Getränke für Kinder: Ein Gesetz als Ladenhüter

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Getränke für Kinder: Ein Gesetz als Ladenhüter | Foto: foodwatch
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Getränke für Kinder: Ein Gesetz als Ladenhüter

Totgesagte leben länger – ob das auch für das Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz gilt, ist noch offen. Mit einem offenen Brief an den Bundeskanzler und einer Marktstudie zu „Kindergetränken“ haben die Befürworter noch mal Druck gemacht.

Mitte Juni hat ein Bündnis von mehr als 35 Verbänden in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz appelliert, ein Gesetz zum Schutz der Kinder vor ungesunder Lebensmittelwerbung noch vor der Sommerpause konsequent und wirkungsvoll umzusetzen. „Werbung für süße Snacks und fettiges Fast Food flutet jeden Tag die Kinderzimmer.

Der politische Stillstand bei der Regulierung von Werbung für Ungesundes ist nicht länger tragbar“, kritisierte Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). „Bundeskanzler Olaf Scholz darf nicht länger am Spielfeldrand stehen und tatenlos zuschauen, wie das Gesetzesvorhaben auf die lange Bank geschoben wird“, forderte sie.

Die Frist klang unfair, begann die Sommerpause des Parlaments doch am 6. Juli. Aber es ist mehr als ein Jahr vergangen nach der Vorstellung eines ersten Referentenentwurfs für das „Gesetz zur Beschränkung von Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder und Jugendliche richtet“. Und dieses kurz KLWG genannte Vorhaben ist seitdem einer der vielen Streitpunkte innerhalb der Koalition. Der Entwurf dreht seine Runden in der Ressort-Abstimmung, in der die verschiedenen Ministerien und damit auch die drei Koalitionsparteien Stellung beziehen und Änderungswünsche machen.

Flüssige Zuckerbomben kritisiert

Angesichts des Stillstands hat die Verbraucherorganisation Foodwatch Ende August mit einer Marktstudie zu Kindergetränken Druck gemacht. Sie zeigte sich aber auch realistisch und nannte als eine Begründung für den Termin der Veröffentlichung, dass in den kommenden Monaten bereits die Parteiprogramme für die Bundestagswahl 2025 geschrieben würden …

Zentrales Ergebnis der Studie ist, dass 86 Prozent der untersuchten Kindergetränke überzuckert sind, weil sie über vier Zuckerwürfel pro 250-Milliliter-Glas enthalten – das sind fünf Gramm Zucker je 100 Milliliter. 57 Prozent der untersuchten Kindergetränke fielen mit einem Zuckergehalt von über acht Gramm je 100 Milliliter sogar in die von Foodwatch nach der europäischen Health-Claims-Verordnung sowie dem Modell der britischen Hersteller-Abgabe für Zuckergetränke definierte Kategorie „stark überzuckert“.

Die Organisation kaufte in den fünf großen Supermarktketten 136 Produkte ein, die eine Kinder ansprechende optische Gestaltung der Verpackung aufwiesen und/oder in einer fast ausschließlich von Kindern getrunkenen Darreichungsform verkauft wurden. Foodwatch garnierte seinen Appell mit markigen Worten: „Profitgier und der ignorante Politikbetrieb von heute dürfen nicht der Grund für Übergewicht, Diabetes und Herzerkrankungen der Jugendlichen von morgen sein.“

Untersuchung zu süßen Kindergetränken

136 Kinder-­Getränke untersuchte Foodwatch – 117 davon waren mit mehr als 5 Gramm Zucker je 100 Milliliter überzuckert.

Die komplette Foodwatch-Marktstudie „Kindergetränke: SÜSS, SÜSSER, AM SÜSSESTEN.“ kann als PDF-Datei auf der Website der Verbraucherschutz-Organisation heruntergeladen werden.

Anhaltende Verhandlungen

Dem Vernehmen nach stand das Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz tatsächlich Mitte Juni auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts, wurde aber kurzfristig wieder gestrichen. Für eine überarbeitete Fassung des Referentenentwurfs gebe es noch keine Einigung, so ein Sprecher des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.

Neben den Ampel-Koalitionären gibt es offenbar auch aus den Bundesländern Gegenwind zum KLWG-Entwurf. Insbesondere Rheinland-Pfalz zweifelt prinzipiell die Gesetzgebungskompetenz des Bundesernährungsministeriums an, wenn es um Werbe- und Medienregulierung geht.

Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und der Medienstaatsvertrag enthielten bereits mehrere Regelungen zur Begrenzung von Werbung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Das Bundesland koordiniert traditionell die Rundfunkkommission der Länder, in der die Bundesländer sich zu Fragen der Medienpolitik und -gesetzgebung austauschen. Nach dem Grundgesetz ist die Medienpolitik Aufgabe der Länder.

In einem Beschluss Anfang März 2023, unmittelbar nach Bekanntwerden der Eckpunkte des KLWG-Entwurfs, forderte die Rundfunkkommission ihre Beteiligung: „Angesichts der bestehenden Gesetzgebungszuständigkeiten, der bereits existierenden Regelungen auf nationaler und europäischer Ebene sowie der bestehenden Aufsichts- und Selbstregulierungsstrukturen fordert die Rundfunkkommission das BMEL auf, das Gespräch mit der Rundfunkkommission zu suchen, bevor weitere Verfahrensschritte eingeleitet werden.“

Als Ziel weiterhin genannt

Der im Sommer vom Bundeskabinett beschlossene ernährungspolitische Bericht der Bundesregierung nennt neben den Aktivitäten der letzten Jahre auch aktuelle Ziele. So sollen das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Bevölkerung verbessert und informierte Entscheidungen erleichtert werden, etwa durch klare und verständliche Kennzeichnung von Lebensmitteln.

Facts: Kinder besser schützen
  1. Viele Getränke speziell für Kinder enthalten zu viel Zucker.
  2. Die Organisation Foodwatch hat dies in einer Studie bestätigt.
  3. Die Bundesregierung ist aufgefordert, ein Gesetz zu erlassen, um Kinder besser zu schützen.

Nicht explizit genannt, aber im Bericht enthalten ist die Regulierung von an Kinder gerichteter Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt. Der Absatz ist kurz: „Ziel der Bundesregierung ist es, Kinder als besonders verletzliche Verbrauchergruppe vor an sie gerichteter Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt zu schützen. Die Bundesregierung sieht daher die Einschränkung der an Kinder gerichteten Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt vor.“

Als das Bundeskabinett Anfang des Jahres die Ernährungsstrategie der Bundesregierung beschloss, fand sich unter den rund 90 genannten Maßnahmen die Einschränkung der an Kinder gerichteten Lebensmittelwerbung. Auch hier sieht man den politischen Stillstand: Der Absatz dazu deckt sich mit der Formulierung im ernährungspolitischen Bericht.


von Marcus Sefrin

Erschienen in: Diabetes-Anker, 2024; 72 (11) Seite 50-51

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