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Mit Diabetes kann man in manchen Situationen diskriminiert und benachteiligt werden. Aber ist jede Ungleichbehandlung gleich Diskriminierung? Wie sieht es in juristischer Hinsicht aus? Und wie kann man sich gegen diskriminierendes Verhalten wehren? Rechts-Experte Oliver Ebert gibt darauf Antworten.
Unhöfliche und taktlose Menschen nehmen kaum Rücksicht darauf, ob jemand eine Krankheit hat oder sonst benachteiligt ist. Gerade Menschen, die gewissen Schönheitsidealen nicht entsprechen oder die stark übergewichtig sind, werden häufig herabsetzend angesprochen oder verächtlich angeschaut. Aber handelt es sich dabei um Diskriminierung? Oder sind das eher Grobheiten und Beleidigungen ohnehin rücksichtsloser Menschen, die sich gegen jedermann so verhalten? Tatsächlich hängt die Einordnung meist vom Einzelfall und den jeweiligen Umständen ab.
Der Staat ist durch das Grundgesetz zur generellen Gleichbehandlung aller Menschen verpflichtet. Ungleichbehandlungen dürfen nur im Ausnahmefall erfolgen, insbesondere nur dann, wenn dies zum Erreichen eines legitimen Zwecks erforderlich ist und dies mit anderen Mitteln nicht erreicht werden kann. Einige Formen von Ungleichbehandlung sind allerdings nicht nur rechtlich geboten, sondern auch legitim.
Ein Beispiel ist der erhöhte Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen: Dies stellt eine (positive) Ungleichbehandlung im Vergleich zu nicht behinderten Menschen dar, die solchen Schutz nicht genießen.
Nicht jede Ungleichbehandlung birgt daher eine Diskriminierung. Nehmen wir das Beispiel eines Kindes mit Diabetes, bei dem der Lehrer das Durchführen von Blutzuckermessungen bzw. das Insulinspritzen verweigert: eine schwierige Situation – vor allem für Alleinerziehende. Aber ist das eine Diskriminierung, wenn ein Lehrer ausnahmsweise nicht bereit ist, freiwillig und auf eigenes Risiko medizinische Leistungen zu erbringen? Für die er weder zuständig noch ausgebildet ist?
Oder im Straßenverkehr: Manche Führerscheinbewerber mit Diabetes müssen ein Gutachten bringen, andere nicht. Das scheint ungerecht – tatsächlich haben Letztere einfach Glück gehabt, denn die Behörde darf ein solches Gutachten fordern bzw. Auflagen erteilen, muss es aber nicht in jedem Fall.
Ist das wenigstens deswegen diskriminierend, weil man ohne Diabetes ja schließlich kein Gutachten bringen müsste? Auch hier: aus meinem Blickwinkel nein! Denn der Diabetes (genauso wie Epilepsie etc.) kann die Fahreignung beeinträchtigen. Natürlich bringt das Einholen eines solchen Gutachtens für die Betroffenen eine (finanzielle) Belastung – aber es ist doch viel wichtiger, dass eine Gefährdung (auch des Betroffenen selbst!) erkannt und vermieden wird. Und wenn es aus ärztlicher Sicht keine Bedenken gibt, dann darf man ja fahren.
Selbstverständlich gibt es auch Fälle, die ganz klar diskriminierend sind – zum Beispiel, wenn Stellenbewerber nur aufgrund des Diabetes abgelehnt werden. Eine Diskriminierung sind für mich auch die (uralten) Tauglichkeitsvorschriften bei Polizei und Bundeswehr, die insulinpflichtigen Diabetikern pauschal den Dienst an der Waffe untersagen. Ebenfalls für problematisch halte ich, dass Menschen mit chronischer Krankheit aufgrund der vorgelagerten Gesundheitsprüfung meist keine vernünftige Berufsunfähigkeits- oder Lebensversicherung erhalten können.
Ist Ihnen der folgende Witz über Diabetiker auch schon begegnet?
„Was ist braun und schmeckt nach Karamell?“
„Ein Diabetiker nach einem Blitzeinschlag.“
Mit Witzen über Diabetiker habe ich als Betroffener keine Probleme; ich lache auch gern mit – zumindest wenn sie nicht so flach sind wie dieses Beispiel. Mir selbst sind auch schon Wortspiele eingefallen, die nicht nur in froher Runde und beim Wein als kreativ empfunden wurden.
Manche Betroffene finden Witze über ihre Krankheit aber nicht lustig – und sehen darin eine Diskriminierung, fühlen sich verletzt. Wieder andere erzählen sich solche Witze zwar untereinander, finden es aber gar nicht lustig, wenn ein “Diabetikerwitz” als solcher in der Tageszeitung erscheint. Und dann gibt es jene, die selbst keinen Diabetes haben, die aber zu wissen glauben, wie wir Diabetiker uns bei solchen Witzen fühlen müssen; die uns als Diskriminierungsopfer brandmarken und im Namen der political correctness am liebsten überall gegen solche Witze vorgehen würden.
Man sieht an dem Beispiel, dass es gar nicht so einfach ist, zwischen Spaß, Unhöflichkeit bzw. Taktlosigkeit oder einer Diskriminierung zu unterscheiden. Eine pauschale Antwort kann es in solchen Fällen nicht geben. Letztlich kommt es immer auf die Situation an – und vor allem auch auf die tatsächliche oder mutmaßliche Absicht, die hinter einer solchen Äußerung steckt.
Wenn also jemand einen Diabetikerwitz macht: Denken Sie wirklich, dass er Sie als Diabetiker damit ins Abseits stellen will? Dass er sich damit über Sie als Person und Mensch lustig macht? Wenn ja, sollten Sie ein ernstes Wort mit ihm sprechen und klarmachen, dass Sie sich das nicht gefallen lassen. Ansonsten: Was spricht dagegen, einfach mitzulachen? Ich halte nichts davon, all das in vorauseilendem Gehorsam aus dem Sprachgebrauch zu verbannen, was womöglich irgendwelche Befindlichkeiten stören oder bei jemanden “in den falschen Hals” gelangen könnte.
“Diabetiker” oder “Menschen mit Diabetes”: Diese Diskussion kennen Sie sicher. Nicht selten wird deshalb in manchen Zeitungen oder Internet-Blogs auf den Begriff “Diabetiker” komplett verzichtet. Ich selbst erhalte regelmäßig belehrende und teilweise böse Kommentare, weil ich in Vorträgen und in meinen Artikeln von “Diabetikern” spreche. Das sei eine Diskriminierung, denn die Betroffenen würden durch eine solche Bezeichnung stigmatisiert und in eine Kategorie eingeordnet. Es handele sich schließlich nicht um eine eigene Spezies “Diabetiker”, sondern es seien ganz normale Menschen mit einer Krankheit – eben “Menschen mit Diabetes”.
Ehrlich gesagt hatte ich mir als Betroffener darüber nie irgendwelche Gedanken gemacht; ich bin nicht einmal auf die Idee gekommen, dass ich durch die Bezeichnung “Diabetiker” – die ja zugleich eine Zustandsbeschreibung darstellt – diskriminiert werden könnte bzw. jemand dies durch Verwendung dieses Wortes beabsichtigen würde. Eine Abwertung oder Ausgrenzung kann ich beim besten Willen nicht erkennen.
Aber vielleicht tanze ich hier etwas aus der Reihe? Könnte schon sein, denn ich habe schließlich nicht mal ein Problem damit, wenn man mich (objektiv vollkommen zutreffend)als Brillenträger bezeichnet – anstatt vollkommen wertneutral als “Mensch mit durch Sehhilfe ausgleichbarer Sehbehinderung” …
Erst recht verstehe ich nicht, warum es besser sein soll, wenn man nun künstlich zwischen “normalen” Menschen und “Menschen mit Diabetes” unterscheiden will? Das ist in meinen Augen ziemlich unnötig, unlogisch und dürfte in Konsequenz wohl wirklich eine Diskriminierung darstellen.
Sicherlich haben Sie bemerkt, dass wir im Diabetes-Journal keine Scheu haben, das Wort Diabetiker zu benutzen. Auch das war nicht ganz selbstverständlich. Ich erinnere mich an eine Redaktionskonferenz: Dort wurde von manchen gefordert, dass der Begriff im Heft künftig besser vermieden werden solle.
Bei der Diskussion zeigte sich, dass vor allem solche Kollegen (geschlechtsneutral formuliert) ein Problem mit der Bezeichnung “Diabetiker” hatten, die selbst keinen Diabetes haben. Sie wollten uns “Menschen mit Diabetes” vor der Diskriminierung schützen, die mit dem Begriff “Diabetiker” einherginge. Als Betroffener fand ich es damals etwas unglücklich, dass Unbeteiligte darüber befinden wollen, wie wir Diabetiker uns zu fühlen haben.
Ich wette, dass die meisten Betroffenen genau wie ich überhaupt kein Problem damit haben, als Diabetiker bezeichnet zu werden. Und ich finde: Wer Diabetiker pauschal als hilfebedürftige Diskriminierungsopfer betrachtet, sollte sich überlegen, ob er (oder sie) nicht dadurch selbst diskriminiert.
“Dick, dumm, Diabetes”: Dieser Spruch war bis vor 10 Jahren recht verbreitet und spiegelte mehrere böse Vorurteile wider. Zum einen wird die Unterstellung transportiert, dass Diabetiker selbst schuld an der Krankheit seien, weil sie ihr Essverhalten nicht im Griff hätten. Dann wird suggeriert, dass Menschen mit Diabetes weniger leistungsfähig sind – körperlich wie auch intellektuell – und natürlich, dass alle Diabetiker übergewichtig und dumm seien bzw. umgekehrt.
Vor allem übergewichtige Menschen werden oft konfrontiert mit abwertenden Blicken und bösen, herablassenden Bemerkungen – Beispiel Supermarkt: Übergewichtige mit einem vollen Einkaufswagen müssen sich teils böse Kommentare anhören – vor allem, wenn sie es auch noch wagen, so “ungesunde Dinge” wie Schokolade oder Cola einzukaufen. Von normalgewichtigen Menschen erwartet jedoch niemand eine Rechtfertigung – auch wenn Dickmacher wie Chips, Süßigkeiten oder Alkohol im Einkaufskorb liegen.
Eine aktuelle Studie der DAK (bit.ly/2nmnPEB) zeigt, dass Menschen, die nicht ins typische “Schlank-Schema” passen, von Normalgewichtigen abgelehnt und bewusst oder unbewusst ausgegrenzt werden. Ich bin kein Freund der heute allgegenwärtigen “Sprachpolizei”, die aufgrund eines unbedachten Wortes schnell mal eine Welle der Empörung lostreten kann: Aber hier könnte man nach meiner Auffassung tatsächlich etwas ändern, indem man sich in der Gesellschaft zu einer respektvolleren Sprache durchringt.
Begriffe wie “fett, korpulent, dick” klingen abwertend und negativ; meist wird im Kontext damit suggeriert, dass die Betroffenen am Übergewicht selbst schuld sind – und der Allgemeinheit durch unnötige Krankheitskosten zur Last fallen. Wünschenswert wäre für mich die Verwendung neutraler Begrifflichkeiten ohne Wertung. Anders als bei Diabetikern, deren Krankheit sich ja optisch nicht zeigt, könnte es bei Übergewicht hilfreich sein, zum Vermeiden von Vorurteilen aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds den Krankheitsaspekt hervorzuheben: “Menschen mit Adipositas” klingt respektvoller als “dicke Menschen”.
Auch die Medien sind hier leider selten ein gutes Vorbild: Oft werden stark übergewichtige Menschen in TV-Shows oder “Soaps” vorgeführt und als dumm bzw. unbeholfen dargestellt. Und oft wird bewusst eine unvorteilhafte Kameraperspektive gewählt; in besonders zynischen Fernsehformaten werden unvorteilhafte Kleidung, Schwitzflecken bzw. Schweißperlen provoziert und bewusst in Szene gesetzt.
Auch in Krimis oder Actionfilmen wird häufig ein vollkommen falsches Bild von Diabetikern vermittelt: Meist stehen diese im Film kurz vor dem Tod und warten dringend auf das lebensrettende Insulin, was für das Happy End dann gerade noch rechtzeitig eintrifft. Die Wirklichkeit sieht natürlich anders aus – und dies nicht allein deswegen, weil im Fall einer Unterzuckerung die Gabe von Insulin die denkbar schlechteste Hilfeleistung wäre. Menschen, die einen solchen Film ansehen und bislang von Diabetes noch nichts wissen, bekommen durch diese Darstellungen jedoch einen komplett falschen Eindruck von der Krankheit vermittelt.
Wer bei der Bewerbung seinen Diabetes angibt, der muss damit rechnen, dass er eine Absage bekommt (das gilt auch für andere Krankheiten oder für einen vorhandenen Schwerbehindertenausweis). In der Regel wird die Ablehnung allerdings mit einer nichtssagenden Floskel begründet. Nur selten wird der eigentliche Grund offensichtlich. Nun: Natürlich muss und darf der Arbeitgeber prüfen, ob ein Bewerber die für die Tätigkeit erforderlichen Voraussetzungen mitbringt. Ist dies nicht der Fall, dann darf er die Bewerbung ablehnen. Dies ist für den Betroffenen zwar traurig, aber stellt keine unzulässige Diskriminierung dar.
Anderes gilt jedoch, wenn pauschal darauf abgestellt wird, dass man mit Diabetes für die Tätigkeit nicht geeignet sei, obwohl eine Einzelfallprüfung etwas anderes ergeben hätte. So ist mir der Fall eines Gerüstbauers bekannt, bei dem ein insulinpflichtiger Diabetes diagnostiziert wurde. Der Arbeitgeber ging pauschal und ohne weitere Prüfung davon aus, dass der Arbeitnehmer aufgrund des Diabetes nicht mehr “aufs Gerüst dürfe”; der Arbeitnehmer wurde also gekündigt.
Tatsächlich sind solche pauschalen Bedenken aus medizinischer Sicht nicht gerechtfertigt: Allein aufgrund eines insulinpflichtigen Diabetes ist man für den Beruf des Gerüstbauers nicht ungeeignet. Natürlich gibt es ein Risiko, dass man überraschend in eine Unterzuckerung kommt und dann Dinge vom Dach herunter fallen lässt oder gar selbst vom Dach fällt. Diese Risiken kann man in der Regel bereits durch Einhalten der gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutz- und Sicherungsmaßnahmen geringhalten – beispielsweise durch vorschriftsmäßiges Anleinen, Absperrungen oder Fangnetze.
Im vorliegenden Fall hätte der Betroffene wohl erfolgreich gegen die Kündigung vorgehen können. Zudem hätte er wohl aufgrund seiner Behinderung auch Schadensersatz wegen dieser offensichtlichen Diskriminierung erhalten, wenn er vor Gericht gegangen wäre. Er hatte allerdings sogleich einen anderen Job gefunden und wollte sich mit seinem ehemaligen Arbeitgeber nicht herumstreiten.
Auch in Bewerbungsgesprächen wird noch immer pauschal nach Krankheiten oder einem Schwerbehindertenausweis gefragt. Derartige Fragen sind jedoch grundsätzlich unzulässig und müssen nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden. Denn bei realistischer Betrachtung ist es doch klar, warum Arbeitgeber solche Fragen im Vorfeld stellen: um nämlich möglichst niemanden einzustellen, der solche Risiken mitbringt.
… so die wenig charmante Bemerkung einer wenig charmanten Truppenärztin, die damit meiner weiteren Offizierslaufbahn ein jähes Ende versetzte. Hintergrund: Ich hatte meine Bundeswehrzeit als Offizier abgeschlossen und begann mit dem Studium. In den Semesterferien leistete ich Wehrübungen ab, die aufgrund meines Dienstgrades sehr ordentlich bezahlt wurden. Mit 21 bekam ich dann den Diabetes diagnostiziert, was mich nicht davon abhielt, mein Leben wie gewohnt weiterzuführen.
Dummerweise teilte ich unbekümmert zu Beginn der nächsten Wehrübung den zwischenzeitlich aufgetretenen Diabetes ganz pflichtgemäß mit. Das war keine gute Idee, denn die Tauglichkeitskriterien der Bundeswehr sahen damals (wie heute) pauschal vor, dass insulinpflichtige Diabetiker nicht wehrtauglich sind (gemäß Zentraler Dienstvorschrift [ZDv] 46/1, GNr 10).
Der Truppenärztin, die mich untersuchte, war es egal, dass mich der Diabetes im zivilen Leben, im Studium, im Alltag, im Sport wie auch in der konkreten Verwendung als Führungsoffizier nicht beeinträchtigte. Für sie war klar: Menschen mit Behinderung können nichts und taugen nichts – genau so hat sie mir das deutlich zum Ausdruck gebracht.
Kritisch ist es vor allem für Kinder und Jugendliche, die den Diabetes noch nicht selbst managen können. Auch im Berufsleben kann es verstärkt zu Diskriminierung kommen.
Es kommt darauf an, ob die Ungleichbehandlung einen sachlichen Grund hat, also nicht willkürlich erfolgt. Die Führerscheinbehörde kann beim Vorliegen eines Diabetes ein Gutachten verlangen, welches der Betroffene dann auf eigene Kosten erstellen lassen muss. Das sieht auf den ersten Blick nach einer Diskriminierung aus, denn gesunde Menschen bleiben hiervon verschont; zudem wird auch nicht von jedem Diabetiker ein solches Gutachten verlangt. Die Behörde muss jedoch sicherstellen, dass durch die Teilnahme am Straßenverkehr keine unkalkulierbaren Risiken für die Allgemeinheit und den Betroffenen entstehen. Die Anordnung eines Gutachtens dient also nicht dazu, einen Diabetiker auszugrenzen oder zu benachteiligen.
Hier ein ganz klares Nein. Diabetiker sind genauso leistungsfähig wie andere Menschen. Man würde sich selbst ausgrenzen, wenn man pauschal eine solche Sonderstellung einfordert. Umgekehrt ist aber auch klar: Wenn Sonderrechte benötigt werden, um eine Chancengleichheit herzustellen, dann sollten diese auch gewährt werden.
Ich ging damals gegen diese maßlose Entgleisung nicht vor; wahrscheinlich hätte das wohl auch nichts gebracht. Zwischenzeitlich sind aber einige Jahre vergangen; derartige Äußerungen wird sich heute in der Bundeswehr niemand mehr erlauben. Trotzdem bestehen die diskriminierenden Tauglichkeitsvorschriften nach wie vor, obwohl sich in medizinischer und diagnostischer Hinsicht ja enorm viel getan hat (Gleiches gilt für Polizei, Bundesgrenzschutz).
Allerdings: Es besteht gewisse Hoffnung, dass sich hier vielleicht doch mal eine Änderung ergibt: Die Schweiz wurde nämlich vor einiger Zeit vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, weil auch dort Diabetiker pauschal als wehruntauglich angesehen wurden. Das Gericht stellte fest, dass eine solche pauschale Untauglichkeitsbewertung eine unzulässige Diskriminierung darstellt (EGMR, Glor./Schweiz, AZ 13444/04 vom 30.04.2009).
Glücklicherweise ist es zwischenzeitlich weithin anerkannt, dass Menschen mit Diabetes genauso oder zumindest annähernd leistungsfähig, einsetzbar und belastbar sind wie gesunde Menschen. Es ist auch mit eines der wichtigsten Anliegen und Ziele der Patientenverbände, dass Diabetiker im Alltagsleben ganz “normal” behandelt werden.
“Ich habe Diabetes – mir steht doch ein Schwerbehindertenausweis zu?”, “Bekomme ich als Diabetiker Prüfungserleichterungen?”, “Muss ich denn Überstunden machen, ich bin doch Diabetiker?” – solche und ähnliche Anfragen, welche Sonderrechte es denn aufgrund des Diabetes gäbe, erreichen mich trotzdem regelmäßig. Ich finde es betrüblich, dass manche Betroffene sich ohne Not selbst stigmatisieren oder eine Diskriminierung geradezu provozieren.
Warum sollte man denn keine Überstunden machen müssen, nur weil man Diabetiker ist? Oder warum sollte man nur aufgrund der Diagnose Diabetes gegenüber seinen Mitschülern bzw. Mitstudenten automatisch einen Vorteil bei Klassenarbeiten bekommen? Anders herum wird ein Schuh daraus: Wenn es aufgrund des Diabetes zu derartigen Einschränkungen kommt, dass ein Vergleich mit der Leistung eines Gesunden unfair wäre, dann kann man natürlich verlangen, dass das bestmöglich ausgeglichen wird.
Wenn der Diabetes aber gar keine nennenswerte oder für die Tätigkeit relevante Einschränkung mitbringt, dann ist nicht einleuchtend, warum es dafür Sonderrechte geben sollte. Der Arbeitgeber oder die Arbeitskollegen, die im Zweifel die Mehrarbeit machen müssten, können schließlich ja auch nichts dafür, dass man die Krankheit bekommen hat.
Es ist daher sehr wichtig, mit den Kollegen offen über etwaige Einschränkungen zu sprechen. Probleme am Arbeitsplatz entstehen nämlich oftmals durch unausgesprochene Konflikte, die sich hochschaukeln.
Es kommt dann nicht selten zu Mobbing und zu einem sehr unguten Klima im Betrieb. Diabetiker haben ein Recht darauf, dass man auf die mit der Krankheit verbundenen Einschränkungen Rücksicht nimmt. Umgekehrt ist der Diabetes kein Freibrief, gegenüber Kollegen jede Rücksichtnahme vermissen zu lassen: Wenn sich Kollegen durch den Anblick von Blut oder einer Kanüle belästigt fühlen und sich hier keine Lösung im Gespräch finden lässt, so sollten Sie Rücksicht nehmen und sich hierzu eben etwas zurückziehen.
Zum Thema “Messen und Spritzen am Arbeitsplatz” gibt es bislang meines Wissens zwar noch kein Gerichtsurteil, was aber daran liegen mag, dass dies in der Praxis grundsätzlich kaum ein Problem darstellt. Im schlimmsten Fall können hierzu ja auch Rauch- oder Toilettenpausen genutzt werden.
Auch wenn man bestimmte Tätigkeiten nicht mehr machen kann und Kollegen diese dann übernehmen müssen, sollte man kein böses Blut entstehen lassen. Denn man sieht Ihnen den Diabetes ja nicht an – wer nichts äußerlich Erkennbares hat, aber als Schwerbehinderter keine Mehrarbeit machen muss, gilt im Kollegenkreis recht schnell als Drückeberger.
von Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte
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E-Mail: Sekretariat@rek.de
Internet: www.diabetes-und-recht.de
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2018; 67 (3) Seite 16-25
5 Minuten
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