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Kordula Schulz-Asche (Foto li.) war früher Krankenschwester, lebte dann viele Jahre in Afrika. Heute pendelt die Grünen-Politikerin zwischen Berlin und Eschborn, Hessen, hin und her. Warum wir sie treffen? Sie hat Typ-2-Diabetes.
Der Aufzug hält im 3. Stock – die Etage der Grünen. Lift und Flur haben den Lärm der Hauptstadt geschluckt, die Stille ist angenehm. Der Weg zu Kordula Schulz-Asche dauert ein bisschen, bittet der Mitarbeiter beim Pressebesuch um Entschuldigung und lächelt das Thema höflich weg.
Das Büro liegt weit ab vom Haupteingang der Nummer 50, Unter den Linden, ein Gebäude des Bundestags. Der gähnend lange Auslegeteppich dämpft unsere Schritte. Gerahmte Kunst wechselt mit weißer Wand. Eine Glastür, noch eine Glastür – die letzte? Nein, noch eine. Zusammengerechnet waren es wohl acht. Ein gelber Lichtkegel fällt aus einer offenen Tür auf den Boden.
Berliner Boulevard „Unter den Linden“. In der Hausnummer 50 sind Abgeordentenbüros des Bundestags untergebracht, auch von Bündnis 90/Die Grünen.
Das Abgeordnetenbüro der Oppositionspolitikerin – mit dem typischen Büroschnitt: vorn der Empfang, hinten der Arbeitsbereich des Bundestagsabgeordneten. Jeder Besuch stoppt erst mal am Bürotresen.
Hinter der Empfangstheke konzentriert sich eine Assistentin auf ihren Monitor. Vermutlich beantwortet sie gerade neugierige Fragen eines Wählers. Oder sie recherchiert neue Sachverhalte wie zu Klimawandel und Greta. Vielleicht aktualisiert die Mitarbeiterin auch den Terminkalender ihrer Chefin, der an manchen Tagen akut durcheinandergerät.
Für ihre Vorgesetzte, die Sprecherin der Grünen für Alten- und Pflegepolitik, ist das alles völlig normal. Sie kennt den oft unberechenbaren Politbetrieb aus dem Effeff. Geht ihr ein Thema richtig gegen den Strich, kann die 62-Jährige aber schon deutlich werden. Etwa bei der Frage, warum die Politik viel zu wenig für eine gute Pflege, auch im Diabetesbereich, und für eine gesunde Ernährung der Menschen in Deutschland tut, vor allem von jungen Leuten?
Auf ihrer Website präsentiert sie sich nicht nur als gestandene Politikerin, sondern macht auch keinen Hehl aus ihren alternativen Wurzeln. Ein 1980er-Jahre-Schwarzweißfoto zeigt sie als junge Revoluzzerin: eine zarte, nicht minder hartnäckige Kordula – in Parka, Bluejeans und geringelten Wollstulpen.
Sie blickt souverän ins Nichts, während sie in Sitzposition von West-Berliner Polizisten weggetragen wird. Festnahme nach einer Sitzblockade vor einem Berliner Krankenhaus. Sie nennt das: Politisches Engagement aus „eigenem Erleben“. Das kann mal wohl sagen.
1983 zieht die gebürtige Berlinerin ins Berliner Abgeordnetenhaus ein: als jüngste Fraktionsvorsitzende der früheren Alternativen Liste (heute: Landesverband Bündnis 90/Die Grünen Berlin) in der deutschen Parteiengeschichte. Parallel zur Politlaufbahn verfolgt sie weiter ihr Studium und schließt es sechs Jahre später als Kommunikationswissenschaftlerin ab mit der Magisterarbeit „Medieneinsatz zur Gesundheitsaufklärung in der Dritten Welt am Beispiel einer Radiokampagne in Burkina Faso“.
Dort, aber auch in anderen afrikanischen Staaten wie in Ruanda und Kenia, macht sie danach länger Station – für 13 Jahre und bis 1998. Das Jahr, in dem sie wieder voll ins Politikleben einsteigt. 2003 wird sie Abgeordnete im Hessischen Landtag. 10 Jahre später zieht sie erneut in ein Parlament ein – diesmal als MdB (Mitglied des Bundestages) in den Berliner Reichstag. Der Kreis schließt sich für sie: Berlin, Afrika, Main-Taunus-Kreis (ihr Wahlkreis), Berlin.
Ihre Diabetesgeschichte erzählt sie uns in aller Ruhe an ihrem Besprechungstisch. Die Diagnose empfand sie als „sehr schockierend“, denn die chronische Erkrankung kannte sie schon aus ihrer Familie: Ihr Vater hatte Diabetes. „Mein Hausarzt kam vor sechs Jahren auf die Idee, dass meine ständigen Gesundheitsprobleme nicht nur vom Stress kommen – damals war ich als Landtagsabgeordnete ja schon viel unterwegs“, sagt sie.
Heute hat sich ihr stressiger Lifestlye kaum gebessert: Den strapaziösen Sitzungswochen in Berlin folgt die nicht weniger fordernde politische Arbeit in ihrem hessischen Wahlkreis und umgekehrt. Bei den oftmals stundenlangen und zähen Verhandlungen muss sie viel Sitzfleisch mitbringen.
Plüschbärchen (Solidaritätsbären der Aids-Hilfe) im Regal, keine Gummibärchen gegen Hypoglykämien auf dem Tisch. Die gibt es bei den Mitarbeitern vom Nachbarbüro, erzählt die Typ-2-Diabetikerin.
„Ich habe nicht nur Diabetes, sondern auch ein Metabolisches Syndrom mit allen Problemen, die damit zusammenhängen“, sagt sie und meint damit hauptsächlich den Kampf gegen zu hohes Körpergewicht, den viele Typ-2-Diabetiker täglich ausfechten. Davon abgesehen, sei sie aber gut auf Metformin eingestellt, mit einer Blutzuckermessung pro Tag, und fühle sich „fit wie ein Turnschuh“!
Dann gibt sie doch ein paar mehr Details aus ihrem Politikerleben preis, in dem es wie überall menschelt: „In Hessen habe ich immer meine sogenannten Tankstellen-Tage – mit 4 oder 5 Terminen pro Tag auf dem Land, zu denen ich mit dem Auto fahren muss“, berichtet sie. Meldet sich der Hunger zwischendurch, fährt sie kurzerhand die nächste Station an und kauft sich Fast-Food-Produkte aus dem Tankstellen-Shop.
In Berlin sei das mit dem Essen einfacher: Um die Ecke ihres Büros liegt eine der großen Kantinen für die Bundestagsmitglieder. Dort stellt sie sich ihre Mahlzeit immer selbst zusammen und achtet dabei auf Low Carb, also auf eine reduzierte Kohlenhydratzufuhr (viel Gemüse, wenige bis keine Kartoffeln), um ihren Blutzucker nicht in die Höhe zu treiben.
In der Nähe gibt es auch das Abgeordneten-Restaurant, mit dem sie „eine tolle Abmachung“ getroffen habe, schwärmt die Politikerin: Jeden Morgen um 7 Uhr holt sie sich dort ihren Frühstücksquark mit frisch gehackten Kräutern ab. Das dazu gereichte Brotkörbchen lässt sie immer stehen. Am liebsten aber kocht und isst sie daheim in Eschborn mit ihrem Ehemann und der erwachsenen Tochter. „Das ist für mich Entspannung“, betont sie.
Und wie machen das die anderen Politiker mit dem Diabetes? Tauscht sie sich mit Dietrich Monstadt über ihre Erkrankung aus? Der CDU-Politiker und insulinpflichtige Typ-2-Diabetiker ist Berichterstatter der AG Gesundheit der Unionsfraktion für Medizinprodukte, Diabetes und Adipositas. Eher nicht, meint Kordula Schulz-Asche. In Gesprächen mit Regierungsvertretern halte man sich in der Regel doch nur an politische Inhalte.
Typ 1 trifft Typ 2: Hauptstadtkorrespondentin Angela Monecke (re.) im Gespräch mit Kordula Schulz-Asche in ihrem Berliner Büro.
Das Interview ist nach zwei Stunden beendet. Kordula Schulz-Asche packt ihren Rucksack zusammen und begleitet uns nach draußen, mitten ins Gewusel der Großstadt – zum Fotoshooting vor dem Brandenburger Tor und dem Berliner Reichstag. „Endlich sehe ich den mal wieder von vorn, sonst laufe ich immer nur hinten rum“, lacht sie in die Kamera.
Eine aktuelle Nachricht dürfte die Politikerin auch gefreut haben: Bundesernährungsministerin Julia Klöckner will – nach langem Hin und Her – den Nutri-Score, also die Nährwertampel, erlauben (wir berichteten mehrfach).
Die Grünen fordern hier noch mehr, u. a. eine umfassende Ernährungsstrategie, die an vielen Punkten ansetzt, wie ein besseres Essensangebot von der Kita bis zur Kantine, die Reduktion von Zucker, Salz und Fett in Fertigprodukten sowie steuerliche Anreize. Genau darauf setzt auch die Nationale Diabetes-Strategie, die kurz vor ihrer Verabschiedung steht (siehe „Blickwinkel“ im Diabetes-Journal 10/2019).
Kordula Schulz-Asche sagt dazu: „Das Herumlavieren der Großen Koalition bei der Diabetes-Strategie muss endlich ein Ende haben.“ Denn ein Großteil der Diabetes-Typ-2-Erkrankungen sei vermeidbar.
„Dafür braucht es jedoch einen kohärenten Rahmenplan, der gesundheitsfördernde Rahmenbedingungen im Alltag der Menschen sowie zuverlässige Strukturen und gemeinsame Qualitätsstandards bei der Versorgung schafft. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie die Betroffenen nicht weiter im Regen stehen lässt.“ Und nicht nur sie …
von Angela Monecke
Redaktionsbüro Angela Monecke,
Kopenhagener Str. 74, 10437 Berlin,
E-Mail: angelamonecke@aol.com
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (11) Seite 58-60
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