- Leben mit Diabetes
Kein Verständnis, nur wüste Behauptungen
4 Minuten
Ramona (27) reist sehr gern und sehr viel. Im Internet hat sie sogar einen eigenen Blog, in dem sie immer wieder über ihre Reisen (und auch über ihren Typ-1-Diabetes) berichtet. Und genau in dem Zusammenhang ist sie diskriminiert worden: Als sie auf der Pflichtexkursion zum Abschluss ihres Studiums in Marokko erkrankte, warf man ihr wüste Behauptungen an den Kopf.

Zum ersten Mal Erfahrungen mit Diabetes und Diskriminierung musste ich beim Sportunterricht in der siebten Klasse machen. Sicher, vorher war man mal auf dem einen oder anderen Kindergeburtstag nicht eingeladen, weil die Eltern des Geburtstagskindes dachten, man dürfe keinen Kuchen essen.
Geballtes Unwissen der Sportlehrerin
Doch bei besagtem Sportunterricht wurde ich zum ersten Mal mit geballtem Unwissen, gepaart mit absoluter Beratungsresistenz, konfrontiert: Die Sportlehrerin, nicht mehr ganz die Jüngste, war felsenfest der Überzeugung, Sport wäre gut bei Diabetes. Punkt. Was ja auch grundsätzlich der Fall ist – allerdings wollte die Lehrerin mich auch bei viel zu hohen oder viel zu niedrigen Werten zwingen, am Sportunterricht teilzunehmen. Denn Sport ist ja gut bei Diabetes.
Dass es da einen Unterschied gibt zwischen Typ 1 und Typ 2, dass Stoffwechselentgleisungen in beide Richtungen gar gefährlich sein können – sowohl meine Eltern als auch ich stießen auf taube Ohren. Bis zum Direktor ging es, selbst auf diesen wollte sie nicht hören, und ich wurde schließlich für das komplette Schuljahr vom Sportunterricht befreit.
Die Jahre gingen ins Land: Schule, Berufsausbildung, Studium – ich machte die Erfahrung, dass das Verständnis für den Diabetes und seine Auswirkungen auf den Alltag mit den Jahren eher wuchs und hatte eigentlich nie Probleme. Jedenfalls nicht bis zum Ende meines Studiums.
Studium: die Pflichtexkursion nach Marokko …
Ich entschloss mich für Geographie als Studienfach. Eine Pflichtexkursion am Ende des Studiums ist notwendig, um den Abschluss zu erreichen – so weit ja kein Problem, ich reise sehr viel und quasi schon immer mit Diabetes im Gepäck. Das Los entschied, und es ging für mich nach Marokko.
Die ersten Tage verliefen normal; zwar wäre etwas mehr Planung wünschenswert gewesen, und das unbekannte marokkanische Essen hielt mich und meinen Diabetes ordentlich auf Trab, doch das sind die Herausforderungen, die man als Diabetiker auf Reisen nun mal hat. Jedoch ein paar Tage vor Ende der Exkursion änderte sich alles …
… und plötzlich der Infekt!
Plötzlich bekam ich sehr hohes Fieber, zusätzlich konnte ich mich nicht von der Toilette, geschweige denn vom Hotelzimmer entfernen. Auch nach drei Tagen trat keine Besserung ein – im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Aufgrund des Infekts, der hohen Belastung für den Körper und der Tatsache, dass ich weder Nahrung zu mir nehmen noch bei mir behalten konnte, waren meine Blutzuckerwerte jenseits von Gut und Böse. Jeder Diabetiker, der bereits mit einem Infekt zu tun hatte, weiß, wie schnell sich so etwas zu einer lebensbedrohlichen Ketoazidose entwickeln kann.
Nun reise ich, wie schon gesagt, wirklich viel – dadurch kann ich auch entscheiden, wann sich etwas nicht mehr im normalen Rahmen bewegt. Und dies war hier definitiv der Fall. Aufgrund der mangelnden diabetologischen Versorgung im Land (wir waren sehr viel im ländlichen Raum unterwegs) und der Tatsache, dass ich in meinem Zustand keine 10-stündige Busfahrt in die nächste Stadt überstanden hätte, fällte ich eine Entscheidung: Ich werde die Exkursion abbrechen. Meiner Gesundheit zuliebe – mit meinem Zustand war mittlerweile nicht mehr zu spaßen.
Statt Verständnis wüste Behauptungen und Drohung mit Rechtsabteilung
Nun sollte man denken, bei Dozierenden, die für den Ablauf der Exkursion und das Wohl der Studenten gewissermaßen verantwortlich sind, trifft man in solch einem Fall auf Sorge oder wenigstens Verständnis – zumal ich vorher extra Aufklärungsarbeit in Sachen Diabetes geleistet hatte. Doch was passierte, übertrumpfte alles, was ich bisher in Sachen Unverständnis erlebt hatte.
Mir wurden die wüstesten Behauptungen an den Kopf geworfen: Ich solle mich nicht so anstellen; hier hätte es jeder mal mit dem Magen. Sogar mit der Rechtsabteilung der Universität wurde gedroht, wenn ich wegen „so einer Lappalie“ die Exkursion abbrechen würde. Ich könne ja einfach ein paar Tage allein im Hotel bleiben und anschließend der Gruppe mit dem Zug hinterherreisen. Selbstredend brach ich trotzdem ab, da sich mein Zustand weiterhin verschlechterte und sich gerade ein Flughafen in der Nähe befand, zu dem ich allein aufbrach.
Zurück in Deutschland suchte ich sofort einen Arzt auf. „Die kleine Magen-Darm-Geschichte“, deretwegen ich mich „nicht so anstellen“ sollte, stellte sich als eine schwerwiegende Infektion heraus, die dem Gesundheitsamt gemeldet wurde und von Anfang an im Krankenhaus hätte behandelt werden müssen – auf einer Rundreise-Exkursion in Marokko absolut unmöglich. Da die eigentlich nötige Behandlung nicht von Anfang an stattgefunden hatte, war ich ab dann vier Wochen krankgeschrieben, um mich erholen zu können und meine Werte wieder in den Griff zu bekommen.
„Den Diabetes als Vorwand …“: bitte?!
Nun muss man solche Krankheitsgeschichten wohl ab und zu im Leben einfach mal durchstehen, mit Diabetes ist sowieso alles langwieriger, und der Fokus soll hier auch gar nicht auf der Infektion an sich liegen – sondern auf dem Verhalten von Dozenten und Kommilitonen. Von allen Seiten wurde mir vorgeworfen, ich würde nur simulieren, hätte keine Lust auf die Exkursion, würde den Diabetes als Vorwand nehmen, um nicht an Aktivitäten teilnehmen zu müssen.
Ich kann über derartige Anschuldigungen nur den Kopf schütteln – denn vor allem mir wäre es am wichtigsten gewesen, dass alles glatt läuft. Das kann aber gerade mit Diabetes nicht immer garantiert werden. Auch im Nachhinein, als ich das Kranksein als Abbruchgrund ärztlich nachweisen konnte, kam weder von Dozierenden noch von meinen Mitstudierenden eine Entschuldigung, welche ich durchaus erwartet hätte. Wenn eine Krankheit nicht sichtbar ist, scheint sie in den Augen anderer nicht vorzuliegen. Die anderen denken offenbar, man sei gar nicht richtig krank.
Zwei Dinge daraus gelernt
Gezeigt hat es mir auf jeden Fall zwei Dinge: einerseits, wie viele Vorurteile, wie viel Unwissen und Ignoranz immer noch über Typ-1-Diabetes vorhanden sind und wie wenig Verständnis für die Herausforderungen mit einer chronischen Krankheit im Alltag vorhanden ist. Andererseits: Empathie ist etwas, was einem auch ein akademischer Grad nicht bringen kann – und dass nicht nur meine Sportlehrerin aus der siebten Klasse ihr Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen dringend überdenken sollte.
von Ramona Stanek
E-Mail: mail@tattoostravelstypeone.de
Blog: www.tattoostravelstypeone.de
Blood Sugar Lounge: www.blood-sugar-lounge.de/author/ramona-stanek/
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2019; 68 (4) Seite 44-46
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche, 1 Tag
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina -
gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 2 Wochen
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
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moira antwortete vor 1 Woche, 3 Tagen
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG
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hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 6 Tagen
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
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connyhumboldt antwortete vor 1 Woche, 1 Tag
Besorge Dir Pflaster die über Tattoos geklebt werden, wenn die neu gestochen sind! Oder Sprühpflaster das Stomapatienten benutzen!
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Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig