Ich kläre gern über Diabetes auf – aber ich muss das ganz gewiss nicht!

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Ich kläre gern über Diabetes auf – aber ich muss das ganz gewiss nicht!

Vor kurzem habe ich das aktuelle Buch „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay gelesen. Darin geht es um den Einfluss von Denkmustern und -schablonen auf unseren Sprachgebrauch und wie umgekehrt Sprache unser Denken prägt. Das Buch hat mein Interesse geweckt, weil ich mich seit einer Weile mit dem Thema „Diabetes und Sprache“ auseinandersetze und etliche Begriffe und Redewendungen kritisch hinterfrage, mit denen über Menschen mit Diabetes gesprochen wird. Im Klappentext von „Sprache und Sein“ heißt es: „Dieses Buch folgt einer Sehnsucht: nach einer Sprache, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Nach einem Sprechen, die sie in ihrem Facettenreichtum existieren lässt. Nach wirklich gemeinschaftlichem Denken in einer sich polarisierenden Welt.“

Das Buch „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay ist 2020 im Hanser Verlag erschienen.

Aufklären und Vorurteile entkräften

Es ist ein sehr lesenswertes Buch, das ich allen ans Herz legen möchte, die sich ebenfalls – auch unabhängig vom Diabetes – für sensiblen Sprachgebrauch interessieren. Die Autorin beschäftigt sich als Journalistin, Bloggerin und Netz-Aktivistin mit Rassismus, Feminismus, Netzkultur und Fragen gesellschaftlicher Vielfalt. Eine facettenreiche Person, sollte man meinen. Doch in der Öffentlichkeit wird sie häufig nur als „die kopftuchtragende Muslima“ wahrgenommen. Sie erlebte oft, dass sie genau deswegen befragt oder in Talkshows eingeladen wurde, in denen vermeintlich differenziert über „den Islam“ oder „die muslimische Frau“ diskutiert wurde. Und anfangs folgte sie diesen Einladungen auch immer, weil sie gern aufklären und Vorurteile entkräften wollte.

Unwohlsein mit kollektiven Etiketten

Doch mit der Zeit wurde ihr zunehmend unwohl mit dieser Rolle. In ihrem Buch schreibt sie: „Einer meiner Fehler war, jahrelang dieses Spiel mitzuspielen, bei dem es darum geht, Menschen kollektive Etiketten anzuheften. Die Rolle meiner Antagonisten bestand darin, die kollektiven Zuschreibungen aus Insiderperspektive zu bestärken. Meine Rolle bestand darin, als Vertreterin derjenigen zu sprechen, die sich gegen die Zuschreibungen wehren. (…) Und so saß ich in diesen Sendungen und sagte: Ja aber… Ich versuchte, auf Ursachen und Probleme hinzuwesen, ich versuchte, stigmatisierende Diskussionen zu konstruktiven Diskussionen zu machen. Meine Aufgabe war die einer intellektuellen Putzfrau, die den anderen vergeblich ihren Bullshit hinterherräumt, die mit Zahlen, Daten, Fakten und gesundem Menschenverstand dagegenhält.“

Auch „Patientenvertreterin“ ist ein Etikett

Es gibt auch in der Diabetes-Community viele Leute, die in vergleichbare Rollen schlüpfen. Engagierte, die Stigmatisierung und andere Missstände benennen, die Menschen mit Diabetes eine Stimme geben. Manche sind auf Instagram aktiv, andere schreiben auf ihrem eigenen Blog oder in der Blood Sugar Lounge. Wieder andere produzieren Videos oder Podcasts, nochmal andere halten Vorträge, geben Interviews und beteiligen sich an Podiumsdiskussionen oder Workshops. Schnell haftet ihnen dann das Etikett „Patientenvertreterin“ an – und darunter verstehen viele eine, die man jederzeit ansprechen und fragen kann, die immer etwas Schlaues zum Thema Diabetes zu sagen hat und die auch immer zur Verfügung stehen muss.

Als Typ-Einserin, Medizinjournalistin und Diabetes-Bloggerin gehöre ich auch zu dieser Gruppe. Und auch auf mir lastet manchmal dieser Druck, mich äußern zu müssen, weil andere es von mir erwarten. Ich weiß, dass ich sicherlich viel zur Aufklärung über Diabetes beitragen kann. Immerhin lebe ich mit der Erkrankung, schreibe auch professionell darüber und bin gut vernetzt mit anderen Leuten in der Diabetes-Community. Aber kann man deshalb von mir erwarten, grundsätzlich stellvertretend für die ganze große Gruppe von Menschen mit Diabetes zu stehen, ihr Denken und Handeln zu erklären?

Antje als Speaker auf der "Deep talk" Bühne
Antje bei einer Veranstaltung von Novo Nordisk, wo sie einen Vortrag mit dem Titel „It wasn’t the carbs“ hielt / Quelle: Novo Nordisk

Diabetes ist nur ein Teil von mir

Nein, das darf man natürlich nicht. Und es ist für mich auch eine Frage der Psychohygiene, mich von derartigen Erwartungen nicht unter Druck setzen zu lassen. Das gilt zum einen auf der persönlichen Ebene: Wenn ich keine Lust auf einen kleinen Diabetesvortrag habe, muss ich niemandem erläutern, warum ich einen Plastikknopf an meinem Oberarm trage. Und wenn mir nicht nach Diskussionen zumute ist, muss ich auch niemandem erklären, dass mein Diabetes nur mit Insulin zu behandeln ist, das dummerweise von der bösen Pharmaindustrie hergestellt wird. Ich bin ich. Mein Diabetes ist nur ein Teil von mir und nicht etwa umgekehrt. Mit diesem Empfinden bin ich nicht allein. Laura Krugenberg hat sich vor ein paar Wochen in ihrem Beitrag „Ich will nicht mein Diabetes sein!“ schon ausführlich damit beschäftigt. Sie spricht zwar offen über ihr Leben mit Typ-1-Diabetes. Doch sie ist eben nicht bereit, das rund um die Uhr und auf Knopfdruck zu tun. Offenheit hat Grenzen.

Diabetes-Community ist ein Ehrenamt

Dasselbe gilt aber auch für die etwas größere Bühne: Wenn mich das Thema einer Community-Veranstaltung nicht anspricht, muss ich nicht hinfahren, selbst wenn ich an dem Wochenende eigentlich Zeit hätte. Manchmal wird mir der ganze Diabetes-Zirkus einfach zu viel. Dann muss ich nicht mitmachen, nur weil ich einen wertvollen Beitrag leisten könnte, der anderen hilft und zur Aufklärung beiträgt.

Denn auch ein Ehrenamt – und als genau das sehe ich das Engagement in der Diabetes-Community – kann einen überfordern, wenn man die persönlichen Grenzen ignoriert. Genau das hat zum Beispiel die australische Bloggerin Renza Scibilia erlebt, die 2019 über eine solche Krise berichtete: „There were moments this year where I did honestly wonder how much more energy I have to stand up over and over again to a lot of what I was seeing. I don’t like using war and battle analogies in diabetes, but I did feel that I was fighting a lot of the time. Diabetes advocacy is a tough gig to begin with. Adding burnout on top of it makes it seem shattering.“

Was heißt „advocacy burnout“ auf Deutsch?

Auf Englisch nennt man es „advocacy burnout“, was Renza erlebt hat. In unserer Sprache gibt es keine wirklich gute Entsprechung, obwohl das Phänomen auch hierzulande bekannt sein dürfte. Wer googelt, findet Begriffe wie „Helfersyndrom“ oder „Stress im Ehrenamt“. Das trifft es in meinen Augen sprachlich nicht ganz. Und damit wären wir schon wieder bei Kübra Gümüşay und dem Einfluss von Sprache auf Denken und Wahrnehmung. Doch wie auch immer wir „advocacy burnout“ auf Deutsch nun nennen, sollten wir vor allem auf eines achten: Wir stehen nicht für den Diabetes und sind niemandem Aufklärung schuldig – auch wenn wir sicherlich viele tolle Anekdoten, Informationen und Erklärungen aus dem Ärmel schütteln könnten.


Ein fairer und respektvoller Umgang – die Macht der Sprache – ein Beitrag von Tine zum Thema Sprache!

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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