ihrem Diabetes zusammen. Sicher haben Sie auch den Wunsch, dass Ihre Blutzuckerwerte möglichst gleichmäßig verlaufen – und grobe Ausreißer die Ausnahme sind.
Theoretisch ist das sicher möglich, in der Praxis jedoch nicht: Zu vielfältig sind die verschiedenen Einflussfaktoren auf die Blutzuckerregulation. Daher müssen Sie bei Ihrer Einschätzung des Blutzuckerverlaufes immer mit einem gewissen Faktor X rechnen, den Sie nur schwer beschreiben können.
Wenn Sie aber den Anspruch haben, jeden Blutzuckerwert erklären zu wollen, werden Sie oft scheitern: Ein Grund für ein Burn-out können überhöhte Ansprüche sein, die Stress erzeugen, wenn Sie diese nicht erreichen. Falls das bei Ihnen so ist, sollten Sie Ihre Ansprüche überdenken.
Manchmal reicht es, schon sich selbst zu sagen: “Ich kann mir den aktuellen Blutzuckerwert zwar nicht erklären, aber ich weiß, was zu tun ist, um den überhöhten Wert zu korrigieren.” Oder: “Wenn die grobe Richtung meiner Blutzuckerwerte stimmt, kann ich mir einen Ausreißer auch mal erlauben – davon werde ich keine Folgeerkrankungen bekommen.”
Was ist alles wichtig im Leben? Eine gute Partnerschaft, ein guter Kontakt zu den Kindern und zu den eigenen Eltern, die Pflege der Beziehungen zur Verwandtschaft und zu Freunden? Oder Gesundheit, körperliche Fitness, Erfolg und Erfüllung in der Arbeit, Religiosität, Spiritualität, praktische Nächstenliebe, politisches oder bürgerliches Engagement und so weiter?
Bei so vielen unterschiedlichen Erwartungen an sich selbst oder von anderen kann man leicht den Überblick verlieren, was nun wirklich für einen selbst bedeutsam ist – und was vielleicht zwar wünschenswert, aber nur schwer machbar ist. Der Tag hat 24 Stunden, und die eigenen Möglichkeiten sind leider begrenzt.
Und auch Ihr Diabetes fordert von Ihnen täglichen Einsatz, wofür Sie auch Energie benötigen. Ein Grund für die Entwicklung eines Burn-outs können zu hohe Erwartungen sein, die man an sich selbst stellt – oder die andere Menschen an einen richten. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie ständig irgendwelchen Erwartungen hinterherlaufen, sollten Sie innerhalten und sich fragen: “Was will ich wirklich, und welchen Erwartungen möchte ich in Zukunft nicht mehr entsprechen, da sie mir nicht guttun?”
Ein Wegweiser dafür, was Ihnen guttut, sind Ihre Gefühle: Wenn Sie genauer in sich hineinhören, werden Sie spüren, was Ihnen guttut…und was eher nicht! Das gilt für Ihren Umgang mit Ihrem Diabetes genauso wie für andere Dinge in Ihrem Leben. Seien Sie achtsam mit sich selbst und Ihren Bedürfnissen!
Besonders wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihnen die Dinge über den Kopf wachsen, ist es höchste Zeit, sich zu vergegenwärtigen, welche Belastungen in Ihrem Leben denn genau bestehen? Versuchen Sie doch einmal aufzuschreiben, was Sie im Moment besonders belastet. Eine gute Technik besteht darin, auf einem Blatt Papier einen Kreis zu zeichnen und dann die einzelnen Belastungen einzuzeichnen; wie bei einem Kuchen werden große Belastungen als große Kuchenstücke eingezeichnet, geringere als kleinere.
Wenn Sie dann das Bild Ihres Belastungs-Checks betrachten, sollten Sie sich überlegen, welche Belastungen eventuell vermeidbar sind oder Sie reduzieren können. Manchmal liegt die Überforderung durch den Diabetes einfach daran, dass im Lebensalltag zu viele Belastungen auftreten, die so kräftezehrend sind, dass Sie nicht genug Energie mehr für das tägliche Diabetesmanagement haben.
Interessant ist es auch, wenn Sie Ihrem Partner oder einem guten Freund Ihren Belastungs-Check zeigen und um eine Rückmeldung bitten, wie Sie Ihre Belastungen reduzieren können. Sie werden erstaunt sein, welch konkrete Vorschläge Sie rückgemeldet bekommen!
Nicht jede Belastung führt auch zu einer Überlastung: Entscheidend ist, ob Sie das Gefühl haben, diese Belastungen steuern zu können oder umgekehrt zu glauben, von diesen beherrscht zu werden. Letzteres ist nicht so gesund; gesünder ist es, wenn Sie selbst der Steuermann in Ihrem Leben sind und die Richtung selbst bestimmen. Dazu müssen Sie aber wissen, wo Sie hin möchten.
Überlegen Sie doch einmal, was Ihnen bei der Behandlung Ihres Diabetes wichtig ist und was Sie trotz und mit Ihrer Erkrankung in Ihrem Leben erreichen möchten: Ziele sind eine äußerst wichtige Motivationsquelle! Vielleicht schreiben Sie diese auch einmal in einer ruhigen Minute einmal auf – das erhöht die Verbindlichkeit, sich auch wirklich um deren Umsetzung zu bemühen. Sonst ist es wie bei den Träumen, die Schäume bleiben.
Wenn Sie gefährdet sind, ein Diabetes-Burn-out zu bekommen, stimmt Ihre persönliche Bilanz nicht. Zu vielen Belastungen auf der einen Seite stehen zu wenig entlastende, schöne Dinge auf der anderen Seite entgegen. Ein Weg, dies zu ändern, ist es, Ihre persönliche Belastungs-Waage wieder ins Gleichgewicht zu bekommen: Versuchen Sie, gezielt Ihr Augenmerk auf Dinge zu richten, die angenehm sind. Häufig sind das eher die kleinen Glücksmomente im Alltag, die das Leben lebenswert machen.
Besonders wenn Sie gestresst oder belastet sind, sollten Sie gezielt versuchen, Ausgleich zu schaffen, indem Sie Dinge tun, von denen Sie wissen, dass Sie Ihnen gefallen. Sie müssen aber bereit dazu sein, kleine Glücksmomente im Alltag auch tatsächlich wahrzunehmen! “
Das große Glück ist ein Mosaik aus lauter kleinen Glücksmosaiksteinen”, sagte ein persischer Gelehrter. Hier finden Sie einige Beispiele, wie solche persönlichen kleinen Glücksmomente aussehen können:
Nächste Seite: Der Check: die Punkte 6 bis 10.
Nichts ist motivierender als der Erfolg. Das wird Ihnen jeder Sportler bestätigen. Das gilt auch für den Umgang mit Diabetes. Es ist nicht selbstverständlich, gute Blutzuckerwerte zu haben; es ist nicht selbstverständlich, bei der Einschätzung der KE/BE richtig zu liegen; und es ist nicht selbstverständlich, mehrfach am Tag den Blutzuckerspiegel zu kontrollieren. Dafür müssen Sie sich anstrengen und einiges investieren. Es wird Ihnen leichter fallen, dies jeden Tag auch konsequent umzusetzen, wenn Sie wissen, wofür Sie das tun.
Und da der eigentliche Preis Ihrer Bemühungen, die Vermeidung von Folgeerkrankungen, in einer unbestimmten, recht weiten Ferne liegt, sollten Sie kleine Behandlungserfolge feiern – und sich für diese selbst belohnen. Das kann ein Kauf von etwas Besonderem sein, ein Restaurant-Besuch, ein Abend mit lieben Freunden – etwas, was Ihnen ein gutes Gefühl gibt und Sie motiviert, die Behandlung Ihres Diabetes nicht als eine große Belastung zu empfinden.
Nur du alleine kannst es mit Diabetes schaffen, aber alleine schaffst du es nicht. Dieser Spruch einer Selbsthilfegruppe hat eine tiefere Wahrheit: Niemand kann Ihnen die Verantwortung für Ihren Diabetes abnehmen; die Prognose Ihres Diabetes hängt entscheidend davon ab, wie gut Sie die Therapie im Alltag umsetzen. Auf der anderen Seite sind Sie dabei auch auf die Hilfe anderer angewiesen: auf die Ihres Partners, Ihres Diabetes-Teams oder die von Freunden oder Arbeitskollegen.
Nicht nur bei einer Unterzuckerung, sondern auch bei der alltäglichen Umsetzung Ihrer Therapie. Studienergebnisse zeigen, dass es viel leichter fällt, mit dem Diabetes gut zurechtzukommen, wenn Sie dabei von anderen Menschen unterstützt werden. Das Sprichwort Geteiltes Leid, ist halbes Leid drückt das sehr schön aus. Gerade wenn Sie sich belastet oder gestresst fühlen, wirkt eine gute Unterstützung durch den Partner wie eine Art Stresspuffer.
Und ein gutes Gespräch mit einem Arzt, von dem Sie sich verstanden fühlen, kann sehr motivierend, manchmal sogar heilsam wirken.
Beim Tauchen brauchen Sie einen Partner, Buddy genannt, um sicher in die Tiefe tauchen zu können. Im Notfall würde er Ihnen, wie in der Tauchschule gelernt, zur Seite stehen. Beim Bergsteigen empfiehlt es sich, in einer fremden Bergregion bei einer anspruchsvollen Tour einen ortskundigen Bergführer zu buchen.
Dasselbe gilt auch für den Diabetes: Wenn Sie merken, dass Sie der Diabetes sehr belastet oder andere Dinge in Ihrem Leben das Management Ihrer Erkrankung erschweren, sollten Sie ebenfalls überlegen, ob Sie sich nicht professionelle Hilfe suchen. Ein Therapeut kann ich Ihnen vielleicht helfen, bestimmte Belastungen zu minimieren und Ihnen neue Perspektiven aufzeigen, wie Sie mit dem Diabetes wieder zurechtkommen können.
Unter www.diabetes-psychologie.de gibt es eine Liste von Psychologen und Psychotherapeuten, die spezielle Kenntnisse über Diabetes haben. Gespräche helfen bei Stress besser als Medikamente .
Wenn Sie merken, dass Ihre Diabetesbehandlung für Sie belastend ist oder Sie diese vernachlässigen, sollten Sie überlegen, ob Sie etwas an der Therapie ändern sollten. Vielleicht ist Ihre Therapieform für Sie nicht mehr passend oder sollte dringend überprüft werden? Es ist frustrierend, sich täglich anzustrengen, dann aber mit schlechten Blutzuckerwerten bestraft zu werden, nur weil die verschiedenen Therapiefaktoren nicht gut abgestimmt sind.
Sprechen Sie mit Ihrem Arzt eventuell auch darüber, ob Sie vorrübergehend die Ziele der Therapie modifizieren sollten – etwa, indem Sie akzeptieren, dass Sie weniger häufig Ihren Blutzucker messen als sonst, höhere Blutzuckerwerte anstreben oder vorrübergehend eine geringe Gewichtszunahme akzeptieren.
Gerade wenn Sie ein Motivationsloch haben, sollten Sie sich überlegen, noch mal an einer Diabetesschulung teilzunehmen. Die meisten Menschen mit Diabetes sagen nach dem Besuch einer Schulung, dass sie jetzt wieder mehr Motivation für den Alltag haben.
Der Austausch mit anderen wird zumeist als hilfreich erlebt. “Der Besuch einer Schulung ist für mich wie das Drücken eines Reset-Knopfes”, sagte vor kurzem eine Patienten: “Wie bei Monopoly gehe ich zurück zum Start und beginne eine neue Runde Diabetes. Und wie bei Monopoly werde ich dafür belohnt: statt mit Geld mit mehr Motivation und neuer Energie für den Diabetes.”
Öfter versteckt sich hinter einem Burn-out eine nicht entdeckte Depression. Diese kommen bei Menschen mit Diabetes etwa doppelt so häufig vor wie bei Menschen ohne Diabetes. Bei rund jedem 8. Patienten besteht neben dem Diabetes eine behandlungsbedürftige Depression; diese liegt dann vor, wenn Sie sich mindestens 14 Tage andauend niedergeschlagen fühlen, antriebslos sind und das Interesse an Dingen, die Ihnen sonst Freude machen, verlieren.
Falls dies bei Ihnen der Fall sein sollte, sprechen Sie Ihren Arzt an. Er kann Ihnen verlässlich sagen, ob der Zustand eher als ein Burn-out oder als eine Depression bezeichnet wird und was Sie dagegen tun können. Depressionen sind mit Gesprächen oder Medikamenten – oft auch in einer Kombination von beiden – gut behandelbar.
Kontakt:
Psychologischer Psychotherapeut, Fachpsychologe Diabetes, Diabetes Zentrum Mergentheim, E-Mail: kulzer@diabetes-zentrum.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2012; 61 (12) Seite 26-30
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