„Insulin zum Leben“: Insulin sammeln für Ärmere

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„Insulin zum Leben“: Insulin sammeln für Ärmere | Foto: Insulin zum Leben
Foto: Insulin zum Leben
„Insulin zum Leben“: Insulin sammeln für Ärmere

Wer den Namen Heidrun Schmidt-Schmiedebach hört, denkt ­wahrscheinlich direkt an das Projekt „Insulin zum Leben“. Das ist kein Wunder, denn seit 1994 engagiert sie sich für dieses Projekt, seit dem Jahr 2000 ist sie Projektleiterin. Wie aber kam sie dazu?

Heidrun Schmidt-Schmiedebach lebt seit 1979 selbst mit Typ-1-Diabetes. Als sie im Alter von 26 Jahren mit ihrem ersten Kind, einem Sohn, schwanger war, wurde in der gynäkologischen Betreuung im Krankenhaus in Rastatt in Baden-Württemberg festgestellt, dass sie Zucker im Urin ausschied. Für ihren Vater, der als praktischer Arzt tätig war und in seiner Praxis nur Menschen mit Typ-2-Diabetes betreute, aber keinen mit Typ-1-Diabetes, war ihr Diabetes eine Überraschung, wie sie erzählt. Er meinte: „Das kann gar nicht sein.“ Er empfahl ihr: „Jetzt hungerst du erst mal Kohlenhydrate und dann gucken wir.“

Blutzucker messen beim Vater in der Praxis

Einen Vorteil hatte der Beruf ihres Vaters: „Er hatte das erste große Blutzucker-Messgerät, diesen großen blauen Apparat mit einer Schraube darauf. Da haben wir den Zucker gemessen und der war erhöht.“ Um 160 mg/dl (8,9 mmol/l) waren ihre Werte nach dem Essen. Auch im Krankenhaus war man verwirrt, wie sie sich erinnert: „Das ist ungewöhnlich, Sie sind schlank. Sie sollten mal zu einem Diabetologen, der was davon versteht.“ So kam sie in die Betreuung des diabetologisch erfahrenen Internisten im Krankenhaus, in dem auch die gynäko­logische Betreuung erfolgte. Dieser stellte fest: „Sie haben Typ-1-Diabetes. Eigentlich müssten Sie spritzen.“ Mit dieser Information ließ man sie allein. „Ich habe die Welt nicht verstanden, mir wurde nichts erklärt. Und ich wollte nicht spritzen.“

Inzwischen hatte Heidrun Schmidt-Schmiedebach bereits drei Kilo ihres Körpergewichts verloren. Die Ursache sah sie aber im Stress in der Schule, denn sie war Klassenlehrerin in einer Grundschule. Im Rückblick sagt sie: „Niemand hat mich sozusagen an die Angel genommen und gesagt: ‚So kann Diabetes nicht laufen.‘“ Sie ernährte sich die gesamte Schwangerschaft über mit sehr wenigen Kohlenhydraten, dafür mit viel Eiweißhaltigem wie Harzer Käse. Den Blutzucker testete sie immer wieder in der Praxis ihres Vaters. Insulin spritzte sie nicht. Als ihr Sohn geboren wurde, wog sie noch 49 Kilo. Ihr Sohn war mit 4640 Gramm zu schwer, aber sonst hatte der Diabetes für ihn keine Folgen.

Das Projekt „Insulin zum Leben“ unterstützen

Insulin- und Hilfsmittel-Spenden, mindestens noch vier ganze Monate haltbar, bitte schicken an:
„Insulin zum Leben“, c/o Biokanol Pharma GmbH, ­Kehler Straße 7, 76437 Rastatt

Geldspenden für Transportkosten und Diabetes-­Camps:
BdKJ e. V. „Insulin zum Leben“, Volksbank Hameln-Stadthagen eG, IBAN: DE20 2546 2160 0670 3208 01

Weitere Informationen: www.insulin-zum-leben.de

Insulintherapie mit starken Schwankungen

Nach der Schwangerschaft begannen die Blutzuckerwerte anzusteigen. Nun war klar: Insulin war nötig. Sie bekam ausschließlich lang wirksames Insulin, ein Blutzucker-Messgerät für zu Hause hatte sie inzwischen. Ihre Glukosewerte waren sehr instabil. „Ich durfte keine einzige Einheit Insulin selbst anpassen und suchte verzweifelt nach einer guten Adresse.“

Sie wurde selbst aktiv und besorgte sich, da ihre Düsseldorfer Schwiegereltern ihr von dem dort tätigen Diabetologen Prof. Dr. Michael Berger berichtet hatten, einen Termin bei ihm. Das war im März 1980. Dieser verschrieb ihr zusätzlich kurz wirksames Insulin zu den Mahlzeiten, mit dem sie auch direkt begann: „Ich habe mir vor der Mahlzeit die erste Dosis gespritzt – und hatte nach dem Essen das erste Mal nach einem Dreivierteljahr einen Blutzucker, den man anerkennen konnte. Ich war hin und weg!“

Zwei Wochen später wurde sie in Düsseldorf strukturiert geschult und durfte nun auch die Insulindosis bei Bedarf selbst verändern. „In dieser tollen Schulung habe ich endlich verstanden, was ich eigentlich habe. Da sind mir praktisch Flügel gewachsen, dass ich gesagt habe: Davon lasse ich mich nicht unterkriegen, das nehme ich selbst in die Hand.“ Danach ging es bergauf. In den folgenden sieben Jahren stellte sie sich selbst ein, die Insuline wurden ihr von Prof. Berger empfohlen und von ihrem Vater verschrieben.

Bilderbuch-Schwangerschaft

Bei ihr und ihrem Mann war inzwischen der Wunsch nach einem zweiten Kind lauter geworden. Sie baten Prof. Berger um seine Einschätzung. „Er hat gesagt: ‚Von mir aus könnten Sie so, wie Sie jetzt eingestellt sind, schwanger werden. Kein Problem.‘“ Für die diabetologische Betreuung empfahl der Düsseldorfer ihr einen Arzt in ihrer Nähe, Dr. Bernhard Lippmann-Grob in Offenburg. Dieser brachte das Gespräch auf eine Insulinpumpe – und Heidrun Schmidt-Schmiedebach griff schnell zu.

Der Beginn mit der Betatron II erfolgte fünf Tage stationär, danach fuhr sie, inzwischen tatsächlich schwanger, einmal im Monat zu ihm nach Offenburg. „Die ganze Schwangerschaft verlief bilderbuchmäßig.“ Zur Welt kam eine normalgewichtige Tochter. Heute verwendet Heidrun Schmidt-Schmiedebach das System MiniMed 780G als System zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID).

Überall ist die Dankbarkeit für die Hilfe und Unterstützung groß, so auch in Bolivien für die Versorgung mit Insulin in Insulinpens. | Fotos: Insulin zum Leben

Aktiv in der Selbsthilfe

Und wie passt „Insulin zum Leben“ nun hinein? Wegen ihres Diabetes wurde Heidrun Schmidt-Schmiedebach im Jahr 1980 Mitglied im Landesverband Baden-Württemberg des Deutschen Diabetiker Bunds. Darauf aufmerksam geworden war sie durch das Diabetes-Journal, das sie bereits im Jahr 1979 von dem betreuenden Internisten im Krankenhaus bekommen hatte. „Das habe ich natürlich komplett durchgelesen und mein Mann auch. Er hat gesagt: ‚Da gibt es einen Verein und da wirst du Mitglied.‘ Ich sage immer: Er hat mich eingetreten“, erzählt sie lachend.

Kurz darauf erhielt sie eine Einladung zu einer Gründung einer Selbsthilfegruppe in Baden-Baden. „Ich hatte immer vermisst, dass ich keine Diabetiker kenne, die auch spritzen müssen. Das hat mir gefehlt zum Austausch.“ Sie fuhr hin und besuchte dann die Gruppentermine regelmäßig. 1989 wurde jemand gesucht, der in Rastatt eine Gruppe aufbaute. „Im August 1989 war die Gründung und seitdem leite ich diese Gruppe.“ Dabei sind einige, die wie sie 1979 einen Typ-1-Diabetes bekommen hatten. „Dann war natürlich der Austausch ein ganz anderer. Wir waren ja auch offen für Typ-2er, aber bei mir in der Gruppe, die ja immer noch besteht, spritzen die meisten Insulin.“

Ausgebildet als Diabetesassistentin

Ihren Beruf als Lehrerin hatte sie nach der Elternzeit an den Nagel gehängt. Aber „mich hat halt dieses Diabeteswissen fasziniert“. Im Rastatter Kreiskrankenhaus gab es eine strukturierte Diabetesschulung mit einer Unterrichtseinheit „Wie geht es nach dem Krankenhaus weiter? Die Selbsthilfegruppe stellt sich vor“. Das übernahm Heidrun Schmidt-Schmiedebach. Die Diabetesberaterin und der Dia­betologe des Krankenhauses schlugen ihr vor, sich zur Diabetesassistentin ausbilden zu lassen. „Das habe ich gemacht – und war zwölf Jahre im Krankenhaus als Diabetesassistentin beschäftigt.“

Stolze Ausbeute im Lager: „Auf Kongressen, Diabetikertagen und sonstwo habe ich die „Magische Mark“ für „Insulin zum Leben“ gesammelt“, berichtet Heidrun Schmidt-Schmiedebach. | Fotos: Insulin zum Leben

Vom DDB zur DDU

Als Gruppenleiterin im Deutschen Dia­betiker Bund in Baden-Württemberg wurde sie in die Delegiertenversammlung des Landes entsandt und später auch in die Bundesdelegiertenversammlung und von dort zur Deutschen Diabetes-Union (DDU), damals ein Zusammenschluss der Organisationen für Menschen mit Diabetes und der Diabetes-Expertinnen und -Experten. In der DDU übernahm sie das Amt der Schatzmeisterin.

Hier lernte sie Heinz Jäger kennen, den damaligen Vorsitzenden des DDB, der der erste Vorsitzende der DDU in der Patienten-Rolle war. Dieser hatte in Australien Ron Raab kennengelernt, der das Projekt „Insulin for Life“ gegründet hatte. Heinz Jäger war begeistert: „Was die da machen, das ist toll. Das machen wir auch.“ Allerdings sollte in Deutschland kein Insulin gesammelt werden, sondern Geld, das die Australier für die Transportkosten benötigten.

„Magische Mark“

So kam es ab 1994 zur „Magischen Mark“, die die engagierte Rastatterin auf vielen Veranstaltungen einsammelte nach dem Motto „Wenn jeder nur eine Mark gibt, ist es wenig für den Einzelnen, aber die Summe eine magische Summe für ‚Insulin zum Leben‘ bzw. ‚Insulin for Life‘.“ Mit einem Zylinder zog sie durch die Räume. Im Jahr 2000 endete ihre Zeit als Schatzmeisterin, weil maximal zwei Amtsperioden möglich waren.

Nach dem überraschenden Tod von Heinz Jäger im Mai 2000 bat man sie, die Leitung des Projekts „Insulin zum Leben“ in Deutschland zu übernehmen. Beim Diabetes-Kongress im Mai 2002 brachten sie Diabetesberaterinnen und -assistentinnen darauf, dass auch in Deutschland viel Insulin weggeworfen wird. Sie sagten: „Warum sammeln wir nicht? Bei uns ist die gleiche Situation wie in Australien.“ Und so fasste sie dort spontan den Entschluss: „Ab sofort sammeln wir auch Insulin.“

Insulin im Weinkeller

Zuerst kamen die Päckchen mit Insulin zu ihr nach Hause, in den gekühlten Weinkeller. Die ersten Kontakte, an die sie Insulin schickte, bekam sie von den Aus­tra­liern. „Dann lief das und wurde immer mehr. Und heute habe ich immer noch Kontakte, die ich aus Australien gekriegt habe, und eigene.“ Als die Spenden immer mehr wurden, konnte sie über ihren Bekanntenkreis Lagerräume beim Unternehmen Biokanol bekommen.

Zwei Honorarkräfte auf Minijob-Basis unterstützen sie beim Annehmen, Auspacken und Versenden der Päckchen und Pakete. Und jeder, der Insulin oder etwas anderes spendet, erhält einen Dankbrief. Obwohl jeder Brief 85 Cent kostet, ist Heidrun Schmidt-Schmiedebach überzeugt, dass der langjährige Erfolg auch damit zusammenhängt.

Im Diabetes-Camp in Ruanda, die von „Insulin zum Leben“ finanziert werden, lernen die Menschen viel über ihre Krankheit – und sie merken, dass sie nicht allein sind damit. | Fotos: Insulin zum Leben

Verschiedene Länder als Empfänger

Wer als Empfänger für Insulin neu bei ihr anfragt, muss erst Informationen liefern, wie viele Menschen mit Diabetes behandelt und welche Insuline verwendet werden. Der Start beginnt mit einem Päckchen. Dann wird geschaut, ob und wann es ankommt. Passt alles, beginnt die regelmäßige Belieferung. Insulin und inzwischen auch anderer Diabetes-Bedarf wie Blutzucker-Messgeräte und -Teststreifen gehen regelmäßig nach Gambia, in die Demokratische Republik Kongo, nach Ruanda und Kamerun sowie in den Tschad.

Auch in Bolivien gibt es drei Partner. In Peru wird das vom deutschen Ehepaar Dr. John gegründete Missions-Hospital unterstützt, das Insulin dorthin nehmen Angehörige der dort tätigen Missionare direkt in ihrem Reisegepäck mit. So hilft „Insulin zum Leben“ vielen, die auf diese Weise regelmäßig versorgt werden, dass sie gut überleben können.

Camps sind „beste Investition in das Leben eines jeden Diabetikers“

Auch medizinisch geleitete Diabetes-Camps in den Ländern unterstützt das Projekt mit Material und Geld. „Da kommen im Kongo ungefähr 50 Leute pro Camp und in Ruanda 100. Die waren so groß, weil die Sehnsucht so groß ist, andere Diabetiker kennenzulernen, die die gleichen Probleme haben, weil diese Kinder in ihren Familien immer noch oft diskriminiert werden.“ Auch die Angehörigen werden deshalb dabei mit ins Boot genommen. Heidrun Schmidt-Schmiedebach formuliert den Beitrag zu den Camps so: „die beste Investition in das Leben eines jeden Diabetikers“.

Mehr im Diabetes-Anker-Podcast
➤ Insulin zum Leben – Im Gespräch mit Heidrun Schmidt-Schmiedebach


von Dr. Katrin Kraatz

Erschienen in: Diabetes-Anker, 2024; 72 (12) Seite 52-55

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