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“Diabetes ist so etwas Schwieriges. Wie können alle Menschen dieser Welt das verstehen?” Das fragte sich Maren Sturny, nachdem ihre Tochter Sarah-Léonie an Typ-1-Diabetes erkrankt war. Deshalb hat sie das Buch “Rock around the Clock mit Diabetes Typ 1” geschrieben und sagt dazu: “Mein Anliegen war, frisch diagnostizierten Familien, wie wir das auch damals waren, etwas an die Hand zu geben, dass sie schneller im Alltag landen und nicht so viel aufs Glatteis kommen wie wir.”
Name: Maren Sturny
Alter: 48 Jahre
Wohnort: Planegg bei München
Beruf: Diplom-Betriebswirtin (Marketing und Kommunikation)
Diabetes seit: Tochter Sarah-Léonie seit 2019
Hobbys: Musik, Tanzen, Yoga, Konzerte, Reisen, Kulinarik
Lebensmotto: “Stay true to yourself”
Kontakt: marensturny@icloud.com, www.marensturny.com
Maren Sturny: Das war im Sommer 2019, Sarah-Léonie war sechs Jahre alt. Sie ist mein drittes Kind, da rennt man nicht mehr wegen Kleinkram zum Arzt. Sie hatte viel Durst, es war aber auch sehr heiß. Sie hatte abgenommen, aber sie hatte immer in ihrem Leben so einen Turnus: Mal nimmt sie zu, mal nimmt sie wieder ein bisschen ab. Das hat mich also alles nicht beunruhigt. Ich habe nur gedacht: Diesmal ist es schon krass! Dann kam – aus meiner Sicht – noch eine Virusinfektion dazu, weil sie anfing, sich zu übergeben. Die Cousins in Frankreich hatten Pfeiffersches Drüsenfieber. Da habe ich gedacht: Alles, was du dir nicht erklären kannst, kannst du dir so erklären. Deshalb bin ich nicht zum Arzt gegangen und habe mir nicht viele Gedanken gemacht.
Maren Sturny: Du warst doch kurz vor dem Seepferdchen. Erzähl doch mal, wie du dich da gefühlt hast.
Sarah-Léonie: Als ich kurz vor dem Seepferdchen war, da war ich schon gut und dann wurde ich immer schlapper. Und Mama hat ja immer zugeschaut und dann dachte sie irgendwie …
Maren Sturny: Wir haben gesagt: “Mensch, du hast fast das Seepferdchen und jetzt kannst du noch nicht mal mehr fünf Meter weit schwimmen …” Sie wollte auch nicht mehr Rad fahren, nicht mehr zum Ballett, sie hat das Schwimmen nicht mehr geschafft, weil sie diese Schlappheit hatte – und ich die nicht deuten konnte.
Sarah-Léonie: Ich mache Ballett, Schwimmen, Basketball und Schauspiel.
Sarah-Léonie: Ja.
Maren Sturny: Sie hat nach der Diagnose alles wieder angefangen. Die Ballettlehrerin und das Schwimmteam, die wussten dann alle Bescheid. Und ich habe am Anfang dabeigesessen, bis ich ungefähr wusste, wie sie reagiert. Das mit dem Basketball ist noch neu, da sitze ich jetzt noch am Rand, um zu verstehen, wie ihr Körper reagiert.
Sarah-Léonie: Ich erinnere mich daran, dass ich nicht groß ausgerastet bin oder so oder umgefallen bin – ich war da ganz locker.
Maren Sturny: Sie hat das sportlicher genommen als wir Eltern. Es war natürlich die Umstellung mit dem Nicht-mehr-so-frei-essen-Dürfen, alles nachfragen. Ich habe ihr dann immer packungsweise gekochten Schinken mitgebracht. Den FPE-Effekt (Anm. d. Red.: FPE: Fett-Protein-Einheiten), den kannte ich noch nicht – den habe ich erst zwei Jahre später verstanden. Wir haben, nachdem der erste Schock überstanden war, auch versucht, ihr gegenüber das Ganze positiv zu kommunizieren. Darüber schreibe ich auch in dem Buch, wie wir in diese Akzeptanz gekommen sind: dass es eben kein Monster ist, sondern ein Familienmitglied. Sarah-Léonie hat den Diabetes als Blume gemalt neben sich, weil sie gesagt hat: “Mama, der Diabetes wäre doch ganz traurig, wenn ich ihn als Monster male.”
Sarah-Léonie: Als ich auf der Notstation war, durfte ich nichts essen und trinken. Ich habe alles künstlich bekommen. Und jeden, der nicht wusste, dass ich nichts trinken durfte, habe ich angebettelt, dass er mir meine Trinkflasche geben soll. Dann kam die Ärztin und hat gesagt: “Nein, sie darf nichts trinken.”
Maren Sturny: Das war am Anfang sehr hart, weil sie unglaublich viel Durst hatte. Sie hatte ja einen Zuckerwert von über 900 mg/dl (50,0 mmol/l; Anm. d. Red.). Aber wir mussten das System erst stabilisieren, damit wir überhaupt eine Chance hatten. 12 Stunden später hätte man, laut den Ärzten, nichts mehr für sie tun können.
Maren Sturny: Natürlich waren alle erstmal betroffen und keiner hat richtig verstanden, worum es überhaupt geht. Es war eine Unsicherheit in der Familie, eine Betroffenheit und ein langsames Lernen, was das überhaupt bedeutet.
Die Große war 14, die Mittlere war 12 – und ich bin dann sehr schnell in mein eigenes Loch gefallen. Denn das hat ja nicht nur Auswirkungen auf Sarah-Léonie, sondern für mich als Hauptansprechpartner ist es auch ein anderes Leben. Ich weiß nicht, ob ich mich da immer so ganzheitlich um die beiden anderen kümmern konnte. Sie sind anfangs viel nebenhergelaufen. Die Schattenkind-Thematik haben wir auf jeden Fall auch. Und mir ist das auch lange nicht bewusst gewesen, weil ich einfach selbst überfordert war mit der Situation. Ich habe das inzwischen mit meiner Mittleren aufgearbeitet und auch im Buch ein Kapitel geschrieben, das heißt “Schattenkinder”, wo sie auch selbst zu Wort kommt. Da ist mir ein bisschen das Herz in die Hose gerutscht, weil ich gemerkt habe: “Oh Gott, da hätte ich vielleicht noch bewusster sein können oder müssen.” Nur musste ich das damals auch erstmal alles verarbeiten. Sicher war das für die Schwestern eine schwere Zeit. Sie sind dann allerdings schnell, im Rahmen unserer positiven Kommunikation, auch in die Unterstützungsrolle gegangen.
Sarah-Léonie: Elisa ist mein Rucksack. Das ist eine Eule, da sind meine Diabetessachen drin. Und Sky …
Maren Sturny: Sky ist von Paw Patrol. Du warst damals so ein großer Paw-Patrol-Fan und hattest das Kuscheltier – und die Sky war bei dir im Krankenhaus. Du warst glücklich, dass sie da war, und hast ihr immer gezeigt, wie du gemessen hast. Im Prinzip hast du einen Beschützer an deiner Seite gehabt.
Maren Sturny: Man sagt ja: Wenn du es nicht ändern kannst, ändere deine Einstellung dazu. Und da Musik im Prinzip mein Leben ist, habe ich diese Analogie gewählt. Denn es ist schon eine rasante Achterbahnfahrt und ich muss dann immer dran denken: Wenn man tanzt, ist man auch mal aus der Puste. Zum Teil ist es auch so, dass man bei einem wilden Rock’n’Roll-Tanz vielleicht mal die Kontrolle verliert – und beim Diabetes ist es ja auch so.
Das, was mir am meisten geholfen hat, ist, dass ich mir vorgestellt habe, dass der Diabetes jetzt ein Teil von Sarah-Léonie ist – ihr Leben lang. Und wie ist das denn, wenn man so einen Teil in sich hat, gegen den man ständig ankämpfen muss? Wir lieben Sarah-Léonie, also lieben wir auch diesen Teil von ihr. Und ich glaube, so kann man besser verstehen, wie wir da hingekommen sind: Weil wir einfach jeden Teil von ihr lieben, lieben wir auch den Teil Diabetes. Weil es nun aber schwierig ist, den Diabetes 24/7 zu lieben, haben wir eben gesagt: Das ist wie ein Familienmitglied, den man eben mal liebt und mal möchte man ihn auch an die Wand klatschen.
Sarah-Léonie: An meinem Diabetes-Geburtstag machen wir eine Party mit meinen Freundinnen!
Das Interview führte Dr. Katrin Kraatz
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (11) Seite 40-42
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