- Leben mit Diabetes
Zufrieden 100 werden
4 Minuten
Das Rezept für ein langes, glückliches Leben: gebraucht werden, ungekünstelt essen – und vor allem zufrieden sein. Damit ist die Wirtin Anna Marx über 100 Jahre alt geworden. Lernen wir was?
Es war vor drei Jahren im Oktober. Anna Marx, die Altwirtin vom „Ochsen“ in Ötlingen bei Weil am Rhein, war gerade 98 geworden. Da erlebte ich sie, wie sie ihrem Sohn Jürgen beim Backen des wunderbaren Bauernbrotes behilflich war; wie sie den Holzofen befeuerte; wie sie präzise Wasser in den Teig goß, den ihr Sohn Jürgen, der Wirt der über 100 Jahre alten Wirtschaft, knetete. Lange habe ich mich mit ihr damals unterhalten, sie erzählte mir, dass sie ihr ganzes Leben im Ochsen verbracht hatte – bis auf sieben Jahre, wo sie mit ihrem damaligen Mann, der nicht mehr aus dem Krieg zurückkam, im Schwäbischen lebte. Über das Brotbacken, die Anna Marx, ihren Sohn, die geliebten Enkelinnen, den Ochsen habe ich damals eine Geschichte geschrieben, die am Ende des Textes steht.
Hütet den Hund der Enkelin: Anna Marx
Viele kleine Fortsetzungen hat die damalige Begegnung gebracht. Fast immer, wenn ich wieder im Ochsen war, wo ich seit über 50 Jahren verkehre, habe ich sie besucht. Zu ihrem 99. Geburtstag brachte ich ihr ein Blümchen – aber da hielt sie gerade Mittagsruhe. Als ich eine Woche später wieder da war, sagte sie: „Danke, dass ihr mir zu meinem Geburtstag das Blümchen gebracht habt“, welch famose Gedächtnisleistung! Bei ihrem 100. Geburtstag besuchte ich sie – und fand sie glücklich in der hinteren Wirtsstube sitzend, für das ganze Dorf Hof haltend. Wobei in der vorderen Stube der Betrieb ganz normal weiter ging – wer so lange erfolgreich wirtschaftet, achtet immer auch aufs Geschäft.
Meist besuche ich sie in der Küche, wo sie immer am gleichen Tisch vor dem Holzofen sitzt. Wunderbar erzählen kann sie in ihrem weichen alemannischen Dialekt, den ich auch spreche. Von früher spricht sie, wie das Dorf noch von der Landwirtschaft geprägt war. Das Verschwinden von einem Stück Heimat bedauert sie – ohne dass sie das frühere harte Leben verklären würde. Immer leuchten dabei ihre Augen, auch wenn sie nicht mehr so gut sieht. Aber das Reden ist nicht alles, immer wieder bringen ihr Bedienungen Besteck zum Abtrocknen – und dann sagt sie mit verschmitztem Lächeln: „Jetzt mües i schaffe“. Sie merkt, dass sie gebraucht wird – und das ist gut so. Als ich neulich nur auf einen kurzen Sprung bei ihr war, meinte sie: “I ha scho ghört, dass er do sin – und ha scho Angschd cha, dass ihr nit kömmet“. Keine Angst, ich komme immer gern bei Ihnen vorbei, wo doch so viel Kraft von Ihnen ausgeht.
Als Autor von Kochbüchern habe ich natürlich auch nach dem Essen gefragt – und staune, wie sie, die fast 40 Jahre als „Küchenmamsell“ eine glückliche Gästeschar bekochte, immer noch alle Rezepte parat hat. Genau weiß, dass die Sieglinde-Kartoffel die beste Sorte für den Brägel ist, die alemannische Form der Bratkartoffel. Erstaunlich, was sie auf die Frage nach gesunder Ernährung über ihre eigenen Essgewohnheiten zum 101ten Geburtstag der Badischen Zeitung erzählte: „Bei uns wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Das habe ich immer so gehalten und nie eine Wissenschaft um die Ernährung gemacht. Das, was im Ochsen oft und gerne gekocht wird, esse ich auch am liebsten, also Braten, Gemüse und Kartoffeln. Und ich liebe unser selbst gebackenes Brot. Natürlich gehört im Markgräflerland auch mal ein Viertele oder wenigstens ein Schorle einfach dazu“.
„Ochsen“-Klassiker: Bauernwürste
Was mich am meisten beeindruckt, ist ihre Zufriedenheit. Immer ist sie mit sich im Reinen, strahlt eine positive Energie aus, erträgt die Bresten des Alters, die sie natürlich auch piesacken, mit großer Gelassenheit, jammert darüber nicht wirklich – „me cha jo doch nüt mache“. Das einzige, was sie wohl wirklich bedauert, dass sie als blitzgescheite Frau nur auf die Volksschule durfte. Um so mehr freut sie sich, dass die Enkelinnen die Möglichkeit hatten zu studieren – und wer weiß (und hoffentlich vielleicht) dereinst einmal im Ochsen einsteigen, auf dass diese einzigartige Wirtschaft, die ein Stück gelebte Kultur ist, eine Zukunft hat.
Lernen wir was? Es ziemt sich natürlich nicht, aus dem einmaligen Leben der Anna Marx allgemeingültige Schlüsse zu ziehen. Aber es sei mir gestattet, daraus einige Winke abzuleiten:
Wer in Würde altern will, braucht eine Aufgabe. Anna Marx wird in der Wirtschaft gebraucht. Andere werden gebraucht, um den Kindern vorzulesen – was einen selbst jung hält. Eine gute Bekannte in der Nähe von Stuttgart, die ohne groß krank zu sein, 104 Jahre alt wurde, hatte bis ins hohe Alter einen eigenen Garten, den sie mit Liebe und Hingabe pflegte. Das Blühen und Vergehen zu beobachten, macht demütig dem Leben gegenüber. Ich werde weiter meine Geschichten schreiben, das weckt meine Neugierde und hält mich auf Trab.
Die Ernährung ist wichtig. Aber vielleicht auch nicht so wichtig, wie wir sie (und natürlich auch ich) nehmen. So ungekünstelt nach dem Motto, was auf den Tisch kommt, wird gegessen, hat auch was. Wobei im Ochsen schon immer ordentlich gekocht wurde, früher mit eigenen Produkten, heute mit Frischem aus der Umgebung. Genau so wichtig wie das „was“, ist wohl auch das „wie“: Bei Anna Marx ist es das regelmäßige und natürlich auch mäßige Essen, verbunden mit feinem Genuss, wie etwa dem Viertele.
Genug ist genug, es lebe die Zufriedenheit. Das ist wohl die wichtigste Botschaft der Anna Marx. Einen Fernseher hatte sie nie, dafür hört sie gerne Radio und freut sich über die Hörbücher, die ihr die Familie schenkt. Ein wenig erinnert sie mich an meinen Großvater, der sein Geld als einfacher Arbeiter verdiente – und mir immer wieder von einem Ausflug in die Schweizer Alpen erzählte. Ein einziger Ausflug prägte sein Leben. Das kann vielleicht mehr Zufriedenheit schaffen, als die ewigen Reisen unserer Kampfrentner, die in ihren Erzählungen dann aber schon einmal Südafrika mit Südamerika verwechseln.
Müßige Gedanken, lästerliche Gedanken, die sich nicht gehören. Viel wichtiger ist, dass ich noch möglichst lange mit meinem Blümchen der wunderbaren Anna Marx zum Geburtstag gratulieren darf!
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
Website: www.lauber-methode.de
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche, 1 Tag
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina -
gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 1 Woche, 6 Tagen
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
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moira antwortete vor 1 Woche, 3 Tagen
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG
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hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 6 Tagen
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
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connyhumboldt antwortete vor 1 Woche, 1 Tag
Besorge Dir Pflaster die über Tattoos geklebt werden, wenn die neu gestochen sind! Oder Sprühpflaster das Stomapatienten benutzen!
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Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig