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Gesetzlich versicherte Menschen haben Anspruch auf medizinisch notwendige Behandlungsleistungen sowie auf Versorgung mit den dafür erforderlichen Hilfsmitteln. Allerdings kann grundsätzlich nur eine in diesem Sinne "ausreichende" Versorgungverlangt werden. Leistungen, die über das Maß des Erforderlichen hinausgehen, dürfen gemäß § 12 SGB V nicht von den Krankenkassen übernommen werden.
Blutzuckermessgeräte sowie die benötigten Teststreifen sind bei insulinpflichtigen Diabetikern zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfähig – in medizinisch notwendigem Umfang und ohne Mengenobergrenze. Bei Systemen zum kontinuierlichen Gukosemonitoring (CGM-Systemen) ist es dagegen schwieriger:
Diese sind nach Auffassung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA, er regelt den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen) als Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode(NUB) anzusehen. Gemäß § 135 SGB V dürfen solche nur erbracht werden, wenn der diagnostische und therapeutische Nutzen anerkannt ist, eine medizinische Notwendigkeit hierfür besteht und auch die Kriterien der Wirtschaftlichkeit erfüllt sind.
Der G-BA hat daher ein gesetzlich vorgesehenes Methodenbewertungsverfahren eingeleitet: Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat im Auftrag des G-BA die Datenlage untersucht und überprüft, inwieweit ein Nutzen von CGM anhand von Studien und Praxisberichten nachgewiesen ist. Der Abschlussbericht liegt seit Mai 2015 vor, die endgültige Entscheidung des G-BA dürfte frühestens Ende diesen Jahres fallen.
Man kann wohl davon ausgehen, dass es keine generelle Kostenübernahme geben wird; ein kategorisches Nein ist aufgrund der Datenlage allerdings auch nicht mehr zu befürchten.
Zwar ist ein CGM nicht für alle Diabetiker sinnvoll bzw. bringt nicht jedem etwas – aber wenigstens für einige Konstellationen sieht das IQWiG den Nutzen eines CGM als hinreichend belegt. So ist zu erwarten, dass es für Diabetiker mit schweren Unterzuckerungen (also solchen, die eine Hilfe anderer erforderlich machen) in Zukunft wahrscheinlich einfacher wird, ein CGM-System auf Krankenkassenkosten zu erhalten. Auch bei Kindern werden die Hürden wohl geringer gesetzt werden.
Wer allerdings keine nennenswerten Unterzuckerungen hat bzw. gut und stabil eingestellt ist, der wird wahrscheinlich auch künftig wohl kein CGM-System bekommen. Denn wie gesagt: Die Krankenkasse zahlt nur, wenn etwas "notwendig" ist. Reiner Komfort oder eine Verbesserung der Lebensqualität allein sind nachrangig.
Bis zur Entscheidung des G-BA dürfen Krankenkassen auch weiterhin nur in begründeten Ausnahmefällen die Kosten für solche Systeme übernehmen. Es muss daher nachgewiesen werden können, dass der Einsatz eines CGM-Systems aus medizinischen Gründen zwingend notwendig ist und der gleiche Zweck nicht bereits durch eine deutlich höhere Anzahl von Selbstmessungen erreicht werden kann (die bei entsprechender Notwendigkeit erstattet werden).
Es ist allerdings nicht unumstritten, dass der G-BA die CGM-Systeme als "neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode" ansieht. Wenn ein CGM-System nur ein "Hilfsmittel" wäre – also vergleichbar mit einem Blutzuckermessgerät –, dann lägen die Hürden deutlich niedriger.
Am 8. Juli nun hatte das Bundessozialgericht in Kassel über die Klage einer Diabetikerin gegen ihre Krankenkasse (DAK) zu entscheiden (AZ: B 3 KR 5/14 R).
Die Klägerin wollte dort die Erstattung der Kosten für ihr selbst beschafftes "Continuous Glucosemonitoring System" nebst Verbrauchsmaterialien (Sensoren) durchsetzen. Sie machte geltend, dass es sich beim CGM-System nicht um eine NUB handele, denn es komme lediglich zum Einsatz als ergänzendes Messgerät im Rahmen der etablierten Diabetestherapie; diese werde auch nicht wesentlich dadurch verändert, dass die Glukosemessung kontinuierlich im Unterhautfettgewebe erfolge und nicht wie bei der Selbstmessung im Vollblut oder Plasma.
Die Vorinstanzen hatten die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass es sich beim Einsatz eines CGM schonum ein anderes neues Konzept im Rahmen einer vertragsärztlichen Behandlungsmethode handele. Die Glukosekonzentration werde nicht im Blut gemessen, sondern in der Gewebeflüssigkeit im Unterhautfettgewebe. In diesem Bereich liege eine leicht erniedrigte Zuckerkonzentration vor, so dass der mittels des CGM-Systems bestimmte Wert nicht demjenigen der Blutzuckerkonzentration entspreche.
Zudem ergebe die konventionelle Blutzuckermessung Momentaufnahmen, während Ziel der CGM-Systeme sei, den Glukoseverlauf über einen längeren Zeitraum abzubilden und damit langfristig die Stoffwechsellage von Diabetikern zu verbessern. Das Bundessozialgericht kam zum Schluss, dass Systeme zur "kontinuierlichen Messung des Zuckergehalts im Unterhautfettgewebe" (CGM) kein Hilfsmittel seien, sondern als NUB anzusehen seien.
Diese unterschieden sich "im Hinblick auf die diagnostische Wirkungsweise sowie mögliche Risiken und Aspekte der Wirtschaftlichkeit erheblich von der herkömmlichen Blutzuckermessung" und stellten daher eine "neue, bisher nicht anerkannte Untersuchungsmethode" dar. Solange der Gemeinsame Bundesausschuss hierzu keine positive Empfehlung abgegeben habe, bestehhe daher kein Anspruch auf Versorgung mit den Hilfsmitteln, die für die kontinuierliche Blutzuckerbestimmung erforderlich seien.
Das Urteil ist bedauerlich, aber im Ergebnis nicht unerwartet. Sich den Blutzucker im Finger zu messen, um aufgrund eines solchen Echtzeitwertes sofort reagieren zu können, ist nämlich schon etwas anderes, als einen im Unterhautfettgewebe gemessenen Wert bzw. Trend abzulesen, der vor etwa 20 Minuten im Blut vorlag. Und die Datenmenge, die ein CGM-System liefert, erlaubt ganz andere Einblicke und diagnostische Möglichkeiten als nur sporadische Selbstmessungen.
Es ist daher nicht vollkommen überraschend, dass nach den Vorinstanzen auch das Bundessozialgericht ein CGM und die damit eröffneten Therapiemöglichkeiten als NUB eingestuft hat. Welche grundsätzlichen Voraussetzungen das Bundessozialgericht aufstellt und ob die Entscheidung auch Auswirkungen auf die Erstattung von Messgeräten wie FreeStyle Libre (wir berichteten mehrfach) hat, wird man seriöserweise aber erst dann abschätzen können, wenn die Urteilsbegründung vorliegt.
Eines kann man aber jetzt schon sagen: Das Urteil heißt nicht, dass es generell kein CGM auf Krankenkassenkosten gibt! Es wird nun halt noch einige Monate länger dauern, bis die Voraussetzungen geklärt sind: Ob Krankenkassen eine NUB bezahlen dürfen, hängt u. a. davon ab, ob deren medizinischer Nutzen nachgewiesen ist. Der dafür zuständige G-BA hat dazu ein Methodenbewertungsverfahren eingeleitet; das Ergebnis lag im Mai 2015 vor und war durchaus positiv.
So gut wie sicher ist aber trotz dieses Urteils, dass ein CGM künftig in bestimmten Fällen verordnet werden darf, vor allem wohl bei Problemen durch häufige bzw. schwere Unterzuckerungen. Umgekehrt ist aber auch klar: Es wird nicht für jeden ein CGM geben. Die Entscheidung des G-BA wird gegen Ende des Jahres erwartet.
Man kann nun darüber spekulieren, dass das Urteil möglicherweise auch deshalb so ausfiel, weil die Klägerin nicht optimal argumentiert bzw. auch nicht alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Auch wäre es für ein solches Verfahren vor dem höchsten Sozialgericht zwingend geboten gewesen, Stellungnahmen der ärztlichen Fachgesellschaft einzuholen und in den Prozess einzubringen.
Denn andere Gerichte haben in vergleichbaren Fällen durchaus anders, positiver entschieden:
Ob und inwieweit diese Rechtsprechung nun durch das Urteil des Bundessozialgerichts komplett überholt ist, wird man erst dann abschätzen können, wenn die Urteilsbegründung vorliegt.
Und dann bleibt ja auch noch die Aussicht, dass der G-BA die Verordnung von CGM zumindest in bestimmten Fällen empfehlen bzw. zulassen wird.
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