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Rechtsanwalt Oliver Ebert gibt Ihnen in der Rubrik Rechteck Antworten auf Rechtsfragen rund um das Thema Diabetes.
Wir brauchen dringend ihre Hilfe! Unsere Tochter Emily möchte eine Ausbildung im August 2019 als Fachkraft für Lagerlogistik anfangen. Sie hatte sich bei einer Firma beworben, wo sie eigentlich auch anfangen kann. Die Betriebsärztin lässt unsere Tochter Emily nicht zu, weil sie Diabetes Typ 1 hat und eine Gefahr für sich und andere Menschen darstellt, laut Aussage der Ärztin. Unsere Tochter hat seit 11 Jahren Diabetes, trägt eine Pumpe und einen Sensor und ist alle drei Monate beim Diabetologen.
Die Betriebsärztin schreibt, dass unsere Tochter engmaschig messen und kontrolliert werden muss, was die Pumpe ja übernimmt, und das alle 5 Minuten, mehr geht nicht. Die Ärztin hat auch kein Gutachten von unserem Facharzt angefordert, was dieser seltsam findet. Die Betriebsärztin ließ sich auf kein Gespräch ein, sie bestand nur auf den HbA1c-Wert, der bei 8,0 liegt. Jeder weiß, dass dieser Wert immer unterschiedlich ist.
Unsere Tochter ist nicht ein Mal in den 11 Jahren stationär wegen einer Unterzuckerung oder Überzuckerung aufgenommen worden, was eigentlich für sich spricht. Was sollen wir jetzt machen?
Familie R.
Leider ist die Situation nicht ganz einfach. Zwar kann ich – auch wenn ich kein Mediziner bin – schon aus Ihren Angaben entnehmen, dass die Auffassung der Betriebsärztin fachlich wohl so nicht haltbar sein dürfte. So gibt es zum Beispiel überhaupt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass allein der HbA1c-Wert einen Rückschluss auf die Arbeitsfähigkeit zulässt. Auch hat man bislang keinerlei wissenschaftlichen Beweis (Evidenz), dass aus medizinischer Sicht bei einem höheren HbA1c-Wert als 8 Prozent eine solche Tätigkeit nicht ausgeübt werden könne.
Gegen eine derart falsche Entscheidung der Betriebsärztin kann man zunächst allerdings wenig machen. Erst wenn es anschließend – also aufgrund dieser fehlerhaften Einschätzung der Betriebsärztin – zu einer Ablehnung kommt, dann könnte Ihre Tochter rechtlich vorgehen.
Man könnte vom ablehnenden Arbeitgeber dann möglicherweise Schadensersatz auf Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) fordern, denn die ungerechtfertigte Ablehnung allein aufgrund der Diabetes-Erkrankung ist eine unzulässige Diskriminierung, die er als Auftraggeber der Betriebsärztin zu verantworten hat.
Auch die Betriebsärztin selbst könnte unter Umständen auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Allerdings: In beiden Fällen bekommt man allenfalls Geld, eine Einstellung kann man nicht erzwingen.
Daher empfehle ich, dass Sie die Betriebsärztin nochmals deutlich darauf hinweisen, dass es nach aktuellem medizinischem Stand keinerlei Grund dafür gibt, dass Ihre Tochter aufgrund des Diabetes die vorgesehene Tätigkeit nicht ausüben können soll. Dabei können Sie auch auf den „Leitfaden für Betriebsärzte zu Diabetes und Beruf“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung verweisen, der in Zusammenarbeit mit den Experten der Deutschen Diabetes Gesellschaft entwickelt wurde.
Auch hieraus ergibt sich eindeutig, dass man im Fall Ihrer Tochter wohl keine Bedenken zu haben braucht. Bitten Sie die Betriebsärztin um Begründung, warum sie denn der Auffassung ist, dass diese Expertenmeinung im Fall Ihrer Tochter nicht anwendbar sei?
Sollte die Betriebsärztin auf ihrer Meinung bestehen, dann verbleibt wohl nur noch die Möglichkeit, dass Sie sich direkt an den Arbeitgeber wenden und mit diesem über die offensichtlich unbegründeten Vorbehalte der Betriebsärztin sprechen. Wenn er an einer Einstellung Ihrer Tochter ernsthaft interessiert ist, dann wird sich sicherlich ein Lösungsweg finden. Grundsätzlich können Sie auch die Untersuchung durch einen anderen Betriebsarzt verlangen; diese Kosten muss man dann aber in der Regel selbst tragen.
von Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart oder
Friedrichstraße 49, 72336 Balingen
E-Mail: Sekretariat@rek.de
Internet: www.diabetes-und-recht.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (8) Seite 56-57
5 Minuten
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