Fahren trotz „ärztlichen Fahrverbots“: Straftat?

4 Minuten

© benjaminnolte - AdobeStock
Fahren trotz „ärztlichen Fahrverbots“: Straftat?

Rechtsanwalt Oliver Ebert gibt Ihnen in der Rubrik Rechteck Antworten auf Rechtsfragen rund um das Thema Diabetes.

Die Frage:

Ich bin sowohl Angehörige eines Diabetes-Patienten (Typ 1, seit 12 Jahren) als auch Polizeibeamtin und seit 6 Jahren ausschließlich mit der Aufnahme von schweren Verkehrsunfällen betraut.

Mit Verwunderung habe ich gelesen, dass Sie (in Heft 3/2019, auf S. 28) eine Straftat nach § 315c StGB bejahen, sobald ein Patient trotz ärztlichem Fahrverbot ein Kraftfahrzeug führt.
Für eine Strafbarkeit nach § 315c StGB ist zwar ein körperlicher Mangel erforderlich, belegt durch ein zeitlich begrenztes Fahrverbot. Zwingend hinzu kommt jedoch eine Gefährdung von Personen oder Sachen von bedeutendem Wert, welche durch den körperlichen Mangel hervorgerufen wird.

Also ein beinahe-Unfall, der nur durch einen glücklichen Zufall gerade so nicht passiert ist. Beispiele hierfür ist, dass der Fahrzeugführer auf die Gegenfahrbahn gerät und der entgegenkommende Fahrer in letzter Sekunde bremsen kann. Bei Sachen muss lt. Rechtsprechung sogar ein Unfall mit einem Fremdschaden in ca. 1800 Euro Höhe geschehen, damit der § 315c StGB bejaht wird.

Der von Ihnen angesprochene Straftatbestand ist nämlich ein sog. Gefährdungsdelikt, bei dem ein Fremdschaden (beinahe) passiert sein muss.

Barbara I.


Die Antwort von Oliver Ebert:

Herzlichen Dank für Ihre Leseranfrage zu meinem Beitrag aus Diabetes-Journal 3/2019. Ich hatte dort geraten: „Wenn Sie vom Arzt ein ‚ärztliches Fahrverbot‘ erhalten, sollten Sie dieses unbedingt beachten. Wer dies ignoriert, der macht sich – auch ohne Unfall – in der Regel gemäß § 315c StGB (Strafgesetzbuch) strafbar.“

Sie haben vollkommen recht, dass § 315c StGB ein „Gefährdungsdelikt“ ist; es handelt sich dabei sogar um ein „konkretes“ Gefährdungsdelikt. Dies bedeutet: Selbst wenn jemand vollkommen unvernünftig und/oder besonders riskant fährt, macht er sich allein dadurch in der Regel noch nicht strafbar. Es muss – wie Sie ebenfalls richtig schreiben – tatsächlich auch zu einer konkreten Gefährdung kommen.

Allerdings: Die von mir im Beitrag besprochene Fallkonstellation geht ja davon aus, dass sich jemand bewusst ans Steuer setzt, obwohl er aufgrund eines vorausgegangenen ärztlichen „Fahrverbots“ genau weiß, dass er wegen erheblicher gesundheitlicher Mängel momentan nicht fahrgeeignet ist.

Grundsätzlich zum Führen aller Kraftfahrzeuge geeignet

Nach den Empfehlungen der Leitlinie Diabetes und Straßenverkehr der Deutschen Diabetes Gesellschaft und den amtlichen Begutachtungsleitlinien der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) sind Diabetes-Patienten grundsätzlich zum Führen aller Kraftfahrzeuge geeignet. Nur in relativ wenigen Ausnahmefällen liegt keine Fahreignung vor, insbesondere dann, wenn man Unterzuckerungen nicht bzw. nicht rechtzeitig wahrnimmt. Auch bei einer Neueinstellung auf Insulin bzw. einer wesentlichen Therapieumstellung muss man in der Regel das Auto für einige Zeit stehen lassen, bis man die Wirkung des (neuen) Insulins bzw. der neuen Therapie zuverlässig einschätzen kann.

Der Arzt muss dann über diese – aus medizinischer Sicht – fehlende Fahreignung aufklären und dringend vom Autofahren abraten. Man spricht hier üblicherweise von einem „ärztlichen Fahrverbot“, obwohl der Arzt dem Patienten insoweit natürlich nichts wirklich verbieten kann.

Vor dem Hintergrund begründet sich auch meine Einschätzung im Artikel: Wenn bei Diabetes-Patienten ein solcher Ausnahmefall vorliegt, aufgrund dessen ein „ärztliches Fahrverbot“ ausgesprochen werden muss, dann begründet sich dieser Ausnahmefall in den meisten Fällen mit der erheblichen, nicht mehr sicher vorhersehbaren bzw. beherrschbaren Gefahr durch unerkannte bzw. unbemerkte schwere Unterzuckerungen.

Wenn eine solche Person trotzdem fährt, dann tut sie dies in dem Bewusstsein, dass es zu einer konkreten Gefährdung durch das überraschende Auftreten einer schweren Unterzuckerung kommen könnte.

Bewusstseinsveränderter Zustand …

Der Bundesgerichtshof hat zu entfernt ähnlicher Problematik – im Fall eines Patienten mit Epilepsie – unmissverständlich festgestellt, dass dort allein schon die krankheitsbedingte Fahruntauglichkeit eine solche im Sinne des § 315c StGB „konkrete“ Gefahr darstelle:

„Es ist eine diese Krankheit geradezu prägende Eigenart des Anfallsleidens, dass das Risiko einer Wiederholung von Anfällen grundsätzlich nicht unerheblich ist und der Erkrankte jederzeit unvorhersehbar in einen bewußtseinsveränderten Zustand geraten kann, in dem er die Situationsübersicht verliert (Gutachten ‘Krankheit und Kraftverkehr’ des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesminister für Verkehr und beim Bundesminister für Gesundheit, 4. Aufl. 1992, S. 13, 14). Schon von daher ist der Einwand der Revision nicht berechtigt, die Annahme eines Fahrverbots für den an einem Anfallsleiden erkrankten Kraftfahrer stelle in unzulässiger Weise auf zu weit im Vorfeld nur abstrakter Gefährlichkeiten liegenden Risiken ab. Tatsächlich handelt es sich um eine aus der Eigenart der Krankheit folgende konkrete Gefahr.“
(BGH, 17.11.1994 – 4 StR 441/94)

Natürlich ist Epilepsie grundsätzlich nicht direkt mit Diabetes vergleichbar. Andererseits muss man berücksichtigen: Ein ärztliches Fahrverbot kommt bei Diabetes ja nur noch bzw. nur dann in Betracht, wenn krankheitsbedingt eine sehr hohe Gefahrenlage besteht. Wenn ein solches Fahrverbot aber vom Arzt ausgesprochen werden muss, dann dürfte die Gefahr einer plötzlichen schweren Unterzuckerung durchaus mit der eines epileptischen Anfalls vergleichbar sein – und von der Rechtsprechung daher wohl auch entsprechend bewertet werden.

Ermittlungsverfahren sind selten

Wer also die konkreten Warnungen des Arztes in den Wind schlägt und sich in vollem Bewusstsein ans Steuer setzt, so dass es womöglich zu einer unbeherrschbaren, schweren Unterzuckerung kommen kann, für den dürfte wohl das Gleiche gelten wie im Fall des obigen Patienten mit Epilepsie. Auch bei ihm besteht dann nämlich die nicht unerhebliche Gefahr, dass er „jederzeit unvorhersehbar in einen bewußtseinsveränderten Zustand geraten kann, in dem er die Situationsübersicht verliert“.

Aus diesem Grund ist meines Erachtens in solchen Fällen in aller Regel von einer Strafbarkeit auszugehen (gemäß § 315 Abs. 3 bzw. Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1b StGB).

Allerdings ist auch klar: Solange nichts passiert, wird es nur selten zu einem Ermittlungsverfahren kommen. Die Fahruntauglichkeit ist ja in der Regel nur dem Patienten selbst bekannt; der Arzt unterliegt der Schweigepflicht. Daher gibt es meines Wissens auch keine veröffentlichten Urteile zu dieser Fallkonstellation. An der nach meiner Einschätzung grundsätzlichen Strafbarkeit solchen Verhaltens ändert das aber nichts.


von Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart oder
Friedrichstraße 49, 72336 Balingen
E-Mail: Sekretariat@rek.de

Internet: www.diabetes-und-recht.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (5) Seite 54-55

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Ähnliche Beiträge

Insulinpumpe und AID-Systeme: Chance, Herausforderung, bewusste Entscheidung

Wer sich für die Therapie mit einer Insulinpumpe entscheidet, sollte diesen Entschluss sehr bewusst treffen. Denn es ist eine aktive Lebensstil-Entscheidung. Wichtig ist, zu überlegen, was man möchte – und was nicht. Einen Überblick gibt Diabetesberaterin Regine Werk.
Insulinpumpe und AID-Systeme: Chance, Herausforderung, bewusste Entscheidung | Foto: Sunny studio - stock.adobe.com

3 Minuten

Diabetes-Anker-Podcast: Von der Insulin-Entdeckung zu modernen Diabetes-Therapien – mit Prof. Thomas Forst

Von tierischen Extrakten zu Insulin‑Analoga: In dieser Podcast-Folge beschreibt Prof. Dr. Thomas Forst den Weg von der lebensrettenden Insulin-Entdeckung vor einem Jahrhundert hin zu den modernen Insulin-Therapien sowie zu neuen medikamentösen Optionen bei Typ‑2‑Diabetes.
Diabetes-Anker-Podcast: Von der Insulin-Entdeckung zu modernen Diabetes-Therapien – mit Prof. Thomas Forst | Foto: zVg

2 Minuten

Diabetes-Anker-Newsletter

Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.

Über uns

Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.

Community-Frage

Mit wem redest du
über deinen Diabetes?

Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.

Werde Teil unserer Community

Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

Community-Feed

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 6 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 3 Wochen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

Verbände